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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferien, Bäder und Landstraßen

Behausungen, musikalische Ohrenschmänse, Tanzvergnügungen, Spiele, Sport,
Skat, echte Braus und Kinderfeste, für das alles muß reichlich gesorgt sein.
Die Langeweile, die sich merkwürdigerweise in dem clolvö lÄr ni<z"w leicht ein¬
stellt und das Vadeleben verleidet, darf gar nicht aufkommen, sie ist mit allen
Mitteln wegzubannen. Die Verpflegung der Gäste darf selbstverständlich
nichts zu wünschen übrig lassen, denn diese selbst sorgen nicht für den kom¬
menden Tag und für des Leibes Notdurft und Nahrung, sondern lassen sich
vorsetzen und begnügen sich mit der Anstrengung des Zugreifens: das reine
Schlaraffenleben. Auch die natürlichen Vorzüge der Lage eines Badeortes
sollen so sein, daß er ein kleines Paradies auf Erden bildet, man kann be¬
obachten, daß die Ferienreisenden auch ihre Ansprüche an die Natur und die
landschaftlichen Reize höher und höher schrauben; findet jemand einen Ort an
der norddeutschen Küste idyllisch, lieblich, herrlich, so kann er das Unglück
haben, von einem Weitgereisten belehrt zu werden, daß er erst in Norwegen
wirklich schöne Punkte und Gegenden kennen lernen könne. Die Hauptsache
ist aber schließlich uicht, daß das Badeleben lustig ist, sondern daß es so ge¬
sund ist, so sehr gesund! Jeder Gast trägt das erhebende Bewußtsein mit sich
herum, daß er mit allem, was er thut, der hehren Pflicht der Erhaltung und
Förderung seiner werten Gesundheit genügt, dies Bewußtsein verleiht ihm
eine höhere Weihe, und um gestärkt hofft er, den sich nähernden bösen nor¬
dischen Feind, den Winter, glücklich zu überstehen. Es muß in den "Fremden"
ein stolzes Gefühl wachrufen, daß ihnen, damit sie gesund werden und bleiben,
gewissermaßen der ganze Fleck Erde, der das Bad ausmacht, und die gesamte
Einwohnerschaft, die "Eingebornen," unbeschränkt zur Verfügung gestellt sind.
Ach, das Leben un als sivolv ist doch schön! Die Bade- und Touristenorte
sind wirklich die Schoßkinder unsrer Zeit. Als das Gesetz über die Sonn¬
tagsruhe eingeführt wurde, wurden amtliche Ausnahmebestimmungen erlassen,
damit die Lieblingskinder keine Klagen anstimmten, denn ihr Klagen und
Jammern wäre am wenigsten zu ertragen. Als die grimmige Cholera ins
deutsche Land einzog, ängstete man sich sofort in den Bädern und um die
Bäder, und ihre Besucher und beeilte sich, Anstalten, zuweilen übertriebne
Anstalten zu treffen, damit auch sie vor jeder Ansteckung bewahrt blieben,
man wußte, was für die laufende und die folgenden "Saisons" auf dem
Spiele stand. "Die Bourgeoisie -- schrieb damals der Vorwärts -- hütet ihre
Sommerfrischen wie einen Augapfel."

Badegäste gehen natürlich allen Erörterungen aus dein Wege, die ihnen
die gute Laune verderben könnten. Das ist der Grund, warum sie für ge¬
wöhnlich die Erwähnung des Gespenstes der "heutigen Gesellschaft" vermeiden.
Aber sie können doch nicht umhin, die "soziale Frage" zu berühren, weil sie
überall zu Hause ist und den reisenden Deutschen fast so gespenstisch und hart¬
näckig verfolgt, wie jenen Engländer das NaMoron^ s'en ?.i-t-"zu Zukrrs;


Ferien, Bäder und Landstraßen

Behausungen, musikalische Ohrenschmänse, Tanzvergnügungen, Spiele, Sport,
Skat, echte Braus und Kinderfeste, für das alles muß reichlich gesorgt sein.
Die Langeweile, die sich merkwürdigerweise in dem clolvö lÄr ni<z»w leicht ein¬
stellt und das Vadeleben verleidet, darf gar nicht aufkommen, sie ist mit allen
Mitteln wegzubannen. Die Verpflegung der Gäste darf selbstverständlich
nichts zu wünschen übrig lassen, denn diese selbst sorgen nicht für den kom¬
menden Tag und für des Leibes Notdurft und Nahrung, sondern lassen sich
vorsetzen und begnügen sich mit der Anstrengung des Zugreifens: das reine
Schlaraffenleben. Auch die natürlichen Vorzüge der Lage eines Badeortes
sollen so sein, daß er ein kleines Paradies auf Erden bildet, man kann be¬
obachten, daß die Ferienreisenden auch ihre Ansprüche an die Natur und die
landschaftlichen Reize höher und höher schrauben; findet jemand einen Ort an
der norddeutschen Küste idyllisch, lieblich, herrlich, so kann er das Unglück
haben, von einem Weitgereisten belehrt zu werden, daß er erst in Norwegen
wirklich schöne Punkte und Gegenden kennen lernen könne. Die Hauptsache
ist aber schließlich uicht, daß das Badeleben lustig ist, sondern daß es so ge¬
sund ist, so sehr gesund! Jeder Gast trägt das erhebende Bewußtsein mit sich
herum, daß er mit allem, was er thut, der hehren Pflicht der Erhaltung und
Förderung seiner werten Gesundheit genügt, dies Bewußtsein verleiht ihm
eine höhere Weihe, und um gestärkt hofft er, den sich nähernden bösen nor¬
dischen Feind, den Winter, glücklich zu überstehen. Es muß in den „Fremden"
ein stolzes Gefühl wachrufen, daß ihnen, damit sie gesund werden und bleiben,
gewissermaßen der ganze Fleck Erde, der das Bad ausmacht, und die gesamte
Einwohnerschaft, die „Eingebornen," unbeschränkt zur Verfügung gestellt sind.
Ach, das Leben un als sivolv ist doch schön! Die Bade- und Touristenorte
sind wirklich die Schoßkinder unsrer Zeit. Als das Gesetz über die Sonn¬
tagsruhe eingeführt wurde, wurden amtliche Ausnahmebestimmungen erlassen,
damit die Lieblingskinder keine Klagen anstimmten, denn ihr Klagen und
Jammern wäre am wenigsten zu ertragen. Als die grimmige Cholera ins
deutsche Land einzog, ängstete man sich sofort in den Bädern und um die
Bäder, und ihre Besucher und beeilte sich, Anstalten, zuweilen übertriebne
Anstalten zu treffen, damit auch sie vor jeder Ansteckung bewahrt blieben,
man wußte, was für die laufende und die folgenden „Saisons" auf dem
Spiele stand. „Die Bourgeoisie — schrieb damals der Vorwärts — hütet ihre
Sommerfrischen wie einen Augapfel."

Badegäste gehen natürlich allen Erörterungen aus dein Wege, die ihnen
die gute Laune verderben könnten. Das ist der Grund, warum sie für ge¬
wöhnlich die Erwähnung des Gespenstes der „heutigen Gesellschaft" vermeiden.
Aber sie können doch nicht umhin, die „soziale Frage" zu berühren, weil sie
überall zu Hause ist und den reisenden Deutschen fast so gespenstisch und hart¬
näckig verfolgt, wie jenen Engländer das NaMoron^ s'en ?.i-t-«zu Zukrrs;


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[0136] Ferien, Bäder und Landstraßen Behausungen, musikalische Ohrenschmänse, Tanzvergnügungen, Spiele, Sport, Skat, echte Braus und Kinderfeste, für das alles muß reichlich gesorgt sein. Die Langeweile, die sich merkwürdigerweise in dem clolvö lÄr ni<z»w leicht ein¬ stellt und das Vadeleben verleidet, darf gar nicht aufkommen, sie ist mit allen Mitteln wegzubannen. Die Verpflegung der Gäste darf selbstverständlich nichts zu wünschen übrig lassen, denn diese selbst sorgen nicht für den kom¬ menden Tag und für des Leibes Notdurft und Nahrung, sondern lassen sich vorsetzen und begnügen sich mit der Anstrengung des Zugreifens: das reine Schlaraffenleben. Auch die natürlichen Vorzüge der Lage eines Badeortes sollen so sein, daß er ein kleines Paradies auf Erden bildet, man kann be¬ obachten, daß die Ferienreisenden auch ihre Ansprüche an die Natur und die landschaftlichen Reize höher und höher schrauben; findet jemand einen Ort an der norddeutschen Küste idyllisch, lieblich, herrlich, so kann er das Unglück haben, von einem Weitgereisten belehrt zu werden, daß er erst in Norwegen wirklich schöne Punkte und Gegenden kennen lernen könne. Die Hauptsache ist aber schließlich uicht, daß das Badeleben lustig ist, sondern daß es so ge¬ sund ist, so sehr gesund! Jeder Gast trägt das erhebende Bewußtsein mit sich herum, daß er mit allem, was er thut, der hehren Pflicht der Erhaltung und Förderung seiner werten Gesundheit genügt, dies Bewußtsein verleiht ihm eine höhere Weihe, und um gestärkt hofft er, den sich nähernden bösen nor¬ dischen Feind, den Winter, glücklich zu überstehen. Es muß in den „Fremden" ein stolzes Gefühl wachrufen, daß ihnen, damit sie gesund werden und bleiben, gewissermaßen der ganze Fleck Erde, der das Bad ausmacht, und die gesamte Einwohnerschaft, die „Eingebornen," unbeschränkt zur Verfügung gestellt sind. Ach, das Leben un als sivolv ist doch schön! Die Bade- und Touristenorte sind wirklich die Schoßkinder unsrer Zeit. Als das Gesetz über die Sonn¬ tagsruhe eingeführt wurde, wurden amtliche Ausnahmebestimmungen erlassen, damit die Lieblingskinder keine Klagen anstimmten, denn ihr Klagen und Jammern wäre am wenigsten zu ertragen. Als die grimmige Cholera ins deutsche Land einzog, ängstete man sich sofort in den Bädern und um die Bäder, und ihre Besucher und beeilte sich, Anstalten, zuweilen übertriebne Anstalten zu treffen, damit auch sie vor jeder Ansteckung bewahrt blieben, man wußte, was für die laufende und die folgenden „Saisons" auf dem Spiele stand. „Die Bourgeoisie — schrieb damals der Vorwärts — hütet ihre Sommerfrischen wie einen Augapfel." Badegäste gehen natürlich allen Erörterungen aus dein Wege, die ihnen die gute Laune verderben könnten. Das ist der Grund, warum sie für ge¬ wöhnlich die Erwähnung des Gespenstes der „heutigen Gesellschaft" vermeiden. Aber sie können doch nicht umhin, die „soziale Frage" zu berühren, weil sie überall zu Hause ist und den reisenden Deutschen fast so gespenstisch und hart¬ näckig verfolgt, wie jenen Engländer das NaMoron^ s'en ?.i-t-«zu Zukrrs;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/136>, abgerufen am 22.12.2024.