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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat

Durchschnitt), ist so viel Korn wert, als derselbe denselben Tag zu seiner
Ernährung würde gebraucht haben; er hat darum diese Menge Korn für
jene Menge Fleisch zu entrichten. Und so mit allen andern Produkten;
sie sind so viel Korn wert, als sie Mühe verlangten, und als auf dem Acker,
wo sie erbaut wurden, Korn hätte erbaut werden können. Das Fabrikat
aus diesem Produkt aber erhält erstens denselben Wert und sodann das Plus
des Arbeitslohns. Wenn sich aber so ein Maßstab gewinnen läßt sür die
Berechnung der Nahrungsmittel, die zur Notdurft des Lebeus gehören, giebt
es dann für die, die sich auf die Annehmlichkeit beziehen, keinen solchen? Wäre
dem so, wäre die Schätzung des Wertes dieser Dinge in dem so organisirten
Staate nicht möglich, so müßten wir auf deu Anbau des Angenehmen über¬
haupt verzichten. Fichte ist aber der Meinung, es gäbe ein gemeingeltendes
Schätzuugsmittel der Dinge, die auf die Annehmlichkeit des Lebens zielen. Er
stellt folgende Betrachtungen um. Fragen wir: wodurch ist Brot zu dem Range
des Nahrungsmittels von absolutem Wert gekommen, so ist die Antwort: da¬
durch, daß es am leichtesten und sichersten gewonnen wird. Andre Nahrungs¬
mittel mit dem gleichen innern Wert zur Ernährung werden mehr Aufwand
verlangen an Zeit oder an Kraft oder an Kunstfertigkeit oder für Bearbeitung
des Bodens u. s. w. Dennoch macht die Nation diesen größern Aufwand. Diesen
selben größern Aufwand ist um auch dieses angenehmere Nahrungsmittel wert,
mit andern Worten: es ist über seinen gleichen innern Wert, den es mit dem
Korn zur Ernährung hat. noch die Menge Korn wert, die durch Aufwendung
derselben Kraft und Zeit und desselben Bodens noch von dem Korn hätte
erbaut werden können, wenn die Gewinnung des Angenehmen unterblieben wäre.

Der Maßstab also sür die Schätzung des Angenehmen wäre nach Fichte
da. Leider hilft er uns aber nichts. Denn das Angenehme beruht auf per¬
sönlichem Geschmack, und darum wird eine von diesem persönlichen Geschmack
und der Neigung des Einzelnen unabhängige allgemein geltende Schätzung
für den einzelnen auch keinen Wert haben, wenn er das, was ihm angenehm
ist, gewinnen will. Er wird es dann mich nach seiner Schätzung gewinnen
wollen, vorausgesetzt, daß er das darf. Das sieht Fichte auch selber em,
weshalb er nun in dem "dürfen" den einzelnen beschränken will, womit frei¬
lich das gleiche Anrecht eines jeden auf die Annehmlichkeit des Lebens selbst
wieder gar sehr in die Brüche geht. Fichte sagt nämlich, der Anbau des
Angenehmen dürfe nicht weiter gehen, als es die Notdurft aller erlaube;
werde es angebaut, so geschehe das. weil von dem Aubau der notwendigen
Nahrung Kräfte erspart worden seien. Diese Ersparnis müsse allen zu gute
kommen, sodaß alle gleich angenehm leben könnten: die Ersparnis müsse
unter alle gleich verteilt werden. Aber das müsse verhältnismäßig geschehen,
damit die Art von Wohlsein erhalten werde, deren jeder für sein Geschäft be¬
dürfe. Der Denker, der Dichter, der Erfinder brauche eine andre Nahrung


I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat

Durchschnitt), ist so viel Korn wert, als derselbe denselben Tag zu seiner
Ernährung würde gebraucht haben; er hat darum diese Menge Korn für
jene Menge Fleisch zu entrichten. Und so mit allen andern Produkten;
sie sind so viel Korn wert, als sie Mühe verlangten, und als auf dem Acker,
wo sie erbaut wurden, Korn hätte erbaut werden können. Das Fabrikat
aus diesem Produkt aber erhält erstens denselben Wert und sodann das Plus
des Arbeitslohns. Wenn sich aber so ein Maßstab gewinnen läßt sür die
Berechnung der Nahrungsmittel, die zur Notdurft des Lebeus gehören, giebt
es dann für die, die sich auf die Annehmlichkeit beziehen, keinen solchen? Wäre
dem so, wäre die Schätzung des Wertes dieser Dinge in dem so organisirten
Staate nicht möglich, so müßten wir auf deu Anbau des Angenehmen über¬
haupt verzichten. Fichte ist aber der Meinung, es gäbe ein gemeingeltendes
Schätzuugsmittel der Dinge, die auf die Annehmlichkeit des Lebens zielen. Er
stellt folgende Betrachtungen um. Fragen wir: wodurch ist Brot zu dem Range
des Nahrungsmittels von absolutem Wert gekommen, so ist die Antwort: da¬
durch, daß es am leichtesten und sichersten gewonnen wird. Andre Nahrungs¬
mittel mit dem gleichen innern Wert zur Ernährung werden mehr Aufwand
verlangen an Zeit oder an Kraft oder an Kunstfertigkeit oder für Bearbeitung
des Bodens u. s. w. Dennoch macht die Nation diesen größern Aufwand. Diesen
selben größern Aufwand ist um auch dieses angenehmere Nahrungsmittel wert,
mit andern Worten: es ist über seinen gleichen innern Wert, den es mit dem
Korn zur Ernährung hat. noch die Menge Korn wert, die durch Aufwendung
derselben Kraft und Zeit und desselben Bodens noch von dem Korn hätte
erbaut werden können, wenn die Gewinnung des Angenehmen unterblieben wäre.

Der Maßstab also sür die Schätzung des Angenehmen wäre nach Fichte
da. Leider hilft er uns aber nichts. Denn das Angenehme beruht auf per¬
sönlichem Geschmack, und darum wird eine von diesem persönlichen Geschmack
und der Neigung des Einzelnen unabhängige allgemein geltende Schätzung
für den einzelnen auch keinen Wert haben, wenn er das, was ihm angenehm
ist, gewinnen will. Er wird es dann mich nach seiner Schätzung gewinnen
wollen, vorausgesetzt, daß er das darf. Das sieht Fichte auch selber em,
weshalb er nun in dem „dürfen" den einzelnen beschränken will, womit frei¬
lich das gleiche Anrecht eines jeden auf die Annehmlichkeit des Lebens selbst
wieder gar sehr in die Brüche geht. Fichte sagt nämlich, der Anbau des
Angenehmen dürfe nicht weiter gehen, als es die Notdurft aller erlaube;
werde es angebaut, so geschehe das. weil von dem Aubau der notwendigen
Nahrung Kräfte erspart worden seien. Diese Ersparnis müsse allen zu gute
kommen, sodaß alle gleich angenehm leben könnten: die Ersparnis müsse
unter alle gleich verteilt werden. Aber das müsse verhältnismäßig geschehen,
damit die Art von Wohlsein erhalten werde, deren jeder für sein Geschäft be¬
dürfe. Der Denker, der Dichter, der Erfinder brauche eine andre Nahrung


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[0543] I. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat Durchschnitt), ist so viel Korn wert, als derselbe denselben Tag zu seiner Ernährung würde gebraucht haben; er hat darum diese Menge Korn für jene Menge Fleisch zu entrichten. Und so mit allen andern Produkten; sie sind so viel Korn wert, als sie Mühe verlangten, und als auf dem Acker, wo sie erbaut wurden, Korn hätte erbaut werden können. Das Fabrikat aus diesem Produkt aber erhält erstens denselben Wert und sodann das Plus des Arbeitslohns. Wenn sich aber so ein Maßstab gewinnen läßt sür die Berechnung der Nahrungsmittel, die zur Notdurft des Lebeus gehören, giebt es dann für die, die sich auf die Annehmlichkeit beziehen, keinen solchen? Wäre dem so, wäre die Schätzung des Wertes dieser Dinge in dem so organisirten Staate nicht möglich, so müßten wir auf deu Anbau des Angenehmen über¬ haupt verzichten. Fichte ist aber der Meinung, es gäbe ein gemeingeltendes Schätzuugsmittel der Dinge, die auf die Annehmlichkeit des Lebens zielen. Er stellt folgende Betrachtungen um. Fragen wir: wodurch ist Brot zu dem Range des Nahrungsmittels von absolutem Wert gekommen, so ist die Antwort: da¬ durch, daß es am leichtesten und sichersten gewonnen wird. Andre Nahrungs¬ mittel mit dem gleichen innern Wert zur Ernährung werden mehr Aufwand verlangen an Zeit oder an Kraft oder an Kunstfertigkeit oder für Bearbeitung des Bodens u. s. w. Dennoch macht die Nation diesen größern Aufwand. Diesen selben größern Aufwand ist um auch dieses angenehmere Nahrungsmittel wert, mit andern Worten: es ist über seinen gleichen innern Wert, den es mit dem Korn zur Ernährung hat. noch die Menge Korn wert, die durch Aufwendung derselben Kraft und Zeit und desselben Bodens noch von dem Korn hätte erbaut werden können, wenn die Gewinnung des Angenehmen unterblieben wäre. Der Maßstab also sür die Schätzung des Angenehmen wäre nach Fichte da. Leider hilft er uns aber nichts. Denn das Angenehme beruht auf per¬ sönlichem Geschmack, und darum wird eine von diesem persönlichen Geschmack und der Neigung des Einzelnen unabhängige allgemein geltende Schätzung für den einzelnen auch keinen Wert haben, wenn er das, was ihm angenehm ist, gewinnen will. Er wird es dann mich nach seiner Schätzung gewinnen wollen, vorausgesetzt, daß er das darf. Das sieht Fichte auch selber em, weshalb er nun in dem „dürfen" den einzelnen beschränken will, womit frei¬ lich das gleiche Anrecht eines jeden auf die Annehmlichkeit des Lebens selbst wieder gar sehr in die Brüche geht. Fichte sagt nämlich, der Anbau des Angenehmen dürfe nicht weiter gehen, als es die Notdurft aller erlaube; werde es angebaut, so geschehe das. weil von dem Aubau der notwendigen Nahrung Kräfte erspart worden seien. Diese Ersparnis müsse allen zu gute kommen, sodaß alle gleich angenehm leben könnten: die Ersparnis müsse unter alle gleich verteilt werden. Aber das müsse verhältnismäßig geschehen, damit die Art von Wohlsein erhalten werde, deren jeder für sein Geschäft be¬ dürfe. Der Denker, der Dichter, der Erfinder brauche eine andre Nahrung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/543>, abgerufen am 06.01.2025.