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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Dynamik

Schuldigen leidet, wie der ruhige Bürger, der seines Weges geht, von der
Kugel getroffen wird, die dem Empörer galt, und sich deshalb doch nicht über
die staatliche Gewalt beklagen darf, so wird in weit größerm Umfange der vou
Demagogen mißleitete Arbeiter zu leiden haben unter den Schlägen, die der
Staat zu seiner Selbstverteidigung zu führen hat. Wie verdunkelt ist das
staatliche Bewußtsein des Arbeiters, der jahraus jahrein predigen hört, er sei
der von Staat und Bürgertum ausgebeutete, rechtlose Sklave, der seine Fesseln
brechen müsse! Wie abgestumpft ist der Rechtssinn des einfachen Mannes,
dessen ganzes Rechtsleben im sittlichen Empfinden liegt, und der jahrelang
daran gewöhnt worden ist, seine ersten bewußten Nechtserörterungen von dem
Ausgangspunkte der Gewalt aus vorzunehmen und auf dem Boden des ihm
vermeintlich durch Staat und Aristokratie zugefügten Unrechts reifen zu lassen!
Darf der Staat diese wichtigste Quelle allen Kulturlebens, den Rechtssinn,
trüben lassen im Namen der Freiheit des Denkens und Redens? Gedanken¬
freiheit! Ja wenn es auf Erden irgend etwas Ideales gäbe, das in unfehl¬
barer Reinheit keiner Fälschung ausgesetzt wäre! Aber was liegt alles zwischen
der Gedankenfreiheit, die Posa fordert, und der, in deren Namen die Zerstö¬
rung gepredigt wird! Wenn der Staat dein Anarchisten, der sich von ihm
lossagt, nicht alle staatlichen und bürgerlichen Rechte entzieht, so muß er sich
um so stärker gegen den Mißbrauch der dem Anarchisten gelaßnen Rechte
schützen. Er muß das Rechtsbewußtsein des Volks vor der Vergiftung schützen,
gerade wie er Leben und Eigentum vor dem Dynamik zu schützen hat, mit
den stärksten, nötigenfalls mit gewaltsamen Mitteln.

Man setze auf die anarchistische Propaganda hohe Zuchthausstrafe, man
lege jedem Dynamitpolitiker für den erwiesenen Versuch den Kopf zwischen die
Füße, und man wird nicht mehr gethan haben, als was die Selbstverteidigung
eines Kulturstaats, was das Interesse eines gesitteten Volks fordert. Hier
ist keine Milde möglich, denn es steht allzuviel auf dem Spiele. Vor allem
aber muß die Fabrikation von Sprengstoffen verstaatlicht, monopolisirt, jeder
Handel damit sowie der unberechtigte Besitz streng bestraft werden. Die un¬
erlaubte Anfertigung dieser Sprengstoffe und die Entwertung von Spreng¬
stoffen muß als Versuch der Sprengung behandelt und mit dem Tode bestraft
werden. Wird die That, auch der allerentfernteste Versuch eines mit Spreng¬
stoff auszuführenden Verbrechens nicht mit der äußersten Härte geahndet, dann
wird nichts übrig bleiben, als die Gesinnung, den Anhänger der anarchistischen
Lehre zu strafen: der Staat wird die Lossagung von seinem Gesetz mit Ent¬
ziehung der Staatsangehörigkeit beantworten müssen. Wenn heute ein Atha-
uasios, in den Schluchten des Balkans den Reisenden auflauerud, bei guter
Gelegenheit einige tausend Goldstücke erschnappt, so hallt ganz Europa wieder
von Entrüstung, und man hält jedes Gewaltmittel sür gut, diesem Übel¬
thäter den Garaus zu machen. Und welch ein harmloser Geselle ist dieser


Dynamik

Schuldigen leidet, wie der ruhige Bürger, der seines Weges geht, von der
Kugel getroffen wird, die dem Empörer galt, und sich deshalb doch nicht über
die staatliche Gewalt beklagen darf, so wird in weit größerm Umfange der vou
Demagogen mißleitete Arbeiter zu leiden haben unter den Schlägen, die der
Staat zu seiner Selbstverteidigung zu führen hat. Wie verdunkelt ist das
staatliche Bewußtsein des Arbeiters, der jahraus jahrein predigen hört, er sei
der von Staat und Bürgertum ausgebeutete, rechtlose Sklave, der seine Fesseln
brechen müsse! Wie abgestumpft ist der Rechtssinn des einfachen Mannes,
dessen ganzes Rechtsleben im sittlichen Empfinden liegt, und der jahrelang
daran gewöhnt worden ist, seine ersten bewußten Nechtserörterungen von dem
Ausgangspunkte der Gewalt aus vorzunehmen und auf dem Boden des ihm
vermeintlich durch Staat und Aristokratie zugefügten Unrechts reifen zu lassen!
Darf der Staat diese wichtigste Quelle allen Kulturlebens, den Rechtssinn,
trüben lassen im Namen der Freiheit des Denkens und Redens? Gedanken¬
freiheit! Ja wenn es auf Erden irgend etwas Ideales gäbe, das in unfehl¬
barer Reinheit keiner Fälschung ausgesetzt wäre! Aber was liegt alles zwischen
der Gedankenfreiheit, die Posa fordert, und der, in deren Namen die Zerstö¬
rung gepredigt wird! Wenn der Staat dein Anarchisten, der sich von ihm
lossagt, nicht alle staatlichen und bürgerlichen Rechte entzieht, so muß er sich
um so stärker gegen den Mißbrauch der dem Anarchisten gelaßnen Rechte
schützen. Er muß das Rechtsbewußtsein des Volks vor der Vergiftung schützen,
gerade wie er Leben und Eigentum vor dem Dynamik zu schützen hat, mit
den stärksten, nötigenfalls mit gewaltsamen Mitteln.

Man setze auf die anarchistische Propaganda hohe Zuchthausstrafe, man
lege jedem Dynamitpolitiker für den erwiesenen Versuch den Kopf zwischen die
Füße, und man wird nicht mehr gethan haben, als was die Selbstverteidigung
eines Kulturstaats, was das Interesse eines gesitteten Volks fordert. Hier
ist keine Milde möglich, denn es steht allzuviel auf dem Spiele. Vor allem
aber muß die Fabrikation von Sprengstoffen verstaatlicht, monopolisirt, jeder
Handel damit sowie der unberechtigte Besitz streng bestraft werden. Die un¬
erlaubte Anfertigung dieser Sprengstoffe und die Entwertung von Spreng¬
stoffen muß als Versuch der Sprengung behandelt und mit dem Tode bestraft
werden. Wird die That, auch der allerentfernteste Versuch eines mit Spreng¬
stoff auszuführenden Verbrechens nicht mit der äußersten Härte geahndet, dann
wird nichts übrig bleiben, als die Gesinnung, den Anhänger der anarchistischen
Lehre zu strafen: der Staat wird die Lossagung von seinem Gesetz mit Ent¬
ziehung der Staatsangehörigkeit beantworten müssen. Wenn heute ein Atha-
uasios, in den Schluchten des Balkans den Reisenden auflauerud, bei guter
Gelegenheit einige tausend Goldstücke erschnappt, so hallt ganz Europa wieder
von Entrüstung, und man hält jedes Gewaltmittel sür gut, diesem Übel¬
thäter den Garaus zu machen. Und welch ein harmloser Geselle ist dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/67>, abgerufen am 08.01.2025.