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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung

auf das angemeßne Maß zurückführen, ohne sich deshalb in der einmal ge¬
faßten Neigung beirren und davon abbringen zu lassen.

Niemand wird Meister, ohne daß er Lehrgeld zahlte. Sicherlich wird
man auch über das passendste Verfahren in afrikanischen Verhältnissen am
besten und gründlichsten durch die Erfahrung belehrt werden; die natürlich
nicht immer angenehme Erfahrung lehrt früher gemachte Fehler vermeiden.
Aber wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß, wie es doch in der Natur der
Sache liegt, Fehler gemacht worden sind, wenn vielleicht zuweilen etwas Vor¬
sicht, eine Art fabischer Taktik besser am Platze gewesen wäre, als ein dreistes
Drauf- und Vorwärtsgehen, so hat doch gerade hier keiner das überlegne
Recht und die maßgebende Stellung zu einer schonungsloser Herabsetzung und
zu einer scharfen Verurteilung der Personen und ihrer Handlungen. Denn es
kommt auch dazu, daß die Person selbst nirgends für ihre Versäumnisse und
ihre Versehen so schwer büßen muß als in Afrika; selbst verhältnismäßig
geringe Fehler und Unterlassungen können sie vor eine Entscheidung über Leben
und Tod stellen, auf diesem heißen Gelände gilt es xg^or als su, xvi'Loiinö.
Möglicherweise hat man auch in der schwierigen Auswahl sowohl der be¬
ratenden und beschließenden als der ausführenden und handelnden Personen
nicht immer den richtigen Maßstab der besondern Befähigung augelegt oder
auch nicht immer das wünschenswerte Glück gehabt. Wie dem auch sein mag,
es ist eine Überspanntheit, über jede Schlappe in Wehe- und Kassandrarufe
auszubrechen. Die Übererregbarkeit zeigt sich gegenwärtig, nachdem der Tele¬
graph die noch unbestimmte Nachricht von einem Zusammenstoß der Stations¬
mannschaft von Kilossa mit den Wahehe zu uns gebracht hat. Ohne nähere
Mitteilungen über die Bedeutung des Überfalls abzuwarten, schlüge man an
einigen Stellen sofort Lärm und macht großes Aufhebens über die "neueste
Hiobspost." Wußte doch eine schnell bediente große Zeitung bereits zu melden,
daß die Mafiti und Wahehe ein "enges Bündnis" geschlossen hätten. Als
ob es den Absendern solcher Telegramme auf der Insel Sansibar möglich wäre,
über diese im Innern des Festlands hausenden und in so und so viele Stämme
zerfallenden Völkerschaften genauer Bescheid zu wissen! Die öffentliche Mei¬
nung selbst ist in der That fast vernünftig kühl gegenüber diesem übertriebnen
Alarm in gewissen Zeitungen. Wenn sich etwa herausstelle" sollte, daß der
voreilige Lärm schließlich doch weit größer gewesen ist, als das wirkliche Er¬
eignis, das natürlich sehr bedauerlich ist, schon wenn es, wie es heißt, drei
wackern Deutschen das Leben gekostet hat, so wird vielleicht die Wirkung ganz
anders sein, als man erwartet hat, nämlich daß das Publikum erst die Größe
und Tragweite eines Schadens kennen lernen will, ehe es urteilt und gegen¬
über allen beunruhigenden afrikanischen Nachrichten sehr bedächtig wird.




Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung

auf das angemeßne Maß zurückführen, ohne sich deshalb in der einmal ge¬
faßten Neigung beirren und davon abbringen zu lassen.

Niemand wird Meister, ohne daß er Lehrgeld zahlte. Sicherlich wird
man auch über das passendste Verfahren in afrikanischen Verhältnissen am
besten und gründlichsten durch die Erfahrung belehrt werden; die natürlich
nicht immer angenehme Erfahrung lehrt früher gemachte Fehler vermeiden.
Aber wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß, wie es doch in der Natur der
Sache liegt, Fehler gemacht worden sind, wenn vielleicht zuweilen etwas Vor¬
sicht, eine Art fabischer Taktik besser am Platze gewesen wäre, als ein dreistes
Drauf- und Vorwärtsgehen, so hat doch gerade hier keiner das überlegne
Recht und die maßgebende Stellung zu einer schonungsloser Herabsetzung und
zu einer scharfen Verurteilung der Personen und ihrer Handlungen. Denn es
kommt auch dazu, daß die Person selbst nirgends für ihre Versäumnisse und
ihre Versehen so schwer büßen muß als in Afrika; selbst verhältnismäßig
geringe Fehler und Unterlassungen können sie vor eine Entscheidung über Leben
und Tod stellen, auf diesem heißen Gelände gilt es xg^or als su, xvi'Loiinö.
Möglicherweise hat man auch in der schwierigen Auswahl sowohl der be¬
ratenden und beschließenden als der ausführenden und handelnden Personen
nicht immer den richtigen Maßstab der besondern Befähigung augelegt oder
auch nicht immer das wünschenswerte Glück gehabt. Wie dem auch sein mag,
es ist eine Überspanntheit, über jede Schlappe in Wehe- und Kassandrarufe
auszubrechen. Die Übererregbarkeit zeigt sich gegenwärtig, nachdem der Tele¬
graph die noch unbestimmte Nachricht von einem Zusammenstoß der Stations¬
mannschaft von Kilossa mit den Wahehe zu uns gebracht hat. Ohne nähere
Mitteilungen über die Bedeutung des Überfalls abzuwarten, schlüge man an
einigen Stellen sofort Lärm und macht großes Aufhebens über die „neueste
Hiobspost." Wußte doch eine schnell bediente große Zeitung bereits zu melden,
daß die Mafiti und Wahehe ein „enges Bündnis" geschlossen hätten. Als
ob es den Absendern solcher Telegramme auf der Insel Sansibar möglich wäre,
über diese im Innern des Festlands hausenden und in so und so viele Stämme
zerfallenden Völkerschaften genauer Bescheid zu wissen! Die öffentliche Mei¬
nung selbst ist in der That fast vernünftig kühl gegenüber diesem übertriebnen
Alarm in gewissen Zeitungen. Wenn sich etwa herausstelle» sollte, daß der
voreilige Lärm schließlich doch weit größer gewesen ist, als das wirkliche Er¬
eignis, das natürlich sehr bedauerlich ist, schon wenn es, wie es heißt, drei
wackern Deutschen das Leben gekostet hat, so wird vielleicht die Wirkung ganz
anders sein, als man erwartet hat, nämlich daß das Publikum erst die Größe
und Tragweite eines Schadens kennen lernen will, ehe es urteilt und gegen¬
über allen beunruhigenden afrikanischen Nachrichten sehr bedächtig wird.




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[0216] Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung auf das angemeßne Maß zurückführen, ohne sich deshalb in der einmal ge¬ faßten Neigung beirren und davon abbringen zu lassen. Niemand wird Meister, ohne daß er Lehrgeld zahlte. Sicherlich wird man auch über das passendste Verfahren in afrikanischen Verhältnissen am besten und gründlichsten durch die Erfahrung belehrt werden; die natürlich nicht immer angenehme Erfahrung lehrt früher gemachte Fehler vermeiden. Aber wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß, wie es doch in der Natur der Sache liegt, Fehler gemacht worden sind, wenn vielleicht zuweilen etwas Vor¬ sicht, eine Art fabischer Taktik besser am Platze gewesen wäre, als ein dreistes Drauf- und Vorwärtsgehen, so hat doch gerade hier keiner das überlegne Recht und die maßgebende Stellung zu einer schonungsloser Herabsetzung und zu einer scharfen Verurteilung der Personen und ihrer Handlungen. Denn es kommt auch dazu, daß die Person selbst nirgends für ihre Versäumnisse und ihre Versehen so schwer büßen muß als in Afrika; selbst verhältnismäßig geringe Fehler und Unterlassungen können sie vor eine Entscheidung über Leben und Tod stellen, auf diesem heißen Gelände gilt es xg^or als su, xvi'Loiinö. Möglicherweise hat man auch in der schwierigen Auswahl sowohl der be¬ ratenden und beschließenden als der ausführenden und handelnden Personen nicht immer den richtigen Maßstab der besondern Befähigung augelegt oder auch nicht immer das wünschenswerte Glück gehabt. Wie dem auch sein mag, es ist eine Überspanntheit, über jede Schlappe in Wehe- und Kassandrarufe auszubrechen. Die Übererregbarkeit zeigt sich gegenwärtig, nachdem der Tele¬ graph die noch unbestimmte Nachricht von einem Zusammenstoß der Stations¬ mannschaft von Kilossa mit den Wahehe zu uns gebracht hat. Ohne nähere Mitteilungen über die Bedeutung des Überfalls abzuwarten, schlüge man an einigen Stellen sofort Lärm und macht großes Aufhebens über die „neueste Hiobspost." Wußte doch eine schnell bediente große Zeitung bereits zu melden, daß die Mafiti und Wahehe ein „enges Bündnis" geschlossen hätten. Als ob es den Absendern solcher Telegramme auf der Insel Sansibar möglich wäre, über diese im Innern des Festlands hausenden und in so und so viele Stämme zerfallenden Völkerschaften genauer Bescheid zu wissen! Die öffentliche Mei¬ nung selbst ist in der That fast vernünftig kühl gegenüber diesem übertriebnen Alarm in gewissen Zeitungen. Wenn sich etwa herausstelle» sollte, daß der voreilige Lärm schließlich doch weit größer gewesen ist, als das wirkliche Er¬ eignis, das natürlich sehr bedauerlich ist, schon wenn es, wie es heißt, drei wackern Deutschen das Leben gekostet hat, so wird vielleicht die Wirkung ganz anders sein, als man erwartet hat, nämlich daß das Publikum erst die Größe und Tragweite eines Schadens kennen lernen will, ehe es urteilt und gegen¬ über allen beunruhigenden afrikanischen Nachrichten sehr bedächtig wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/216>, abgerufen am 22.12.2024.