Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Dynamik laste in solchem Maße dem menschlichen Willen dienstbar machen, wie es Dynamik laste in solchem Maße dem menschlichen Willen dienstbar machen, wie es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212538"/> <fw type="header" place="top"> Dynamik</fw><lb/> <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143" next="#ID_145"> laste in solchem Maße dem menschlichen Willen dienstbar machen, wie es<lb/> selbst der kühne Geist eines Archimedes schwerlich geahnt hat, und wenn wir<lb/> auch nicht mit Dynamik, Melinit u. s. w. den Erdball aus seiner Bahn werfen<lb/> können, so können wir doch Wirkungen der Zerstörung damit erzielen, die Leben<lb/> und Güter der Menschen in großem Umfange treffen. Die neuen Sprengstoffe<lb/> zeichnen sich zugleich dadurch aus, daß sie von Übelthätern angewandt werden<lb/> können mit weit stärkerer Wirkung und weit geringerer Gefahr der Entdeckung<lb/> des Thäters, als es bei den frühern Zerstöruugsmitteln möglich war. Der<lb/> Verbrecher ist mit seiner persönlichen Kraft weit weniger an dem Verlaufe<lb/> der Zerstörung beteiligt als früher, wo zur Erzielung derselben Zerstörung<lb/> ganze Tonnen Pulvers oder schwerfällige und zahlreiche Werkzeuge nötig ge¬<lb/> wesen wären. Die Spur, die der Verbrecher, der mit Melinit oder Dynamik<lb/> arbeitet, zurückläßt, ist gering, seine Ergreifung und Bestrafung entsprechend<lb/> schwieriger; mit jeder Verbesserung dieser Stosse läuft der Verbrecher weniger<lb/> Gefahr, und in demselben Maße verkürzt sich der Weg von der Absicht zur<lb/> Ausführung. Wer vor hundert Jahren ein Haus zerstören wollte, mußte<lb/> dazu Vorbereitungen treffen und Gewaltmittel anwenden, die kaum geheim<lb/> bleiben konnten: ein Faß Pulver trägt man nicht in der Hosentasche durch die<lb/> Thür, und ohne Pulver hätte es einer ganzen Bande, mit Axt und Stangen<lb/> bewaffnet, bedurft, um die vier Wände eines Dorfhäuschens umzuwerfen. Heute<lb/> zieht man eine Sardinenbüchse ans der Tasche, legt sie mit angezündeten Faden<lb/> im Hältst nieder, geht seiner Wege, und das Haus, eine Wohnung von Hun¬<lb/> derten von Menschen, stürzt zusammen. Früher hörte der Förster im Walde<lb/> den Knall aus dem Gewehr des Wilderers und sah den Rauch, und dadurch<lb/> gewarnt konnte er den Verbrecher einfangen oder sich wehren. Jetzt erkennt<lb/> er kaum den Gegner hinter dem Busch; auch der Wilderer ist, mit rauchlosem<lb/> Pulver versehen, im Vorteil, wie jeder andre, der heimlichen Mord mit der<lb/> Feuerwaffe plant. Gerade die schwersten Verbrechen, die gegen das Leben der<lb/> Mitmenschen gerichtet sind, die Massenzerstörung von Menschen oder Gütern<lb/> bezwecken, gerade diese werden heute so leicht bewerkstelligt, wie nie zuvor, und<lb/> diese Leichtigkeit ebenso wie die Verminderung der Gefahr der Entdeckung und<lb/> Ergreifung des Thäters mehren die Versuchung, erleichtern dem Bösewicht den<lb/> Entschluß. Vor hundert Jahren wäre es einem Ravachol gar nicht in den<lb/> Sinn gekommen, ein großes Haus zu zerstören, um einen darin befindlichen<lb/> Mann zu töten; die Pulververschwöruug gegen das englische Parlament wird<lb/> noch heute, uach Jahrhunderten, alljährlich als ein Anschlag von unergründlicher<lb/> Schrecklichkeit feierlich gebrandmarkt, obwohl es damals zu gar keiner Explosion<lb/> von Pulver gekommen ist. Heute vermag der feigste Wicht das englische<lb/> Parlamentshans so gut als ein beliebiges andres Haus in die Luft zu sprengen,<lb/> und eben kommt aus London die Nachricht, daß ein solches Attentat befürchtet<lb/> werde. Wie viel leichter ausführbar ist aber ein solches heute als vor zwei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Dynamik
laste in solchem Maße dem menschlichen Willen dienstbar machen, wie es
selbst der kühne Geist eines Archimedes schwerlich geahnt hat, und wenn wir
auch nicht mit Dynamik, Melinit u. s. w. den Erdball aus seiner Bahn werfen
können, so können wir doch Wirkungen der Zerstörung damit erzielen, die Leben
und Güter der Menschen in großem Umfange treffen. Die neuen Sprengstoffe
zeichnen sich zugleich dadurch aus, daß sie von Übelthätern angewandt werden
können mit weit stärkerer Wirkung und weit geringerer Gefahr der Entdeckung
des Thäters, als es bei den frühern Zerstöruugsmitteln möglich war. Der
Verbrecher ist mit seiner persönlichen Kraft weit weniger an dem Verlaufe
der Zerstörung beteiligt als früher, wo zur Erzielung derselben Zerstörung
ganze Tonnen Pulvers oder schwerfällige und zahlreiche Werkzeuge nötig ge¬
wesen wären. Die Spur, die der Verbrecher, der mit Melinit oder Dynamik
arbeitet, zurückläßt, ist gering, seine Ergreifung und Bestrafung entsprechend
schwieriger; mit jeder Verbesserung dieser Stosse läuft der Verbrecher weniger
Gefahr, und in demselben Maße verkürzt sich der Weg von der Absicht zur
Ausführung. Wer vor hundert Jahren ein Haus zerstören wollte, mußte
dazu Vorbereitungen treffen und Gewaltmittel anwenden, die kaum geheim
bleiben konnten: ein Faß Pulver trägt man nicht in der Hosentasche durch die
Thür, und ohne Pulver hätte es einer ganzen Bande, mit Axt und Stangen
bewaffnet, bedurft, um die vier Wände eines Dorfhäuschens umzuwerfen. Heute
zieht man eine Sardinenbüchse ans der Tasche, legt sie mit angezündeten Faden
im Hältst nieder, geht seiner Wege, und das Haus, eine Wohnung von Hun¬
derten von Menschen, stürzt zusammen. Früher hörte der Förster im Walde
den Knall aus dem Gewehr des Wilderers und sah den Rauch, und dadurch
gewarnt konnte er den Verbrecher einfangen oder sich wehren. Jetzt erkennt
er kaum den Gegner hinter dem Busch; auch der Wilderer ist, mit rauchlosem
Pulver versehen, im Vorteil, wie jeder andre, der heimlichen Mord mit der
Feuerwaffe plant. Gerade die schwersten Verbrechen, die gegen das Leben der
Mitmenschen gerichtet sind, die Massenzerstörung von Menschen oder Gütern
bezwecken, gerade diese werden heute so leicht bewerkstelligt, wie nie zuvor, und
diese Leichtigkeit ebenso wie die Verminderung der Gefahr der Entdeckung und
Ergreifung des Thäters mehren die Versuchung, erleichtern dem Bösewicht den
Entschluß. Vor hundert Jahren wäre es einem Ravachol gar nicht in den
Sinn gekommen, ein großes Haus zu zerstören, um einen darin befindlichen
Mann zu töten; die Pulververschwöruug gegen das englische Parlament wird
noch heute, uach Jahrhunderten, alljährlich als ein Anschlag von unergründlicher
Schrecklichkeit feierlich gebrandmarkt, obwohl es damals zu gar keiner Explosion
von Pulver gekommen ist. Heute vermag der feigste Wicht das englische
Parlamentshans so gut als ein beliebiges andres Haus in die Luft zu sprengen,
und eben kommt aus London die Nachricht, daß ein solches Attentat befürchtet
werde. Wie viel leichter ausführbar ist aber ein solches heute als vor zwei-
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