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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Steucrrefonn

geschehen soll, klein und mühelos, bedeutend nicht im Aufbauen, sondern nur
im Zerstören.

Vorsichtige Patrioten folgen denn auch der neuen Bahn mit schwer¬
wiegenden Bedenken. Die auf den Produktionsstätten haftenden Ertragstenern
im Betrage von mehr als hundert Millionen sollen aufgegeben und durch per¬
sönliche, zum Teil indirekte Steuern ersetzt werden. Damit wird die Sicherheit
der Staatseinnahmen, besonders in kriegerischen Zeiten, geradezu gefährdet, und
der Staatshaushalt, der schou durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen in
ein bedenkliches Schwanken gebracht worden ist, kann noch weiter und tiefer
erschüttert werden. Und das geschieht und wird in Vorschlag gebracht an¬
gesichts eines großen Defizits nicht bloß im Staate Preußen, sondern auch
im deutschen Reiche! Der § 82 des neuen Einkvmmenstenergesetzes bestimmt
bereits, daß die Überschüsse der Einkommensteuer zur Beseitigung der Grund-
und Gebüudcstener als Staatssteuer und zur Überweisung an kommunale Ver¬
bände verwandt werden sollen. Dein Patrioten bleibt also nur übrig, von
den alten bewährten Steuern soviel als möglich für den Staat zu retten.

Sogleich nach dem Erscheinen des Reichs- und Staatsanzeigers vom
25. April d. I. haben wir in dieser Zeitschrift unsre Stimme für eine weise
Beschränkung des Neformplans erhoben. Wir erneuern heute unsre dama¬
ligen Vorschläge.

Enneccerus führt weitläufig aus, daß der Staat für Grundbesitz und Ge¬
werbe -- also sür die Prvduktivnsstätten der Ertragssteuern -- keine besondern
Aufwendungen mache, deren gesonderte Vergütung dnrch Nealsteueru zu er¬
folgen habe. Nur die Gemeinden machten für Grundbesitz und Gewerbe der¬
artige Aufwendungen, also für Straßen, Brücken, Kanäle, Entwässerungen und
Bewässerungen. Die Ertragsteuern -- das ist jetzt die landläufige Parole --
seien ihrer innern Natur nach Kvmmunalabgaben; für den Staat paßten nur
persönliche, von der Leistungsfähigkeit des einzelnen abhängige Steuern. Es ist
kaum möglich, den sozialdemokratischen Gedanken einer Vermvgensteilung besser
zu bemänteln.

Den Hauptaufwand jedes Staats erfordert bekanntlich das Militär. Nun
fragen wir Herrn Enneccerus: welches Interesse hat der Berliner Kapitalist,
der einige Millionen russischer Papiere besitzt, an der Vermehrung des Mili¬
tärs, und andrerseits: welches Interesse an dieser Vermehrung, durch die die
militärische Besetzung aller Grenzkreise ermöglicht wird, hat der schlesische
Gutsbesitzer? Jedes Regiment, das an der Grenze liegt, schützt den Besitzer
wie mit einem Schirme gegen einen feindlichen Einfall, sichert ihm den Besitz
seiner kostbaren Viehherde, sichert ihm und seiner Familie Hab und Gut. Wer
weiß es nicht, daß bei feindlicher Besitznahme des Landes die Grundbesitzer
vor allen andern Ständen leiden? Der Besitzer giebt gern für den ihm durch
das Militär gewährten Schutz jede von ihm geforderte Abgabe. Was die


Die preußische Steucrrefonn

geschehen soll, klein und mühelos, bedeutend nicht im Aufbauen, sondern nur
im Zerstören.

Vorsichtige Patrioten folgen denn auch der neuen Bahn mit schwer¬
wiegenden Bedenken. Die auf den Produktionsstätten haftenden Ertragstenern
im Betrage von mehr als hundert Millionen sollen aufgegeben und durch per¬
sönliche, zum Teil indirekte Steuern ersetzt werden. Damit wird die Sicherheit
der Staatseinnahmen, besonders in kriegerischen Zeiten, geradezu gefährdet, und
der Staatshaushalt, der schou durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen in
ein bedenkliches Schwanken gebracht worden ist, kann noch weiter und tiefer
erschüttert werden. Und das geschieht und wird in Vorschlag gebracht an¬
gesichts eines großen Defizits nicht bloß im Staate Preußen, sondern auch
im deutschen Reiche! Der § 82 des neuen Einkvmmenstenergesetzes bestimmt
bereits, daß die Überschüsse der Einkommensteuer zur Beseitigung der Grund-
und Gebüudcstener als Staatssteuer und zur Überweisung an kommunale Ver¬
bände verwandt werden sollen. Dein Patrioten bleibt also nur übrig, von
den alten bewährten Steuern soviel als möglich für den Staat zu retten.

Sogleich nach dem Erscheinen des Reichs- und Staatsanzeigers vom
25. April d. I. haben wir in dieser Zeitschrift unsre Stimme für eine weise
Beschränkung des Neformplans erhoben. Wir erneuern heute unsre dama¬
ligen Vorschläge.

Enneccerus führt weitläufig aus, daß der Staat für Grundbesitz und Ge¬
werbe — also sür die Prvduktivnsstätten der Ertragssteuern — keine besondern
Aufwendungen mache, deren gesonderte Vergütung dnrch Nealsteueru zu er¬
folgen habe. Nur die Gemeinden machten für Grundbesitz und Gewerbe der¬
artige Aufwendungen, also für Straßen, Brücken, Kanäle, Entwässerungen und
Bewässerungen. Die Ertragsteuern — das ist jetzt die landläufige Parole —
seien ihrer innern Natur nach Kvmmunalabgaben; für den Staat paßten nur
persönliche, von der Leistungsfähigkeit des einzelnen abhängige Steuern. Es ist
kaum möglich, den sozialdemokratischen Gedanken einer Vermvgensteilung besser
zu bemänteln.

Den Hauptaufwand jedes Staats erfordert bekanntlich das Militär. Nun
fragen wir Herrn Enneccerus: welches Interesse hat der Berliner Kapitalist,
der einige Millionen russischer Papiere besitzt, an der Vermehrung des Mili¬
tärs, und andrerseits: welches Interesse an dieser Vermehrung, durch die die
militärische Besetzung aller Grenzkreise ermöglicht wird, hat der schlesische
Gutsbesitzer? Jedes Regiment, das an der Grenze liegt, schützt den Besitzer
wie mit einem Schirme gegen einen feindlichen Einfall, sichert ihm den Besitz
seiner kostbaren Viehherde, sichert ihm und seiner Familie Hab und Gut. Wer
weiß es nicht, daß bei feindlicher Besitznahme des Landes die Grundbesitzer
vor allen andern Ständen leiden? Der Besitzer giebt gern für den ihm durch
das Militär gewährten Schutz jede von ihm geforderte Abgabe. Was die


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[0254] Die preußische Steucrrefonn geschehen soll, klein und mühelos, bedeutend nicht im Aufbauen, sondern nur im Zerstören. Vorsichtige Patrioten folgen denn auch der neuen Bahn mit schwer¬ wiegenden Bedenken. Die auf den Produktionsstätten haftenden Ertragstenern im Betrage von mehr als hundert Millionen sollen aufgegeben und durch per¬ sönliche, zum Teil indirekte Steuern ersetzt werden. Damit wird die Sicherheit der Staatseinnahmen, besonders in kriegerischen Zeiten, geradezu gefährdet, und der Staatshaushalt, der schou durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen in ein bedenkliches Schwanken gebracht worden ist, kann noch weiter und tiefer erschüttert werden. Und das geschieht und wird in Vorschlag gebracht an¬ gesichts eines großen Defizits nicht bloß im Staate Preußen, sondern auch im deutschen Reiche! Der § 82 des neuen Einkvmmenstenergesetzes bestimmt bereits, daß die Überschüsse der Einkommensteuer zur Beseitigung der Grund- und Gebüudcstener als Staatssteuer und zur Überweisung an kommunale Ver¬ bände verwandt werden sollen. Dein Patrioten bleibt also nur übrig, von den alten bewährten Steuern soviel als möglich für den Staat zu retten. Sogleich nach dem Erscheinen des Reichs- und Staatsanzeigers vom 25. April d. I. haben wir in dieser Zeitschrift unsre Stimme für eine weise Beschränkung des Neformplans erhoben. Wir erneuern heute unsre dama¬ ligen Vorschläge. Enneccerus führt weitläufig aus, daß der Staat für Grundbesitz und Ge¬ werbe — also sür die Prvduktivnsstätten der Ertragssteuern — keine besondern Aufwendungen mache, deren gesonderte Vergütung dnrch Nealsteueru zu er¬ folgen habe. Nur die Gemeinden machten für Grundbesitz und Gewerbe der¬ artige Aufwendungen, also für Straßen, Brücken, Kanäle, Entwässerungen und Bewässerungen. Die Ertragsteuern — das ist jetzt die landläufige Parole — seien ihrer innern Natur nach Kvmmunalabgaben; für den Staat paßten nur persönliche, von der Leistungsfähigkeit des einzelnen abhängige Steuern. Es ist kaum möglich, den sozialdemokratischen Gedanken einer Vermvgensteilung besser zu bemänteln. Den Hauptaufwand jedes Staats erfordert bekanntlich das Militär. Nun fragen wir Herrn Enneccerus: welches Interesse hat der Berliner Kapitalist, der einige Millionen russischer Papiere besitzt, an der Vermehrung des Mili¬ tärs, und andrerseits: welches Interesse an dieser Vermehrung, durch die die militärische Besetzung aller Grenzkreise ermöglicht wird, hat der schlesische Gutsbesitzer? Jedes Regiment, das an der Grenze liegt, schützt den Besitzer wie mit einem Schirme gegen einen feindlichen Einfall, sichert ihm den Besitz seiner kostbaren Viehherde, sichert ihm und seiner Familie Hab und Gut. Wer weiß es nicht, daß bei feindlicher Besitznahme des Landes die Grundbesitzer vor allen andern Ständen leiden? Der Besitzer giebt gern für den ihm durch das Militär gewährten Schutz jede von ihm geforderte Abgabe. Was die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/254>, abgerufen am 23.07.2024.