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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Strafrechtspflege

eine wird man nicht in Abrede stellen können, daß die Aufgabe und Stellung
der im Schwurgericht beschäftigten Berufsrichter, und zwar für den Präsi¬
denten wenigstens nach einer Richtung, für die Beisitzer aber nach jeder Rich¬
tung, untergeordnet und wenig erfreulich ist. Der Präsident des Schwur¬
gerichts genießt zwar den Vorzug vor den Beisitzern, daß er sich durch die
ihm obliegende wichtige und verantwortliche Leitung der Verhandlung fort¬
dauernd in Thätigkeit befindet; aber auch seiue Stellung ist insofern doch eine
untergeordnete, als er bei der Entscheidung über die Schuldfrage, also bei der
Hauptsache, nicht mitzusprechen hat, vielmehr diese Entscheidung Personen
überlassen muß, von denen doch immerhin ein Bruchteil weder imstande ist,
sich das Ergebnis der aufgenommenen Beweise klar zu machen, noch der Rechts¬
belehrung des Präsidenten zu folgen.

Aber der Gerichtshof hat doch die Strafe zu erkennen, und wenn er ein¬
stimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschwornen in ihrem Verdikt zum Nach¬
teil des Angeklagten geirrt haben, verweist er sogar die Sache zu neuer Ver¬
handlung vor das nächste Schwurgericht, und insofern nimmt also doch wohl
nicht nnr der Präsident, sondern auch jeder Beisitzer an der Entscheidung
Teil. Nun, was zunächst die Verweisung vor ein andres Schwurgericht be¬
trifft, fo tritt dieser Fall so selten ein, daß er für die hier erörterte Frage
gar nicht ins Gewicht fällt. Und die Entscheidung über die Strafe ist
meist so einfacher Natur, daß es dazu in der That keiner Juristen bedürfte,
sondern man sie recht gut den Laien überlassen konnte, um so mehr, als
die Strafskala des Strafgesetzbuchs so groß ist, daß die Bestimmung des
Strafmaßes weit mehr, wenn auch nicht gerade ein ziemlich willkürlicher Griff,
so doch eine Sache des bon 8vu8, der Stimmung, als der juristischen Deduktion
ist. Darnach kann man es den beisitzcndeu Richtern kaum verdenken, daß sie
von ihrer Thätigkeit, die sich in der That als llnthätigteit darstellt, nur sehr
wenig erbaut sind, denn diese Thätigkeit beschränkt sich fast lediglich auf "Zu¬
hören"; die Entscheidungen, die sie im Laufe einer Verhandlung über pro-
zessualische Fragen zusammen mit dem Präsidenten zuweilen abzugeben haben,
sind meist unbedeutend, jedenfalls stehn sie in keinem Verhältnis zu der von
den Geschwornen abzugebenden Entscheidung über die Schuldfrage.

Nun ist es allerdings richtig, daß sich die Hauptthätigkeit des Straf¬
richters in den Strafkammern entfaltet, und hier trifft ja das eben gesagte
nicht zu, da die Strafkammern in ihrer Besetzung mit gelehrten Richtern über
die Schuldfrage und über die Strafe entscheiden.. Trotzdem ist es nicht zweifel¬
haft, daß auch die Beschäftigung als Beisitzer in der Strafkammer von alten
uno jungen Juristen als eine untergeordnete und wenig erfreuliche angesehn
wird; ja man ist wohl gar der Ansicht, daß für die Strafsachen auch der
schon etwas "abgängige" oder der mehr oder weniger unfähige Richter gerade
noch gut genug sei. Aus dieser Anschauung entsteht dann nur gar zu leicht


Unsre Strafrechtspflege

eine wird man nicht in Abrede stellen können, daß die Aufgabe und Stellung
der im Schwurgericht beschäftigten Berufsrichter, und zwar für den Präsi¬
denten wenigstens nach einer Richtung, für die Beisitzer aber nach jeder Rich¬
tung, untergeordnet und wenig erfreulich ist. Der Präsident des Schwur¬
gerichts genießt zwar den Vorzug vor den Beisitzern, daß er sich durch die
ihm obliegende wichtige und verantwortliche Leitung der Verhandlung fort¬
dauernd in Thätigkeit befindet; aber auch seiue Stellung ist insofern doch eine
untergeordnete, als er bei der Entscheidung über die Schuldfrage, also bei der
Hauptsache, nicht mitzusprechen hat, vielmehr diese Entscheidung Personen
überlassen muß, von denen doch immerhin ein Bruchteil weder imstande ist,
sich das Ergebnis der aufgenommenen Beweise klar zu machen, noch der Rechts¬
belehrung des Präsidenten zu folgen.

Aber der Gerichtshof hat doch die Strafe zu erkennen, und wenn er ein¬
stimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschwornen in ihrem Verdikt zum Nach¬
teil des Angeklagten geirrt haben, verweist er sogar die Sache zu neuer Ver¬
handlung vor das nächste Schwurgericht, und insofern nimmt also doch wohl
nicht nnr der Präsident, sondern auch jeder Beisitzer an der Entscheidung
Teil. Nun, was zunächst die Verweisung vor ein andres Schwurgericht be¬
trifft, fo tritt dieser Fall so selten ein, daß er für die hier erörterte Frage
gar nicht ins Gewicht fällt. Und die Entscheidung über die Strafe ist
meist so einfacher Natur, daß es dazu in der That keiner Juristen bedürfte,
sondern man sie recht gut den Laien überlassen konnte, um so mehr, als
die Strafskala des Strafgesetzbuchs so groß ist, daß die Bestimmung des
Strafmaßes weit mehr, wenn auch nicht gerade ein ziemlich willkürlicher Griff,
so doch eine Sache des bon 8vu8, der Stimmung, als der juristischen Deduktion
ist. Darnach kann man es den beisitzcndeu Richtern kaum verdenken, daß sie
von ihrer Thätigkeit, die sich in der That als llnthätigteit darstellt, nur sehr
wenig erbaut sind, denn diese Thätigkeit beschränkt sich fast lediglich auf „Zu¬
hören"; die Entscheidungen, die sie im Laufe einer Verhandlung über pro-
zessualische Fragen zusammen mit dem Präsidenten zuweilen abzugeben haben,
sind meist unbedeutend, jedenfalls stehn sie in keinem Verhältnis zu der von
den Geschwornen abzugebenden Entscheidung über die Schuldfrage.

Nun ist es allerdings richtig, daß sich die Hauptthätigkeit des Straf¬
richters in den Strafkammern entfaltet, und hier trifft ja das eben gesagte
nicht zu, da die Strafkammern in ihrer Besetzung mit gelehrten Richtern über
die Schuldfrage und über die Strafe entscheiden.. Trotzdem ist es nicht zweifel¬
haft, daß auch die Beschäftigung als Beisitzer in der Strafkammer von alten
uno jungen Juristen als eine untergeordnete und wenig erfreuliche angesehn
wird; ja man ist wohl gar der Ansicht, daß für die Strafsachen auch der
schon etwas „abgängige" oder der mehr oder weniger unfähige Richter gerade
noch gut genug sei. Aus dieser Anschauung entsteht dann nur gar zu leicht


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[0109] Unsre Strafrechtspflege eine wird man nicht in Abrede stellen können, daß die Aufgabe und Stellung der im Schwurgericht beschäftigten Berufsrichter, und zwar für den Präsi¬ denten wenigstens nach einer Richtung, für die Beisitzer aber nach jeder Rich¬ tung, untergeordnet und wenig erfreulich ist. Der Präsident des Schwur¬ gerichts genießt zwar den Vorzug vor den Beisitzern, daß er sich durch die ihm obliegende wichtige und verantwortliche Leitung der Verhandlung fort¬ dauernd in Thätigkeit befindet; aber auch seiue Stellung ist insofern doch eine untergeordnete, als er bei der Entscheidung über die Schuldfrage, also bei der Hauptsache, nicht mitzusprechen hat, vielmehr diese Entscheidung Personen überlassen muß, von denen doch immerhin ein Bruchteil weder imstande ist, sich das Ergebnis der aufgenommenen Beweise klar zu machen, noch der Rechts¬ belehrung des Präsidenten zu folgen. Aber der Gerichtshof hat doch die Strafe zu erkennen, und wenn er ein¬ stimmig der Ansicht ist, daß sich die Geschwornen in ihrem Verdikt zum Nach¬ teil des Angeklagten geirrt haben, verweist er sogar die Sache zu neuer Ver¬ handlung vor das nächste Schwurgericht, und insofern nimmt also doch wohl nicht nnr der Präsident, sondern auch jeder Beisitzer an der Entscheidung Teil. Nun, was zunächst die Verweisung vor ein andres Schwurgericht be¬ trifft, fo tritt dieser Fall so selten ein, daß er für die hier erörterte Frage gar nicht ins Gewicht fällt. Und die Entscheidung über die Strafe ist meist so einfacher Natur, daß es dazu in der That keiner Juristen bedürfte, sondern man sie recht gut den Laien überlassen konnte, um so mehr, als die Strafskala des Strafgesetzbuchs so groß ist, daß die Bestimmung des Strafmaßes weit mehr, wenn auch nicht gerade ein ziemlich willkürlicher Griff, so doch eine Sache des bon 8vu8, der Stimmung, als der juristischen Deduktion ist. Darnach kann man es den beisitzcndeu Richtern kaum verdenken, daß sie von ihrer Thätigkeit, die sich in der That als llnthätigteit darstellt, nur sehr wenig erbaut sind, denn diese Thätigkeit beschränkt sich fast lediglich auf „Zu¬ hören"; die Entscheidungen, die sie im Laufe einer Verhandlung über pro- zessualische Fragen zusammen mit dem Präsidenten zuweilen abzugeben haben, sind meist unbedeutend, jedenfalls stehn sie in keinem Verhältnis zu der von den Geschwornen abzugebenden Entscheidung über die Schuldfrage. Nun ist es allerdings richtig, daß sich die Hauptthätigkeit des Straf¬ richters in den Strafkammern entfaltet, und hier trifft ja das eben gesagte nicht zu, da die Strafkammern in ihrer Besetzung mit gelehrten Richtern über die Schuldfrage und über die Strafe entscheiden.. Trotzdem ist es nicht zweifel¬ haft, daß auch die Beschäftigung als Beisitzer in der Strafkammer von alten uno jungen Juristen als eine untergeordnete und wenig erfreuliche angesehn wird; ja man ist wohl gar der Ansicht, daß für die Strafsachen auch der schon etwas „abgängige" oder der mehr oder weniger unfähige Richter gerade noch gut genug sei. Aus dieser Anschauung entsteht dann nur gar zu leicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/109>, abgerufen am 23.07.2024.