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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Line etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache

Verschwendung sondergleichen. Die Bevölkerung einer Stadt wie Hamburg
verzehrt ungefähr ebensoviel wie die ländliche Bevölkerung eines halben Re¬
gierungsbezirks. Während nun die ländliche Bevölkerung ihren Abgang
wieder aufs Feld hinausbringt und neu verwertet, spült Hamburg seine Ab¬
gänge ins Meer. Man berechne, welche Werte auf diese Weise im Laufe der
Jahre dem Lande verloren gehen. Das Land ersetzt den Verlust an Düng¬
stoffen durch künstlichen Dünger und giebt für diesen künstlichen Dünger jähr¬
lich Millionen aus. Es würde bei besserer Dungwirtschaft den künstlichen
Dünger nicht entbehren, und dabei große Summen ersparen können. Man
stellt Handelsbilanzen auf, eben so wichtig wären Düngerbilanzen. Denn der
Grundwert ist und bleibt das Korn, und zum Kornbau braucht mau Dünger.
Jener alte Kantor, der mit der Papierdüte in der Hand auf der Landstraße
aufsuchte, was die Schafherde verloren hatte, ist oft belacht worden, er war
aber im Grunde ein feiner Kopf. Man darf nichts umkommen lassen.

Das einzig vernünftige Verfahren besteht in der Abfuhr. Es ist nicht
nötig, die Sache in so ursprünglicher Weise zu betreiben, wie die Bauern mit
ihren ungeschloßnen Wagen, die ihre duftigen Spuren auf die Straßen malen,
sie kann mit aller Sauberkeit mit Hilfe von Dampfmaschinen und Kesselwagen
ausgeführt werden. Es ist durchaus kein undenkbarer Gedanke, daß die Ab¬
fuhrstoffe großer Städte in besondern Anstalten in eine transportable Gestalt
gebracht und durch besondre Düngerzüge wieder ins Land hinausgefahren
werden. Für Hamburg giebt es eigentlich keine andre Hilfe, als die Ein¬
führung eines sorgfältig gehandhabten Abfuhrsystems. Die Flusse müssen für
sakrosankt erklärt werden. Wer das Waffer verunreinigt, muß als Gift¬
mischer bestraft werden.

Hier liegt ein alter, schwerer Schaden vor. Nicht bloß in Ham¬
burg, sondern mehr oder weniger überall. Die Cholera ist eine Wasser¬
krankheit.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich eine Besserung erreichen läßt, wenn
man es dem guten Willen der Bevölkerung überläßt, was sie thun will, und
was nicht. Wir bedürfen des Antriebs und der Regelung durch das Gesetz.
Wir brauchen ein Seuchengesetz. Viehseuchengesetze haben wir, ein Menschen-
senchengesetz haben wir nicht. Ist das nicht lächerlich? Es erinnert an die
Grundsätze gewisser Reiteroffiziere, die die Pferde der Schwadron mit größter
Sorgfalt behandeln, aber nichts darnach fragen, ob der Mann den Hals bricht.
Denn der Mann kostet kein Geld.

Wenn sich Gemeinden zuziehenden Hamburgern gegenüber abschlossen, so
hat das mancherlei Gründe gehabt, zum Beispiel Geschäftsgründe. In erster
Linie waren es Badeorte, die sich abschlossen. Es war serner der Unmut der Be¬
völkerung einer Stadt gegenüber, die ihre Schuldigkeit zu thun versäumt und
das ganze Land in schwere Gefahr gebracht hatte. In diesem Unmute ward


Line etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache

Verschwendung sondergleichen. Die Bevölkerung einer Stadt wie Hamburg
verzehrt ungefähr ebensoviel wie die ländliche Bevölkerung eines halben Re¬
gierungsbezirks. Während nun die ländliche Bevölkerung ihren Abgang
wieder aufs Feld hinausbringt und neu verwertet, spült Hamburg seine Ab¬
gänge ins Meer. Man berechne, welche Werte auf diese Weise im Laufe der
Jahre dem Lande verloren gehen. Das Land ersetzt den Verlust an Düng¬
stoffen durch künstlichen Dünger und giebt für diesen künstlichen Dünger jähr¬
lich Millionen aus. Es würde bei besserer Dungwirtschaft den künstlichen
Dünger nicht entbehren, und dabei große Summen ersparen können. Man
stellt Handelsbilanzen auf, eben so wichtig wären Düngerbilanzen. Denn der
Grundwert ist und bleibt das Korn, und zum Kornbau braucht mau Dünger.
Jener alte Kantor, der mit der Papierdüte in der Hand auf der Landstraße
aufsuchte, was die Schafherde verloren hatte, ist oft belacht worden, er war
aber im Grunde ein feiner Kopf. Man darf nichts umkommen lassen.

Das einzig vernünftige Verfahren besteht in der Abfuhr. Es ist nicht
nötig, die Sache in so ursprünglicher Weise zu betreiben, wie die Bauern mit
ihren ungeschloßnen Wagen, die ihre duftigen Spuren auf die Straßen malen,
sie kann mit aller Sauberkeit mit Hilfe von Dampfmaschinen und Kesselwagen
ausgeführt werden. Es ist durchaus kein undenkbarer Gedanke, daß die Ab¬
fuhrstoffe großer Städte in besondern Anstalten in eine transportable Gestalt
gebracht und durch besondre Düngerzüge wieder ins Land hinausgefahren
werden. Für Hamburg giebt es eigentlich keine andre Hilfe, als die Ein¬
führung eines sorgfältig gehandhabten Abfuhrsystems. Die Flusse müssen für
sakrosankt erklärt werden. Wer das Waffer verunreinigt, muß als Gift¬
mischer bestraft werden.

Hier liegt ein alter, schwerer Schaden vor. Nicht bloß in Ham¬
burg, sondern mehr oder weniger überall. Die Cholera ist eine Wasser¬
krankheit.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich eine Besserung erreichen läßt, wenn
man es dem guten Willen der Bevölkerung überläßt, was sie thun will, und
was nicht. Wir bedürfen des Antriebs und der Regelung durch das Gesetz.
Wir brauchen ein Seuchengesetz. Viehseuchengesetze haben wir, ein Menschen-
senchengesetz haben wir nicht. Ist das nicht lächerlich? Es erinnert an die
Grundsätze gewisser Reiteroffiziere, die die Pferde der Schwadron mit größter
Sorgfalt behandeln, aber nichts darnach fragen, ob der Mann den Hals bricht.
Denn der Mann kostet kein Geld.

Wenn sich Gemeinden zuziehenden Hamburgern gegenüber abschlossen, so
hat das mancherlei Gründe gehabt, zum Beispiel Geschäftsgründe. In erster
Linie waren es Badeorte, die sich abschlossen. Es war serner der Unmut der Be¬
völkerung einer Stadt gegenüber, die ihre Schuldigkeit zu thun versäumt und
das ganze Land in schwere Gefahr gebracht hatte. In diesem Unmute ward


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[0016] Line etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache Verschwendung sondergleichen. Die Bevölkerung einer Stadt wie Hamburg verzehrt ungefähr ebensoviel wie die ländliche Bevölkerung eines halben Re¬ gierungsbezirks. Während nun die ländliche Bevölkerung ihren Abgang wieder aufs Feld hinausbringt und neu verwertet, spült Hamburg seine Ab¬ gänge ins Meer. Man berechne, welche Werte auf diese Weise im Laufe der Jahre dem Lande verloren gehen. Das Land ersetzt den Verlust an Düng¬ stoffen durch künstlichen Dünger und giebt für diesen künstlichen Dünger jähr¬ lich Millionen aus. Es würde bei besserer Dungwirtschaft den künstlichen Dünger nicht entbehren, und dabei große Summen ersparen können. Man stellt Handelsbilanzen auf, eben so wichtig wären Düngerbilanzen. Denn der Grundwert ist und bleibt das Korn, und zum Kornbau braucht mau Dünger. Jener alte Kantor, der mit der Papierdüte in der Hand auf der Landstraße aufsuchte, was die Schafherde verloren hatte, ist oft belacht worden, er war aber im Grunde ein feiner Kopf. Man darf nichts umkommen lassen. Das einzig vernünftige Verfahren besteht in der Abfuhr. Es ist nicht nötig, die Sache in so ursprünglicher Weise zu betreiben, wie die Bauern mit ihren ungeschloßnen Wagen, die ihre duftigen Spuren auf die Straßen malen, sie kann mit aller Sauberkeit mit Hilfe von Dampfmaschinen und Kesselwagen ausgeführt werden. Es ist durchaus kein undenkbarer Gedanke, daß die Ab¬ fuhrstoffe großer Städte in besondern Anstalten in eine transportable Gestalt gebracht und durch besondre Düngerzüge wieder ins Land hinausgefahren werden. Für Hamburg giebt es eigentlich keine andre Hilfe, als die Ein¬ führung eines sorgfältig gehandhabten Abfuhrsystems. Die Flusse müssen für sakrosankt erklärt werden. Wer das Waffer verunreinigt, muß als Gift¬ mischer bestraft werden. Hier liegt ein alter, schwerer Schaden vor. Nicht bloß in Ham¬ burg, sondern mehr oder weniger überall. Die Cholera ist eine Wasser¬ krankheit. Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich eine Besserung erreichen läßt, wenn man es dem guten Willen der Bevölkerung überläßt, was sie thun will, und was nicht. Wir bedürfen des Antriebs und der Regelung durch das Gesetz. Wir brauchen ein Seuchengesetz. Viehseuchengesetze haben wir, ein Menschen- senchengesetz haben wir nicht. Ist das nicht lächerlich? Es erinnert an die Grundsätze gewisser Reiteroffiziere, die die Pferde der Schwadron mit größter Sorgfalt behandeln, aber nichts darnach fragen, ob der Mann den Hals bricht. Denn der Mann kostet kein Geld. Wenn sich Gemeinden zuziehenden Hamburgern gegenüber abschlossen, so hat das mancherlei Gründe gehabt, zum Beispiel Geschäftsgründe. In erster Linie waren es Badeorte, die sich abschlossen. Es war serner der Unmut der Be¬ völkerung einer Stadt gegenüber, die ihre Schuldigkeit zu thun versäumt und das ganze Land in schwere Gefahr gebracht hatte. In diesem Unmute ward

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/16>, abgerufen am 22.12.2024.