Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.gegcmgnen Zuschriften hätten veröffentlichen können, und daß ihnen die eine Woche Interessant ist aber auch folgendes Urteil der van^ Ug^8 über die Qualität gegcmgnen Zuschriften hätten veröffentlichen können, und daß ihnen die eine Woche Interessant ist aber auch folgendes Urteil der van^ Ug^8 über die Qualität <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0579" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213055"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1915" prev="#ID_1914"> gegcmgnen Zuschriften hätten veröffentlichen können, und daß ihnen die eine Woche<lb/> mehr Material für die wichtigsten sozialen Fragen eingebracht habe, als eine könig¬<lb/> liche Kommission in einem ganzen Jahre hätte sammeln können. Das Ergebnis<lb/> sassen sie dahin zusammen, daß bei beiden Geschlechtern der Sinn für verfeinerten<lb/> Lebensgenuß und die Ansprüche ans Leben außerordentlich gewachsen seien, aber<lb/> die Vermehrung des Einkommens nicht gleichen Schritt damit gehalten habe. Der<lb/> Mann mit hundert Pfund, sowie das Mädchen mit Null Pfund Einkommen ver¬<lb/> lange von dem künftigen Gatten svsr^tninA. Der Clerk wolle nicht mehr den Kinder¬<lb/> wagen schieben, und wenn seine Iran noch die Thürabtreter reinige, so thue sie es<lb/> gleich dem Nikodemus, der nnr bei Nacht zum Herrn kam. Die Ehe leide, wie das<lb/> ganze Leben, unter dem Überhandnehmen falscher Ideale. Die jungen Männer müßten<lb/> wieder lernen, Handwerker zu werden, da sie doch die handgreifliche Unmöglichkeit<lb/> vor Augen sahen, sich nnter dem Hansen der Jünger gelehrter Berufe anch nur das<lb/> trockne Brot zu verdienen. Für die Ehe müsse der eine wie der andre Teil einen<lb/> ehrlichen Stolz darein setzen lernen, recht bescheiden anzufangen. Es ist ein Trost für<lb/> uns vom Militarismus ausgesogne und vom Absolutismus geknechtete Deutsche, daß<lb/> es unsern reichen Vettern jenseits des Kanals auch nicht bessergeht als uns. Die<lb/> Verhältnisse des englische» Mittelstandes scheinen in der That knapper und den unsern<lb/> ähnlicher geworden zu sein, als man bisher glauben wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1916"> Interessant ist aber auch folgendes Urteil der van^ Ug^8 über die Qualität<lb/> der ihnen zugegangnen Zuschriften: „Sie liefern einen schlagenden Beweis von der<lb/> Breite und Tiefe unsrer heutige» Volksbildung. Noch vor einem Vierteljahrhundert<lb/> wäre es unmöglich gewesen, selbst unter den bestgestellten Klassen des Königreichs<lb/> eine so reiche Sammlung vortrefflicher Korrespondenzen aufzubringen. Die Kunst,<lb/> gut zu schreiben, ehemals das Geheimnis weniger, scheint jetzt das Gemeingut<lb/> vieler zu sein. Früher stand ans dem Titelblatt einer Grammatik, daß sie (unter<lb/> andern) auch für den Gebrauch der Ackerknechte und der Parlamentsmitglieder be¬<lb/> stimmt sei. Die Verbreitung der Schulbildung, die größere Wohlfeilheit der Bücher,<lb/> ihre leichtere Zugänglichkeit und — wenn wir es, ohne eitel zu sein, hinzusetzen<lb/> dürfen — die Anstrengungen der modernen Tagespresse scheinen alle diese Ände¬<lb/> rungen hervorgebracht zu haben. Unsre minder begünstigten Klassen haben sich auf<lb/> die Höhe der bessern gehoben nicht nnr in Lebensart und Anzug, sondern auch in<lb/> Geist und Bildung." Mit tiefer Trauer setzen wir neben dieses schmeichelhafte<lb/> Zeugnis des englischen Blattes das leider begründete Urteil Wustmnnns in der<lb/> Einleitung zu seinen „Sprnchdummheiten": „Seit etwa fünfzig Jahren sind wir in<lb/> die Fesseln der Papiersprache wieder tiefer hineingeraten als je, und dazu greift<lb/> eme Unsicherheit und Unwissenheit in grammatischen Dingen um sich, die immer<lb/> beschämender wird. .. . Unsre Sprache hat sich in den letzten Jahrzehnten immer<lb/> schneller umgebildet, und dabei ist sie verwildert und verroht." Die Engländer<lb/> rennen keinen Gymuasialdrill in unserm Sinne, keine Schulüberbürduugsfrnge, ihre<lb/> ^ngend beider Geschlechter darf mindestens die Hälfte ihrer Zeit auch der körper¬<lb/> lichen Ausbildung widmen, und dennoch — oder vielleicht gerade deshalb? —<lb/> diese Sprach- und Stilvollkommenheit, die von den Nsvs, gewiß mit gutem<lb/> Grunde, den gebildeten englischen Mittelklassen nachgerühmt wird! Wenn freilich<lb/> die vsilz?- Novg auch darin Recht haben sollten, daß sie gerade die Veredlung des<lb/> Sprachgefühls, die Verallgemeinerung einer feinern Bildung mit der Heiratsschen<lb/> der jungen Männer in einen gewissen Zusammenhang bringen, dann müßten unsre<lb/> Sprachvereine wohl darauf gefaßt sein, von unsern höhern Töchter» in Acht und<lb/> ^inn gethan zu werden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0579]
gegcmgnen Zuschriften hätten veröffentlichen können, und daß ihnen die eine Woche
mehr Material für die wichtigsten sozialen Fragen eingebracht habe, als eine könig¬
liche Kommission in einem ganzen Jahre hätte sammeln können. Das Ergebnis
sassen sie dahin zusammen, daß bei beiden Geschlechtern der Sinn für verfeinerten
Lebensgenuß und die Ansprüche ans Leben außerordentlich gewachsen seien, aber
die Vermehrung des Einkommens nicht gleichen Schritt damit gehalten habe. Der
Mann mit hundert Pfund, sowie das Mädchen mit Null Pfund Einkommen ver¬
lange von dem künftigen Gatten svsr^tninA. Der Clerk wolle nicht mehr den Kinder¬
wagen schieben, und wenn seine Iran noch die Thürabtreter reinige, so thue sie es
gleich dem Nikodemus, der nnr bei Nacht zum Herrn kam. Die Ehe leide, wie das
ganze Leben, unter dem Überhandnehmen falscher Ideale. Die jungen Männer müßten
wieder lernen, Handwerker zu werden, da sie doch die handgreifliche Unmöglichkeit
vor Augen sahen, sich nnter dem Hansen der Jünger gelehrter Berufe anch nur das
trockne Brot zu verdienen. Für die Ehe müsse der eine wie der andre Teil einen
ehrlichen Stolz darein setzen lernen, recht bescheiden anzufangen. Es ist ein Trost für
uns vom Militarismus ausgesogne und vom Absolutismus geknechtete Deutsche, daß
es unsern reichen Vettern jenseits des Kanals auch nicht bessergeht als uns. Die
Verhältnisse des englische» Mittelstandes scheinen in der That knapper und den unsern
ähnlicher geworden zu sein, als man bisher glauben wollte.
Interessant ist aber auch folgendes Urteil der van^ Ug^8 über die Qualität
der ihnen zugegangnen Zuschriften: „Sie liefern einen schlagenden Beweis von der
Breite und Tiefe unsrer heutige» Volksbildung. Noch vor einem Vierteljahrhundert
wäre es unmöglich gewesen, selbst unter den bestgestellten Klassen des Königreichs
eine so reiche Sammlung vortrefflicher Korrespondenzen aufzubringen. Die Kunst,
gut zu schreiben, ehemals das Geheimnis weniger, scheint jetzt das Gemeingut
vieler zu sein. Früher stand ans dem Titelblatt einer Grammatik, daß sie (unter
andern) auch für den Gebrauch der Ackerknechte und der Parlamentsmitglieder be¬
stimmt sei. Die Verbreitung der Schulbildung, die größere Wohlfeilheit der Bücher,
ihre leichtere Zugänglichkeit und — wenn wir es, ohne eitel zu sein, hinzusetzen
dürfen — die Anstrengungen der modernen Tagespresse scheinen alle diese Ände¬
rungen hervorgebracht zu haben. Unsre minder begünstigten Klassen haben sich auf
die Höhe der bessern gehoben nicht nnr in Lebensart und Anzug, sondern auch in
Geist und Bildung." Mit tiefer Trauer setzen wir neben dieses schmeichelhafte
Zeugnis des englischen Blattes das leider begründete Urteil Wustmnnns in der
Einleitung zu seinen „Sprnchdummheiten": „Seit etwa fünfzig Jahren sind wir in
die Fesseln der Papiersprache wieder tiefer hineingeraten als je, und dazu greift
eme Unsicherheit und Unwissenheit in grammatischen Dingen um sich, die immer
beschämender wird. .. . Unsre Sprache hat sich in den letzten Jahrzehnten immer
schneller umgebildet, und dabei ist sie verwildert und verroht." Die Engländer
rennen keinen Gymuasialdrill in unserm Sinne, keine Schulüberbürduugsfrnge, ihre
^ngend beider Geschlechter darf mindestens die Hälfte ihrer Zeit auch der körper¬
lichen Ausbildung widmen, und dennoch — oder vielleicht gerade deshalb? —
diese Sprach- und Stilvollkommenheit, die von den Nsvs, gewiß mit gutem
Grunde, den gebildeten englischen Mittelklassen nachgerühmt wird! Wenn freilich
die vsilz?- Novg auch darin Recht haben sollten, daß sie gerade die Veredlung des
Sprachgefühls, die Verallgemeinerung einer feinern Bildung mit der Heiratsschen
der jungen Männer in einen gewissen Zusammenhang bringen, dann müßten unsre
Sprachvereine wohl darauf gefaßt sein, von unsern höhern Töchter» in Acht und
^inn gethan zu werden.
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