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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung

der Erde gab, ohne langes Bedenken und ohne viele schonende Rücksichten
Beschlag legten, wenn man auch die Billigung ihres Vorgehens durch ihre
heimische Regierung als von keiner großen Bewegung erzwungen ansehen will,
so war doch die öffentliche Meinung eben für ein solches Beginnen reif und
innerlich vorbereitet. Wenn man eine Notwendigkeit in dem Gange der Ge¬
schichte anerkennt, so muß man auch zugeben, daß diese Ereignisse sich viel¬
leicht unter andern Formen und durch das Mittel andrer Personen, aber im
wesentlichen in derselben Weise, wie es wirklich geschehen ist, in unsrer Zeit
vollziehen mußten: die Aufrichtung eines mächtigen Reiches der europäischen
Mitte mußte die Aufteilung der ganzen bekannten Erde unter die europäischen
Völker nach sich ziehen. Das ist es, was die öffentliche Meinung weiß oder
fühlt, weshalb sie sich nicht gegen die Besitzergreifung von Kolonien erklärt
hat und erklären konnte, und weshalb sie ihnen ihre Gunst bewahrt und
nicht entzieht; diese den Kolonien günstige öffentliche Meinung ist keine Ein¬
tagsfliege.

Leider ist der innere Hader ein altes deutsches Erbstück, das nicht ab¬
gelegt und veräußert wird. Wenn ihm der eine Gegenstand, über den er sich
erregt, entrissen wird, so beeilt er sich, sich an einem geeignete" andern zu
vergreifen. Aber es wäre doch nicht richtig, der bedauerlichen ewigen Mei¬
nungsverschiedenheit der Menschen und der Parteien allzuviel Bedeutung bei¬
zulegen. Wir glauben, daß selbst die Sozialdemokratie, die sich so feindlich
gegen die "heutige Gesellschaft" und so radikal geberdet, die Rcichseinheit un¬
angetastet lassen würde, daß sie Deutschland gegen einen äußern Feind ver¬
teidigen helfen würde, und daß sie ans den Versuch, die Kultur unter die
Menschen andrer Hautfarbe und Rasse zu tragen, keineswegs verzichten würde.
Im Grunde behauptet sie nur immer, was uns freilich sehr zweifelhaft er¬
scheint, daß sie das alles besser machen und besorgen würde, als es heute ge¬
schieht. So kommen wir zu dem Schluß, daß die manchmal so geräuschvolle
Kolonialgegnerschaft lange nicht so ernst zu nehme" ist, wie mau es zuweilen
zu thun geneigt ist. Die Gegner sind sogar zum Teil laue Anhänger, zum
Teil verkappte Freunde, die nur über die Zweckmäßigkeit des Handelns, über
das Wie andrer Meinung sind. Die Stärke der eigentlichen Gegner und der
durchaus zuverlässigen Freunde läßt sich natürlich nicht zahlenmäßig "fest¬
legen," noch weniger als die aller Gegner und Freunde, wenn es überhaupt
anginge und möglich wäre, hier wie anderswo zwei solche Klassen bestimmt
zu unterscheiden. Aber man muß doch Gewicht darauf legen, daß die ver-
schiednen kolonialen Verbindungen, Vereinigungen, Gesellschaften und Unter¬
nehmungen an Mitgliedern, Teilnehmern und Förderern keine Einbuße er¬
litten haben, sondern weiter blühen und gedeihen.

Vor allem erfreut sich die deutsche Kolonialgesellschaft, die der Mittel¬
punkt für alle kolonialen Bestrebungen ist. der stattlichen Zahl von 19000


Grenzboten IV 1892 26
Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung

der Erde gab, ohne langes Bedenken und ohne viele schonende Rücksichten
Beschlag legten, wenn man auch die Billigung ihres Vorgehens durch ihre
heimische Regierung als von keiner großen Bewegung erzwungen ansehen will,
so war doch die öffentliche Meinung eben für ein solches Beginnen reif und
innerlich vorbereitet. Wenn man eine Notwendigkeit in dem Gange der Ge¬
schichte anerkennt, so muß man auch zugeben, daß diese Ereignisse sich viel¬
leicht unter andern Formen und durch das Mittel andrer Personen, aber im
wesentlichen in derselben Weise, wie es wirklich geschehen ist, in unsrer Zeit
vollziehen mußten: die Aufrichtung eines mächtigen Reiches der europäischen
Mitte mußte die Aufteilung der ganzen bekannten Erde unter die europäischen
Völker nach sich ziehen. Das ist es, was die öffentliche Meinung weiß oder
fühlt, weshalb sie sich nicht gegen die Besitzergreifung von Kolonien erklärt
hat und erklären konnte, und weshalb sie ihnen ihre Gunst bewahrt und
nicht entzieht; diese den Kolonien günstige öffentliche Meinung ist keine Ein¬
tagsfliege.

Leider ist der innere Hader ein altes deutsches Erbstück, das nicht ab¬
gelegt und veräußert wird. Wenn ihm der eine Gegenstand, über den er sich
erregt, entrissen wird, so beeilt er sich, sich an einem geeignete« andern zu
vergreifen. Aber es wäre doch nicht richtig, der bedauerlichen ewigen Mei¬
nungsverschiedenheit der Menschen und der Parteien allzuviel Bedeutung bei¬
zulegen. Wir glauben, daß selbst die Sozialdemokratie, die sich so feindlich
gegen die „heutige Gesellschaft" und so radikal geberdet, die Rcichseinheit un¬
angetastet lassen würde, daß sie Deutschland gegen einen äußern Feind ver¬
teidigen helfen würde, und daß sie ans den Versuch, die Kultur unter die
Menschen andrer Hautfarbe und Rasse zu tragen, keineswegs verzichten würde.
Im Grunde behauptet sie nur immer, was uns freilich sehr zweifelhaft er¬
scheint, daß sie das alles besser machen und besorgen würde, als es heute ge¬
schieht. So kommen wir zu dem Schluß, daß die manchmal so geräuschvolle
Kolonialgegnerschaft lange nicht so ernst zu nehme» ist, wie mau es zuweilen
zu thun geneigt ist. Die Gegner sind sogar zum Teil laue Anhänger, zum
Teil verkappte Freunde, die nur über die Zweckmäßigkeit des Handelns, über
das Wie andrer Meinung sind. Die Stärke der eigentlichen Gegner und der
durchaus zuverlässigen Freunde läßt sich natürlich nicht zahlenmäßig „fest¬
legen," noch weniger als die aller Gegner und Freunde, wenn es überhaupt
anginge und möglich wäre, hier wie anderswo zwei solche Klassen bestimmt
zu unterscheiden. Aber man muß doch Gewicht darauf legen, daß die ver-
schiednen kolonialen Verbindungen, Vereinigungen, Gesellschaften und Unter¬
nehmungen an Mitgliedern, Teilnehmern und Förderern keine Einbuße er¬
litten haben, sondern weiter blühen und gedeihen.

Vor allem erfreut sich die deutsche Kolonialgesellschaft, die der Mittel¬
punkt für alle kolonialen Bestrebungen ist. der stattlichen Zahl von 19000


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[0209] Die deutsche Rolonialpolitik und die öffentliche Meinung der Erde gab, ohne langes Bedenken und ohne viele schonende Rücksichten Beschlag legten, wenn man auch die Billigung ihres Vorgehens durch ihre heimische Regierung als von keiner großen Bewegung erzwungen ansehen will, so war doch die öffentliche Meinung eben für ein solches Beginnen reif und innerlich vorbereitet. Wenn man eine Notwendigkeit in dem Gange der Ge¬ schichte anerkennt, so muß man auch zugeben, daß diese Ereignisse sich viel¬ leicht unter andern Formen und durch das Mittel andrer Personen, aber im wesentlichen in derselben Weise, wie es wirklich geschehen ist, in unsrer Zeit vollziehen mußten: die Aufrichtung eines mächtigen Reiches der europäischen Mitte mußte die Aufteilung der ganzen bekannten Erde unter die europäischen Völker nach sich ziehen. Das ist es, was die öffentliche Meinung weiß oder fühlt, weshalb sie sich nicht gegen die Besitzergreifung von Kolonien erklärt hat und erklären konnte, und weshalb sie ihnen ihre Gunst bewahrt und nicht entzieht; diese den Kolonien günstige öffentliche Meinung ist keine Ein¬ tagsfliege. Leider ist der innere Hader ein altes deutsches Erbstück, das nicht ab¬ gelegt und veräußert wird. Wenn ihm der eine Gegenstand, über den er sich erregt, entrissen wird, so beeilt er sich, sich an einem geeignete« andern zu vergreifen. Aber es wäre doch nicht richtig, der bedauerlichen ewigen Mei¬ nungsverschiedenheit der Menschen und der Parteien allzuviel Bedeutung bei¬ zulegen. Wir glauben, daß selbst die Sozialdemokratie, die sich so feindlich gegen die „heutige Gesellschaft" und so radikal geberdet, die Rcichseinheit un¬ angetastet lassen würde, daß sie Deutschland gegen einen äußern Feind ver¬ teidigen helfen würde, und daß sie ans den Versuch, die Kultur unter die Menschen andrer Hautfarbe und Rasse zu tragen, keineswegs verzichten würde. Im Grunde behauptet sie nur immer, was uns freilich sehr zweifelhaft er¬ scheint, daß sie das alles besser machen und besorgen würde, als es heute ge¬ schieht. So kommen wir zu dem Schluß, daß die manchmal so geräuschvolle Kolonialgegnerschaft lange nicht so ernst zu nehme» ist, wie mau es zuweilen zu thun geneigt ist. Die Gegner sind sogar zum Teil laue Anhänger, zum Teil verkappte Freunde, die nur über die Zweckmäßigkeit des Handelns, über das Wie andrer Meinung sind. Die Stärke der eigentlichen Gegner und der durchaus zuverlässigen Freunde läßt sich natürlich nicht zahlenmäßig „fest¬ legen," noch weniger als die aller Gegner und Freunde, wenn es überhaupt anginge und möglich wäre, hier wie anderswo zwei solche Klassen bestimmt zu unterscheiden. Aber man muß doch Gewicht darauf legen, daß die ver- schiednen kolonialen Verbindungen, Vereinigungen, Gesellschaften und Unter¬ nehmungen an Mitgliedern, Teilnehmern und Förderern keine Einbuße er¬ litten haben, sondern weiter blühen und gedeihen. Vor allem erfreut sich die deutsche Kolonialgesellschaft, die der Mittel¬ punkt für alle kolonialen Bestrebungen ist. der stattlichen Zahl von 19000 Grenzboten IV 1892 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/209>, abgerufen am 23.07.2024.