Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Sozialdemokratie und die Cholera Verwendung an der zuständigen Stelle, zu verlangen. Von einem allgemeinen Es ist nicht anders: nachdem wir in unsinniger Verblendung am Ende Die Sozialdemokratie und die Cholera Verwendung an der zuständigen Stelle, zu verlangen. Von einem allgemeinen Es ist nicht anders: nachdem wir in unsinniger Verblendung am Ende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213017"/> <fw type="header" place="top"> Die Sozialdemokratie und die Cholera</fw><lb/> <p xml:id="ID_1801" prev="#ID_1800"> Verwendung an der zuständigen Stelle, zu verlangen. Von einem allgemeinen<lb/> Angriff auf die Behörden und die ganze Staatsverwaltung hat man aber, und<lb/> zwar absichtlich, mit der Begründung Abstand genommen, daß es in Zeiten<lb/> der Gefahr die erste Pflicht der Bevölkerung sei, mit den Behörden in der<lb/> Bekämpfung des Übels Hand in Hand zu gehn, uicht aber deren Autorität<lb/> durch Anklagen und Angriffe zu schwächen. Die Folge dieser verständigen<lb/> Haltung ist denn auch die gewesen, daß man von der andern Seite wieder der<lb/> Sozialdemokratie entgegenkam und ihre Parteiorganisation, die sich ausdrück¬<lb/> lich dazu bereit erklärt hatte, mit zur Bekämpfung der Seuche heranzog. Nicht<lb/> nur die Handelskammer, das offizielle Organ zur Vertretung der Interessen<lb/> des Handelsstandes, beschloß, sich zur Bekämpfung des durch die Seuche her¬<lb/> beigeführten Notstandes mit der sozialdemokratischen Parteileitung^ die die<lb/> augenblicklichen Bedürfnisse der ärmern Bevölkerungsklasfen besser kenne, in<lb/> Verbindung zu setzen, sondern der Staat selbst nahm die Hilfe der straff-<lb/> orgcmisirten Parteien Anspruch, und diese Hilfe wurde bereitwilligst gewährt.<lb/> Die Sozialdemokratie wurde ersucht, vierhundert vom Staate zu besoldende<lb/> Männer zur Verstärkung der Sanitätskolonnen zu stellen, und sie stellte sie,<lb/> und sie wurde weiter ersucht, mittels ihrer bis in die einzelnen Bezirke durch¬<lb/> geführten Parteiorganisation zwei Flugblätter durch die ganze Stadt zu ver¬<lb/> breiten, die die Verhaltungsmaßregeln gegenüber der Cholera angaben. Die<lb/> beiden Flugblätter sind mit derselben Genauigkeit und Schnelligkeit verteilt<lb/> worden, wie nur je ein sozialdemokratischer Wahlaufruf verteilt worden ist.<lb/> Sie liegen vor uns, und beredter, als es sonst Worte zu sagen vermöchten,<lb/> spricht ihr Schlußsatz zu uus: „Verbreitet auf Veranlassung der Polizeibehörde.<lb/> Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Alter K Co. in Hamburg."</p><lb/> <p xml:id="ID_1802" next="#ID_1803"> Es ist nicht anders: nachdem wir in unsinniger Verblendung am Ende<lb/> des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts die früheren korporativen<lb/> Verbände, in denen die Menschen zusammengeschlossen waren, vernichtet haben,<lb/> statt sie auf eine der neuen Zeit entsprechende Weise zu reformiren, und nach¬<lb/> dem wir so die großen Massen des Volks in dein wilden Meere der ent¬<lb/> fesselten Selbstsucht der Vereinsamung preisgegeben und sie sittlich und wirt¬<lb/> schaftlich bis an den Rand des Abgrundes gebracht haben, hat sich aus diesen<lb/> Massen selbst eine organisatorische Bewegung entwickelt, die, zunächst scheinbar<lb/> und auch nach ihrem eignen Willen gegen den Bestand des Staats gerichtet.<lb/> dem Maße, wie sie anwächst, sich mit staatserhaltenden Grundsätzen erfüllt<lb/> und selbst ein lebendiges Glied wird innerhalb des Organismus des Staats.<lb/> Doch das mögen Zukunftsphantasien sein, die der Grundlage der Wirklichkeit<lb/> noch entbehren. Eins aber erscheint doch als gewiß, und diese Gewißheit ver¬<lb/> schafft uns gerade die traurige, über unsre größte Handelsstadt hereingebrochne<lb/> Katastrophe: wie gegen jenen dort drohenden innern Feind, so wird auch im<lb/> Augenblicke der Gefahr gegenüber einem äußern Feinde die Sozialdemokratie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Die Sozialdemokratie und die Cholera
Verwendung an der zuständigen Stelle, zu verlangen. Von einem allgemeinen
Angriff auf die Behörden und die ganze Staatsverwaltung hat man aber, und
zwar absichtlich, mit der Begründung Abstand genommen, daß es in Zeiten
der Gefahr die erste Pflicht der Bevölkerung sei, mit den Behörden in der
Bekämpfung des Übels Hand in Hand zu gehn, uicht aber deren Autorität
durch Anklagen und Angriffe zu schwächen. Die Folge dieser verständigen
Haltung ist denn auch die gewesen, daß man von der andern Seite wieder der
Sozialdemokratie entgegenkam und ihre Parteiorganisation, die sich ausdrück¬
lich dazu bereit erklärt hatte, mit zur Bekämpfung der Seuche heranzog. Nicht
nur die Handelskammer, das offizielle Organ zur Vertretung der Interessen
des Handelsstandes, beschloß, sich zur Bekämpfung des durch die Seuche her¬
beigeführten Notstandes mit der sozialdemokratischen Parteileitung^ die die
augenblicklichen Bedürfnisse der ärmern Bevölkerungsklasfen besser kenne, in
Verbindung zu setzen, sondern der Staat selbst nahm die Hilfe der straff-
orgcmisirten Parteien Anspruch, und diese Hilfe wurde bereitwilligst gewährt.
Die Sozialdemokratie wurde ersucht, vierhundert vom Staate zu besoldende
Männer zur Verstärkung der Sanitätskolonnen zu stellen, und sie stellte sie,
und sie wurde weiter ersucht, mittels ihrer bis in die einzelnen Bezirke durch¬
geführten Parteiorganisation zwei Flugblätter durch die ganze Stadt zu ver¬
breiten, die die Verhaltungsmaßregeln gegenüber der Cholera angaben. Die
beiden Flugblätter sind mit derselben Genauigkeit und Schnelligkeit verteilt
worden, wie nur je ein sozialdemokratischer Wahlaufruf verteilt worden ist.
Sie liegen vor uns, und beredter, als es sonst Worte zu sagen vermöchten,
spricht ihr Schlußsatz zu uus: „Verbreitet auf Veranlassung der Polizeibehörde.
Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Alter K Co. in Hamburg."
Es ist nicht anders: nachdem wir in unsinniger Verblendung am Ende
des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts die früheren korporativen
Verbände, in denen die Menschen zusammengeschlossen waren, vernichtet haben,
statt sie auf eine der neuen Zeit entsprechende Weise zu reformiren, und nach¬
dem wir so die großen Massen des Volks in dein wilden Meere der ent¬
fesselten Selbstsucht der Vereinsamung preisgegeben und sie sittlich und wirt¬
schaftlich bis an den Rand des Abgrundes gebracht haben, hat sich aus diesen
Massen selbst eine organisatorische Bewegung entwickelt, die, zunächst scheinbar
und auch nach ihrem eignen Willen gegen den Bestand des Staats gerichtet.
dem Maße, wie sie anwächst, sich mit staatserhaltenden Grundsätzen erfüllt
und selbst ein lebendiges Glied wird innerhalb des Organismus des Staats.
Doch das mögen Zukunftsphantasien sein, die der Grundlage der Wirklichkeit
noch entbehren. Eins aber erscheint doch als gewiß, und diese Gewißheit ver¬
schafft uns gerade die traurige, über unsre größte Handelsstadt hereingebrochne
Katastrophe: wie gegen jenen dort drohenden innern Feind, so wird auch im
Augenblicke der Gefahr gegenüber einem äußern Feinde die Sozialdemokratie
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