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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Stimmung in Süddeutschland

dabei gleichartig, wir haben es hier mit einer in absehbarer Zeit sicherlich
nicht verschwindenden Stimmung der gebildeten Elemente zu thun. Daß nun
ausreichend für ein Anwachsen dieser Besorgnisse vor der Macht des Zentrums
von oben her gearbeitet worden ist, liegt auf der Hand. Man hat die heftige
Abweisung des Zedlitzschen Volksschulgesetzeutwurfs vielfach für eine gemachte
Bewegung erklärt. In Süddentschland ist sie das ganz gewiß nicht gewesen,^)
es herrschte hier in der That eine große Erbitterung gegen die preußische
Regierung, von der unter andern auch die zahlreichen nationalliberalen Ele¬
mente in Frankfurt a. M. und in Hessen-Nassau ergriffen waren, die für den
Bestand ihrer in der That guten und teilweise mit großen Opfern unterhaltenen
Schuleinrichtungen fürchteten, und die Beseitigung des Gesetzes vermochte nicht
das ehemalige Vertrauen zur Regierung wiederherzustellen, da man sich sagte:
es ist gar keine Gewähr geboten, daß es nicht in kürzester Frist wiederkehrt.
Vor Übergriffen der evangelischen Geistlichkeit in Schulangelegenheiten hat
man hier keine Furcht, wohl aber die lebhaftesten Besorgnisse, welch einen
Einfluß die katholische Geistlichkeit durch ein solches Schulgesetz gewinnen
würde.

Kaum war diese peinliche Stimmung, die namentlich im nationalliberalen
Lager, aber auch bei den Konservativen herrschte, ein wenig in den Hinter¬
grund getreten, so zeigte sich auf dem Mainzer Katholikentage, daß die Ultra¬
montanen keineswegs an eine Niederlage glaubten, sondern mit Zuversicht auf
die siegreiche Durchführung ihrer Forderungen auf dem Gebiete der Schule
rechneten. Wenn man nun auch dieser Erscheinung keine weitere politische
Vedentnng beigelegt Hütte, und wenn wir auch persönlich den Auslassungen
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung über die herrliche Einigkeit des Zen¬
trums, die den andern Parteien als Muster aufgestellt wurde, keinen wirklich
offiziellen oder offiziösen Wert beimaßen, so war doch die Wirkung jenes
Artikels auf weite Kreise sehr stark, und das ist uicht zu verwundern, denn
man mußte darin doch mindestens das Bestreben des offiziösen Blattes er¬
kennen, sich den Ansichten der maßgebenden Kreise entsprechend zu verhalten,
und man nahm an, daß die Regierung den Ultramontanen nach Möglichkeit
entgegenkommen wolle. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob jene Annahme
berechtigt sei, wir haben es hier nur mit den Folgen für die politische Stim¬
mung zu thun, und diese Folgen sind entschieden unheilvoll. Man scheint
in Berlin nnr geringe Fühlung mit den nationalen Elementen des Südens
zu haben, oder aber man glaubt, sich über sie hinwegsetzen zu können, wenn man
ohne Scheu deu Mtramoutcmismus offen begünstigt, während man doch wissen
müßte, welchen Eindruck dies in allen süddeutschen Staaten machen muß. Anszer-



In Norddeutschland doch. Die Grenzboten haben, wie sich unsre Leser erinnern
werden, in das allgemeine Entriistungsgeschrei gegen das Gesetz nicht mit eingestimmt. D. R.
Die Stimmung in Süddeutschland

dabei gleichartig, wir haben es hier mit einer in absehbarer Zeit sicherlich
nicht verschwindenden Stimmung der gebildeten Elemente zu thun. Daß nun
ausreichend für ein Anwachsen dieser Besorgnisse vor der Macht des Zentrums
von oben her gearbeitet worden ist, liegt auf der Hand. Man hat die heftige
Abweisung des Zedlitzschen Volksschulgesetzeutwurfs vielfach für eine gemachte
Bewegung erklärt. In Süddentschland ist sie das ganz gewiß nicht gewesen,^)
es herrschte hier in der That eine große Erbitterung gegen die preußische
Regierung, von der unter andern auch die zahlreichen nationalliberalen Ele¬
mente in Frankfurt a. M. und in Hessen-Nassau ergriffen waren, die für den
Bestand ihrer in der That guten und teilweise mit großen Opfern unterhaltenen
Schuleinrichtungen fürchteten, und die Beseitigung des Gesetzes vermochte nicht
das ehemalige Vertrauen zur Regierung wiederherzustellen, da man sich sagte:
es ist gar keine Gewähr geboten, daß es nicht in kürzester Frist wiederkehrt.
Vor Übergriffen der evangelischen Geistlichkeit in Schulangelegenheiten hat
man hier keine Furcht, wohl aber die lebhaftesten Besorgnisse, welch einen
Einfluß die katholische Geistlichkeit durch ein solches Schulgesetz gewinnen
würde.

Kaum war diese peinliche Stimmung, die namentlich im nationalliberalen
Lager, aber auch bei den Konservativen herrschte, ein wenig in den Hinter¬
grund getreten, so zeigte sich auf dem Mainzer Katholikentage, daß die Ultra¬
montanen keineswegs an eine Niederlage glaubten, sondern mit Zuversicht auf
die siegreiche Durchführung ihrer Forderungen auf dem Gebiete der Schule
rechneten. Wenn man nun auch dieser Erscheinung keine weitere politische
Vedentnng beigelegt Hütte, und wenn wir auch persönlich den Auslassungen
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung über die herrliche Einigkeit des Zen¬
trums, die den andern Parteien als Muster aufgestellt wurde, keinen wirklich
offiziellen oder offiziösen Wert beimaßen, so war doch die Wirkung jenes
Artikels auf weite Kreise sehr stark, und das ist uicht zu verwundern, denn
man mußte darin doch mindestens das Bestreben des offiziösen Blattes er¬
kennen, sich den Ansichten der maßgebenden Kreise entsprechend zu verhalten,
und man nahm an, daß die Regierung den Ultramontanen nach Möglichkeit
entgegenkommen wolle. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob jene Annahme
berechtigt sei, wir haben es hier nur mit den Folgen für die politische Stim¬
mung zu thun, und diese Folgen sind entschieden unheilvoll. Man scheint
in Berlin nnr geringe Fühlung mit den nationalen Elementen des Südens
zu haben, oder aber man glaubt, sich über sie hinwegsetzen zu können, wenn man
ohne Scheu deu Mtramoutcmismus offen begünstigt, während man doch wissen
müßte, welchen Eindruck dies in allen süddeutschen Staaten machen muß. Anszer-



In Norddeutschland doch. Die Grenzboten haben, wie sich unsre Leser erinnern
werden, in das allgemeine Entriistungsgeschrei gegen das Gesetz nicht mit eingestimmt. D. R.
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[0011] Die Stimmung in Süddeutschland dabei gleichartig, wir haben es hier mit einer in absehbarer Zeit sicherlich nicht verschwindenden Stimmung der gebildeten Elemente zu thun. Daß nun ausreichend für ein Anwachsen dieser Besorgnisse vor der Macht des Zentrums von oben her gearbeitet worden ist, liegt auf der Hand. Man hat die heftige Abweisung des Zedlitzschen Volksschulgesetzeutwurfs vielfach für eine gemachte Bewegung erklärt. In Süddentschland ist sie das ganz gewiß nicht gewesen,^) es herrschte hier in der That eine große Erbitterung gegen die preußische Regierung, von der unter andern auch die zahlreichen nationalliberalen Ele¬ mente in Frankfurt a. M. und in Hessen-Nassau ergriffen waren, die für den Bestand ihrer in der That guten und teilweise mit großen Opfern unterhaltenen Schuleinrichtungen fürchteten, und die Beseitigung des Gesetzes vermochte nicht das ehemalige Vertrauen zur Regierung wiederherzustellen, da man sich sagte: es ist gar keine Gewähr geboten, daß es nicht in kürzester Frist wiederkehrt. Vor Übergriffen der evangelischen Geistlichkeit in Schulangelegenheiten hat man hier keine Furcht, wohl aber die lebhaftesten Besorgnisse, welch einen Einfluß die katholische Geistlichkeit durch ein solches Schulgesetz gewinnen würde. Kaum war diese peinliche Stimmung, die namentlich im nationalliberalen Lager, aber auch bei den Konservativen herrschte, ein wenig in den Hinter¬ grund getreten, so zeigte sich auf dem Mainzer Katholikentage, daß die Ultra¬ montanen keineswegs an eine Niederlage glaubten, sondern mit Zuversicht auf die siegreiche Durchführung ihrer Forderungen auf dem Gebiete der Schule rechneten. Wenn man nun auch dieser Erscheinung keine weitere politische Vedentnng beigelegt Hütte, und wenn wir auch persönlich den Auslassungen der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung über die herrliche Einigkeit des Zen¬ trums, die den andern Parteien als Muster aufgestellt wurde, keinen wirklich offiziellen oder offiziösen Wert beimaßen, so war doch die Wirkung jenes Artikels auf weite Kreise sehr stark, und das ist uicht zu verwundern, denn man mußte darin doch mindestens das Bestreben des offiziösen Blattes er¬ kennen, sich den Ansichten der maßgebenden Kreise entsprechend zu verhalten, und man nahm an, daß die Regierung den Ultramontanen nach Möglichkeit entgegenkommen wolle. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob jene Annahme berechtigt sei, wir haben es hier nur mit den Folgen für die politische Stim¬ mung zu thun, und diese Folgen sind entschieden unheilvoll. Man scheint in Berlin nnr geringe Fühlung mit den nationalen Elementen des Südens zu haben, oder aber man glaubt, sich über sie hinwegsetzen zu können, wenn man ohne Scheu deu Mtramoutcmismus offen begünstigt, während man doch wissen müßte, welchen Eindruck dies in allen süddeutschen Staaten machen muß. Anszer- In Norddeutschland doch. Die Grenzboten haben, wie sich unsre Leser erinnern werden, in das allgemeine Entriistungsgeschrei gegen das Gesetz nicht mit eingestimmt. D. R.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/11>, abgerufen am 03.07.2024.