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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Albrecht von Roon

der neuen Regimenter und verlieh ihnen, als er am 2. Januar 1861 den
Thron bestiegen hatte, am 18. Januar ihre Fahnen. Das neue Heer, in
seinem Bestände gegen früher fast verdoppelt, stand fertig da, aber eine end-
giltige Bildung war begründet auf eine einmalige provisorische Bewilligung
der Geldmittel, und die Liberalen lebten sich immer tiefer in den Wahn hinein,
das Ministerium habe sie planmäßig getäuscht. Noch einmal wurde der Kon¬
flikt vermieden, indem 1861 noch einmal die Mehrkosten auf ein Jahr und
außerordentlicherweise bewilligt wurden, aber er war nur vertagt, nicht gelöst,
und brach zuerst im Ministerium offen aus. Roon war der festen Über¬
zeugung, daß bei der zunehmenden Entfremdung zwischen dem König und den
liberalen Ministern eine Umgestaltung des Ministeriums im Sinne des Königs
unvermeidlich sei. Aber der Monarch trennte sich immer nur schwer von
seinen alten Räten; daher scheiterte auch noch der Versuch, Bismarck, der da¬
mals Botschafter in Petersburg war, zu berufen, obwohl Roon mit ihm längst
in Verbindung stand und im Juli 1861 bereits verhandelte. Die feierliche
Krönung in Königsberg am 18. Oktober 1861, die das Königtum von Gottes
Gnaden so scharf betonte, öffnete den Spalt noch tiefer. Die Ministerkrisis
wurde geradezu chronisch, sast nur noch Roon hatte das wirkliche Vertrauen
seines Herrn, und offen forderte er jetzt in mehreren eingehenden Ausführungen
(namentlich im November 1861) geradezu den Rücktritt der liberale" Minister,
da ihnen der König gegen seinen Willen schlechterdings nicht weichen dürfe.
Noch mehr verschlimmerte sich die allgemeine Lage mit der Bildung der "Fort¬
schrittspartei," und die Neuwahlen im Dezember 1861 gaben der schroffsten
Opposition die entschiedenste Mehrheit. An eine Bewilligung der schon durch¬
geführten Heeresreform und ihrer Kosten war jetzt gar nicht mehr zu denken.
Die Frage stand also jetzt so, ob der Landtag, sein unzweifelhaftes formelles
Budgetrecht brauchend, befugt sei, die Auflösung der neuen Regimenter zu
erzwingen, oder ob der König als Kriegsherr sein ebenso unzweifelhaftes Recht,
die Heeresverhältuisse zu ordnen, durchsetzen könne, d. h. ob das Königtum
oder das Abgeordnetenhaus die herrschende Macht im Staate sein sollte. So¬
bald die Frage so gestellt wurde, war sie sür König Wilhelm und Roon keine
Frage mehr. "Ein König, der ein tapferer Mann ist, kann Alles," sagte
Roon, und endlich, als das neue Abgeordnetenhaus uuter den heftigsten An¬
griffen auf das Ministerium die Heeresvvrlage verwarf und alle Kosten strich,
da traf der König seine Wahl fest und sicher in Roons Sinne. Am 11.
März 1862 wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst, die liberalen Minister er¬
hielten die erbetene Entlassung und wurden durch Geschäftsmänner konservativer
Färbung unter dem nomiuelleu Borsitze des Prinzen von Hohenlohe-Ingel-
fingen ersetzt. Die "neue Ära" war zu Ende.

Roon war jetzt voll gutes Muts, obwohl er den Eutscheidnngskampf
zwischen Königtum und Parlamentsherrschaft erst kommen sah. Und doch ver-


Albrecht von Roon

der neuen Regimenter und verlieh ihnen, als er am 2. Januar 1861 den
Thron bestiegen hatte, am 18. Januar ihre Fahnen. Das neue Heer, in
seinem Bestände gegen früher fast verdoppelt, stand fertig da, aber eine end-
giltige Bildung war begründet auf eine einmalige provisorische Bewilligung
der Geldmittel, und die Liberalen lebten sich immer tiefer in den Wahn hinein,
das Ministerium habe sie planmäßig getäuscht. Noch einmal wurde der Kon¬
flikt vermieden, indem 1861 noch einmal die Mehrkosten auf ein Jahr und
außerordentlicherweise bewilligt wurden, aber er war nur vertagt, nicht gelöst,
und brach zuerst im Ministerium offen aus. Roon war der festen Über¬
zeugung, daß bei der zunehmenden Entfremdung zwischen dem König und den
liberalen Ministern eine Umgestaltung des Ministeriums im Sinne des Königs
unvermeidlich sei. Aber der Monarch trennte sich immer nur schwer von
seinen alten Räten; daher scheiterte auch noch der Versuch, Bismarck, der da¬
mals Botschafter in Petersburg war, zu berufen, obwohl Roon mit ihm längst
in Verbindung stand und im Juli 1861 bereits verhandelte. Die feierliche
Krönung in Königsberg am 18. Oktober 1861, die das Königtum von Gottes
Gnaden so scharf betonte, öffnete den Spalt noch tiefer. Die Ministerkrisis
wurde geradezu chronisch, sast nur noch Roon hatte das wirkliche Vertrauen
seines Herrn, und offen forderte er jetzt in mehreren eingehenden Ausführungen
(namentlich im November 1861) geradezu den Rücktritt der liberale» Minister,
da ihnen der König gegen seinen Willen schlechterdings nicht weichen dürfe.
Noch mehr verschlimmerte sich die allgemeine Lage mit der Bildung der „Fort¬
schrittspartei," und die Neuwahlen im Dezember 1861 gaben der schroffsten
Opposition die entschiedenste Mehrheit. An eine Bewilligung der schon durch¬
geführten Heeresreform und ihrer Kosten war jetzt gar nicht mehr zu denken.
Die Frage stand also jetzt so, ob der Landtag, sein unzweifelhaftes formelles
Budgetrecht brauchend, befugt sei, die Auflösung der neuen Regimenter zu
erzwingen, oder ob der König als Kriegsherr sein ebenso unzweifelhaftes Recht,
die Heeresverhältuisse zu ordnen, durchsetzen könne, d. h. ob das Königtum
oder das Abgeordnetenhaus die herrschende Macht im Staate sein sollte. So¬
bald die Frage so gestellt wurde, war sie sür König Wilhelm und Roon keine
Frage mehr. „Ein König, der ein tapferer Mann ist, kann Alles," sagte
Roon, und endlich, als das neue Abgeordnetenhaus uuter den heftigsten An¬
griffen auf das Ministerium die Heeresvvrlage verwarf und alle Kosten strich,
da traf der König seine Wahl fest und sicher in Roons Sinne. Am 11.
März 1862 wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst, die liberalen Minister er¬
hielten die erbetene Entlassung und wurden durch Geschäftsmänner konservativer
Färbung unter dem nomiuelleu Borsitze des Prinzen von Hohenlohe-Ingel-
fingen ersetzt. Die „neue Ära" war zu Ende.

Roon war jetzt voll gutes Muts, obwohl er den Eutscheidnngskampf
zwischen Königtum und Parlamentsherrschaft erst kommen sah. Und doch ver-


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[0269] Albrecht von Roon der neuen Regimenter und verlieh ihnen, als er am 2. Januar 1861 den Thron bestiegen hatte, am 18. Januar ihre Fahnen. Das neue Heer, in seinem Bestände gegen früher fast verdoppelt, stand fertig da, aber eine end- giltige Bildung war begründet auf eine einmalige provisorische Bewilligung der Geldmittel, und die Liberalen lebten sich immer tiefer in den Wahn hinein, das Ministerium habe sie planmäßig getäuscht. Noch einmal wurde der Kon¬ flikt vermieden, indem 1861 noch einmal die Mehrkosten auf ein Jahr und außerordentlicherweise bewilligt wurden, aber er war nur vertagt, nicht gelöst, und brach zuerst im Ministerium offen aus. Roon war der festen Über¬ zeugung, daß bei der zunehmenden Entfremdung zwischen dem König und den liberalen Ministern eine Umgestaltung des Ministeriums im Sinne des Königs unvermeidlich sei. Aber der Monarch trennte sich immer nur schwer von seinen alten Räten; daher scheiterte auch noch der Versuch, Bismarck, der da¬ mals Botschafter in Petersburg war, zu berufen, obwohl Roon mit ihm längst in Verbindung stand und im Juli 1861 bereits verhandelte. Die feierliche Krönung in Königsberg am 18. Oktober 1861, die das Königtum von Gottes Gnaden so scharf betonte, öffnete den Spalt noch tiefer. Die Ministerkrisis wurde geradezu chronisch, sast nur noch Roon hatte das wirkliche Vertrauen seines Herrn, und offen forderte er jetzt in mehreren eingehenden Ausführungen (namentlich im November 1861) geradezu den Rücktritt der liberale» Minister, da ihnen der König gegen seinen Willen schlechterdings nicht weichen dürfe. Noch mehr verschlimmerte sich die allgemeine Lage mit der Bildung der „Fort¬ schrittspartei," und die Neuwahlen im Dezember 1861 gaben der schroffsten Opposition die entschiedenste Mehrheit. An eine Bewilligung der schon durch¬ geführten Heeresreform und ihrer Kosten war jetzt gar nicht mehr zu denken. Die Frage stand also jetzt so, ob der Landtag, sein unzweifelhaftes formelles Budgetrecht brauchend, befugt sei, die Auflösung der neuen Regimenter zu erzwingen, oder ob der König als Kriegsherr sein ebenso unzweifelhaftes Recht, die Heeresverhältuisse zu ordnen, durchsetzen könne, d. h. ob das Königtum oder das Abgeordnetenhaus die herrschende Macht im Staate sein sollte. So¬ bald die Frage so gestellt wurde, war sie sür König Wilhelm und Roon keine Frage mehr. „Ein König, der ein tapferer Mann ist, kann Alles," sagte Roon, und endlich, als das neue Abgeordnetenhaus uuter den heftigsten An¬ griffen auf das Ministerium die Heeresvvrlage verwarf und alle Kosten strich, da traf der König seine Wahl fest und sicher in Roons Sinne. Am 11. März 1862 wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst, die liberalen Minister er¬ hielten die erbetene Entlassung und wurden durch Geschäftsmänner konservativer Färbung unter dem nomiuelleu Borsitze des Prinzen von Hohenlohe-Ingel- fingen ersetzt. Die „neue Ära" war zu Ende. Roon war jetzt voll gutes Muts, obwohl er den Eutscheidnngskampf zwischen Königtum und Parlamentsherrschaft erst kommen sah. Und doch ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/269>, abgerufen am 23.07.2024.