Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Allmählich ist man, gewitzigt durch üble Erfahrungen, zu beßrer Einsicht Glücklicherweise hat sich denn auch Deutschland dem Schutzzoll zugewandt, Der Schutz der nationalen Arbeit ist kein leeres Schlagwort, wie häufig Wenn man aber min, nachdem über ein Jahrzehnt die Schutzzollgesetz- Allmählich ist man, gewitzigt durch üble Erfahrungen, zu beßrer Einsicht Glücklicherweise hat sich denn auch Deutschland dem Schutzzoll zugewandt, Der Schutz der nationalen Arbeit ist kein leeres Schlagwort, wie häufig Wenn man aber min, nachdem über ein Jahrzehnt die Schutzzollgesetz- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213062"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1943"> Allmählich ist man, gewitzigt durch üble Erfahrungen, zu beßrer Einsicht<lb/> gelangt. Überall hat man begriffen, daß man besser thut, möglichst viel Ar¬<lb/> beit selbst zu verrichten, anstatt stets da zu kaufen, wo die Gegenstände am<lb/> billigsten zu haben sind. Man überzeugte sich von der so einfachen Wahrheit,<lb/> daß auch zu dem billigsten Einkauf Geld gehört, und daß es früher oder später<lb/> an dem Geld zur Gegenleistung fehlen werde, wenn man nicht Waren pro-<lb/> duzirt, die man in Tausch geben oder verlausen kann, um das auswärts ge¬<lb/> kaufte zu bezahlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1944"> Glücklicherweise hat sich denn auch Deutschland dem Schutzzoll zugewandt,<lb/> um sich von England in wirtschaftlicher Beziehung frei zu machen. Hätten<lb/> auch alle übrigen Staaten ihre Grenzen offen gehalten, so hätte Deutschland<lb/> den Kampf gegen England noch aufnehmen können. Aber je mehr Staaten<lb/> sich abschlossen, desto notwendiger wurde es, ihrem Beispiel zu folgen. Denn<lb/> wenn unsre Märkte mit Eisen- und Textilwaren, mit Korn und Vieh über¬<lb/> schwemmt wurden und unsre Erzeugnisse im Auslande nicht mehr abgesetzt<lb/> werden konnten, so war der Ruin unabwendbar. Die Fabriken mußten still¬<lb/> stehn, die Arbeiter entlassen werden, die niedrigen Preise aller Erzeugnisse<lb/> konnten den Massen nichts nützen, weil der Verdienst aufhörte. Es würde<lb/> sich in erschreckender Weise gezeigt haben, daß die größte Wohlfeilheit der Be¬<lb/> dürfnisse nicht vor Verarmung und Massenelend schützen kann, wenn die Ar¬<lb/> beiter nicht mehr beschäftigt werden können, weil es an Absatz sehlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1945"> Der Schutz der nationalen Arbeit ist kein leeres Schlagwort, wie häufig<lb/> von gewissen Leuten behauptet wird; er ist gerade das, worauf es ankommt. Es<lb/> wäre gewiß nicht zu rechtfertigen, wenn man den Preis der Gebrauchsartikel<lb/> durch Schutzzölle steigern wollte, wie es in der That bisweilen geschieht, nur<lb/> um den Grundbesitzern und den Fabrikanten, also den Arbeitgebern und Unter¬<lb/> nehmern, höhere Renten und höhern Gewinn zu sichern. In erster Linie ist<lb/> das Wohl der Massen, der Arbeiter, ins Auge zu fassen und zu fördern;<lb/> denn wenn es denen gut geht, so befinden sich auch die Arbeitgeber in günstiger<lb/> Lage; schon infolge des gesteigerten Verbrauchs, der die Preise in die Höhe<lb/> treibt. Daß auch das Wohl der Arbeitgeber Berücksichtigung verdient, ver¬<lb/> steht sich von selbst, denn sie sind im wirtschaftlichen Leben ebenso wichtig<lb/> wie die Arbeiter; die einen können ohne die andern nicht vorwärtskommen. Aber<lb/> die Zeit ist vorüber, wo die Arbeiter in dem Maße von den Arbeitgebern ab¬<lb/> hängig waren, daß sie sich jegliche, auch die erbärmlichste Abfindung gefallen<lb/> lassen mußten. Ist auch leider die Formel noch nicht gefunden, nach der der<lb/> Ertrag der von den Unternehmern aufgewandten Mittel und der von den Ar¬<lb/> beitern geleisteten Arbeit unter beide zu verteilen ist, so ist man doch über<lb/> die Auffassung hinweg, daß die Arbeit eine Ware sei, deren Preis sich ledig¬<lb/> lich durch Angebot und Nachfrage bestimme.</p><lb/> <p xml:id="ID_1946" next="#ID_1947"> Wenn man aber min, nachdem über ein Jahrzehnt die Schutzzollgesetz-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0586]
Allmählich ist man, gewitzigt durch üble Erfahrungen, zu beßrer Einsicht
gelangt. Überall hat man begriffen, daß man besser thut, möglichst viel Ar¬
beit selbst zu verrichten, anstatt stets da zu kaufen, wo die Gegenstände am
billigsten zu haben sind. Man überzeugte sich von der so einfachen Wahrheit,
daß auch zu dem billigsten Einkauf Geld gehört, und daß es früher oder später
an dem Geld zur Gegenleistung fehlen werde, wenn man nicht Waren pro-
duzirt, die man in Tausch geben oder verlausen kann, um das auswärts ge¬
kaufte zu bezahlen.
Glücklicherweise hat sich denn auch Deutschland dem Schutzzoll zugewandt,
um sich von England in wirtschaftlicher Beziehung frei zu machen. Hätten
auch alle übrigen Staaten ihre Grenzen offen gehalten, so hätte Deutschland
den Kampf gegen England noch aufnehmen können. Aber je mehr Staaten
sich abschlossen, desto notwendiger wurde es, ihrem Beispiel zu folgen. Denn
wenn unsre Märkte mit Eisen- und Textilwaren, mit Korn und Vieh über¬
schwemmt wurden und unsre Erzeugnisse im Auslande nicht mehr abgesetzt
werden konnten, so war der Ruin unabwendbar. Die Fabriken mußten still¬
stehn, die Arbeiter entlassen werden, die niedrigen Preise aller Erzeugnisse
konnten den Massen nichts nützen, weil der Verdienst aufhörte. Es würde
sich in erschreckender Weise gezeigt haben, daß die größte Wohlfeilheit der Be¬
dürfnisse nicht vor Verarmung und Massenelend schützen kann, wenn die Ar¬
beiter nicht mehr beschäftigt werden können, weil es an Absatz sehlt.
Der Schutz der nationalen Arbeit ist kein leeres Schlagwort, wie häufig
von gewissen Leuten behauptet wird; er ist gerade das, worauf es ankommt. Es
wäre gewiß nicht zu rechtfertigen, wenn man den Preis der Gebrauchsartikel
durch Schutzzölle steigern wollte, wie es in der That bisweilen geschieht, nur
um den Grundbesitzern und den Fabrikanten, also den Arbeitgebern und Unter¬
nehmern, höhere Renten und höhern Gewinn zu sichern. In erster Linie ist
das Wohl der Massen, der Arbeiter, ins Auge zu fassen und zu fördern;
denn wenn es denen gut geht, so befinden sich auch die Arbeitgeber in günstiger
Lage; schon infolge des gesteigerten Verbrauchs, der die Preise in die Höhe
treibt. Daß auch das Wohl der Arbeitgeber Berücksichtigung verdient, ver¬
steht sich von selbst, denn sie sind im wirtschaftlichen Leben ebenso wichtig
wie die Arbeiter; die einen können ohne die andern nicht vorwärtskommen. Aber
die Zeit ist vorüber, wo die Arbeiter in dem Maße von den Arbeitgebern ab¬
hängig waren, daß sie sich jegliche, auch die erbärmlichste Abfindung gefallen
lassen mußten. Ist auch leider die Formel noch nicht gefunden, nach der der
Ertrag der von den Unternehmern aufgewandten Mittel und der von den Ar¬
beitern geleisteten Arbeit unter beide zu verteilen ist, so ist man doch über
die Auffassung hinweg, daß die Arbeit eine Ware sei, deren Preis sich ledig¬
lich durch Angebot und Nachfrage bestimme.
Wenn man aber min, nachdem über ein Jahrzehnt die Schutzzollgesetz-
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