Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Friedrich Hölderlin mit der schönen Hamburgerin Susanne Borkenstein vermählt war, und dessen Auch in Litzmanns Biographie wird die alte Streitfrage wieder erörtert, Friedrich Hölderlin mit der schönen Hamburgerin Susanne Borkenstein vermählt war, und dessen Auch in Litzmanns Biographie wird die alte Streitfrage wieder erörtert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213290"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich Hölderlin</fw><lb/> <p xml:id="ID_480" prev="#ID_479"> mit der schönen Hamburgerin Susanne Borkenstein vermählt war, und dessen<lb/> Kinder Hölderlin zu unterrichten hatte. Er zeigte anfänglich eine gewisse Vor¬<lb/> sicht und Zurückhaltung gegenüber dem »enen Familienkreis und wußte wohl,<lb/> daß er die Neigung hatte, in gewöhnliche Naturen allzuviel hineinzutragen.<lb/> Herrn Goulard gegenüber war auch die Vorsicht sicher am Platze. Unberührt<lb/> von dem mildern Hauch der Zeit, von der idealen Anschauung, die in der<lb/> Gemeinsamkeit der Bildung auch einen gemeinsamen Lebensboten erblickte,<lb/> war er ein stattlicher Patrizier alten Stils, stolz auf sein Vermögen und sein<lb/> angesehenes Haus. „Bezeichnend für den Sinn der Familie ist es, daß seine<lb/> jüngste Schwester Margarethe ihrer Liebe zu einem angesehenen Arzte ent¬<lb/> sagen mußte, weil die Mutter sowohl wie die Brüder in einer solchen Ver¬<lb/> bindung eine Erniedrigung ihres Hauses sahen," erzählt Litzmann. Anders<lb/> stand es um die Gattin des stolzen Kaufherrn. Obschon auch sie aus reicher,<lb/> angesehener Kaufmannsfamilie stammte, gehörte sie doch zu den edeln und<lb/> seelisch tiefen Frauen des achtzehnten Jahrhunderts, für die die äußern Glücks-<lb/> umstände wenig, die schöne Natur und der strebende Geist alles waren. Sie<lb/> erkannte den innern Adel Hölderlins schnell, und der Sommer des Jahres<lb/> 1796, wo der Dichter Frau Goulard und ihre Kinder nach Kassel und ins<lb/> Bad Driburg begleitete, offenbarte ihm, daß wenigstens eines seiner Ideale<lb/> verkörpert durch die Welt wandelte. /.Lieblichkeit und Hoheit und Ruh und<lb/> Leben und Geist und Gemüt und Gestalt ist ein seliges Eins in diesem<lb/> Wesen." Die Schönheit, die Anmut, die Gemütswärme und der Edelsinn<lb/> seiner Herrin ergriffen, fesselten und beglückten Hölderlin, er war in einer<lb/> neuen Welt, er fühlte sich vom Frühlingslichte „verjüngt, gestärkt, erheitert,<lb/> verherrlicht," ein Gefühl, dem er keinen Namen geben wollte und konnte,<lb/> durchdrang ihn.</p><lb/> <p xml:id="ID_481" next="#ID_482"> Auch in Litzmanns Biographie wird die alte Streitfrage wieder erörtert,<lb/> ob Hölderlin für „Diotima" eine heiße und mannhaft niedergekämpfte Leiden¬<lb/> schaft empfunden oder sich nur „durch eine ewige, fröhlich-heilige Freund¬<lb/> schaft" mit diesem seltenen Wesen verbunden gefühlt habe. Während Wil-<lb/> brandt in seinem vortrefflichen Aufsatz über Hölderlin („Hölderlin, der Dichter<lb/> des Pantheismus." Historisches Taschenbuch, 1871) sagt, daß das als ideale<lb/> Freundschaft begonnene Gefühl „in stiller Unaufhaltsamkeit zur Liebe wuchs,<lb/> bis es ihm und ihr den Abgrund zeigte, der entweder ihr sittliches Dasein<lb/> oder ihr Glück verschlang. Wie das alles sich entwickelte, wie weit — bei<lb/> aller Reinheit der Gesinnung — sie doch die Leidenschaft führte, darüber<lb/> klären uus keine unmittelbaren Zeugnisse auf, nur seiue Dichtungen lassen uns<lb/> den Schleier lüften und die Stärke, die Kämpfe und den sittlichen Heroismus<lb/> dieser Liebe ermessen," liest Litzmann mit Bestimmtheit aus den Briefen und<lb/> Gedichten heraus, daß „Diotima" dem jungen Dichter mir „schwesterliche<lb/> Freundin" und „Schutzgeist" gewesen sei, meint: „Keine Zeile, weder der Briefe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
Friedrich Hölderlin
mit der schönen Hamburgerin Susanne Borkenstein vermählt war, und dessen
Kinder Hölderlin zu unterrichten hatte. Er zeigte anfänglich eine gewisse Vor¬
sicht und Zurückhaltung gegenüber dem »enen Familienkreis und wußte wohl,
daß er die Neigung hatte, in gewöhnliche Naturen allzuviel hineinzutragen.
Herrn Goulard gegenüber war auch die Vorsicht sicher am Platze. Unberührt
von dem mildern Hauch der Zeit, von der idealen Anschauung, die in der
Gemeinsamkeit der Bildung auch einen gemeinsamen Lebensboten erblickte,
war er ein stattlicher Patrizier alten Stils, stolz auf sein Vermögen und sein
angesehenes Haus. „Bezeichnend für den Sinn der Familie ist es, daß seine
jüngste Schwester Margarethe ihrer Liebe zu einem angesehenen Arzte ent¬
sagen mußte, weil die Mutter sowohl wie die Brüder in einer solchen Ver¬
bindung eine Erniedrigung ihres Hauses sahen," erzählt Litzmann. Anders
stand es um die Gattin des stolzen Kaufherrn. Obschon auch sie aus reicher,
angesehener Kaufmannsfamilie stammte, gehörte sie doch zu den edeln und
seelisch tiefen Frauen des achtzehnten Jahrhunderts, für die die äußern Glücks-
umstände wenig, die schöne Natur und der strebende Geist alles waren. Sie
erkannte den innern Adel Hölderlins schnell, und der Sommer des Jahres
1796, wo der Dichter Frau Goulard und ihre Kinder nach Kassel und ins
Bad Driburg begleitete, offenbarte ihm, daß wenigstens eines seiner Ideale
verkörpert durch die Welt wandelte. /.Lieblichkeit und Hoheit und Ruh und
Leben und Geist und Gemüt und Gestalt ist ein seliges Eins in diesem
Wesen." Die Schönheit, die Anmut, die Gemütswärme und der Edelsinn
seiner Herrin ergriffen, fesselten und beglückten Hölderlin, er war in einer
neuen Welt, er fühlte sich vom Frühlingslichte „verjüngt, gestärkt, erheitert,
verherrlicht," ein Gefühl, dem er keinen Namen geben wollte und konnte,
durchdrang ihn.
Auch in Litzmanns Biographie wird die alte Streitfrage wieder erörtert,
ob Hölderlin für „Diotima" eine heiße und mannhaft niedergekämpfte Leiden¬
schaft empfunden oder sich nur „durch eine ewige, fröhlich-heilige Freund¬
schaft" mit diesem seltenen Wesen verbunden gefühlt habe. Während Wil-
brandt in seinem vortrefflichen Aufsatz über Hölderlin („Hölderlin, der Dichter
des Pantheismus." Historisches Taschenbuch, 1871) sagt, daß das als ideale
Freundschaft begonnene Gefühl „in stiller Unaufhaltsamkeit zur Liebe wuchs,
bis es ihm und ihr den Abgrund zeigte, der entweder ihr sittliches Dasein
oder ihr Glück verschlang. Wie das alles sich entwickelte, wie weit — bei
aller Reinheit der Gesinnung — sie doch die Leidenschaft führte, darüber
klären uus keine unmittelbaren Zeugnisse auf, nur seiue Dichtungen lassen uns
den Schleier lüften und die Stärke, die Kämpfe und den sittlichen Heroismus
dieser Liebe ermessen," liest Litzmann mit Bestimmtheit aus den Briefen und
Gedichten heraus, daß „Diotima" dem jungen Dichter mir „schwesterliche
Freundin" und „Schutzgeist" gewesen sei, meint: „Keine Zeile, weder der Briefe
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