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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

heit aussprechen, die nur die Muttersprache verleiht, quälte sich hier ein der
freien Rede unkundiger Kathederprediger in fremder Sprache ab, unbehaglich
Unbehagen verbreitend. Eine Korrespondenz aus Dublin in der Allgemeinen
Zeitung, der man doch nicht Abneigung gegen Professoren vorwerfen kann, schil¬
derte vor einigen Monaten das bedauernerregende Auftreten der Vertreter der
deutschen Universitäten bei dem Universitätsjubiläum in Dublin, wo sie ihre
Reden in unverständlichem Englisch stotterten, während warm und zu Herzen
dringend, weil in gutem Deutsch, nur der Vertreter der Schweizer Universitäten
sprach. Die gelehrten Herren, die sich für fähig hielten, dort zu repräsentiren,
waren nicht weltkundig genug, zu wissen, daß eine selbstbewußte, gerade Ver¬
tretung nicht uur würdiger, sondern auch im tiefsten Sinne höflicher ist als
eine sich wegwerfende und linkische. Zufällig siel vor wenigen Tagen im
Hause eines schweizerischen Freundes unser Blick auf die offizielle Sammlung
der bei der Gründungsfeier der Lcmsanner Universität um Pfingsten 1891 ge-
haltnen Ansprachen, die mit der in französischer Übersetzung gegebnen Ansprache
des Vertreters der deutschen Universitäten beginnt und mit der deutschen An¬
sprache des Vertreters der schweizerischen Universitäten schließt. Gerade wie
in Dublin! Was in aller Welt konnte den Berliner Professor, einen gebornen
Schweizer, veranlassen, seine Rede in Übersetzung zu geben, wenn der Ver¬
treter der mehrsprachigen Schweizer Universitäten, ein Basler Professor und
geborner Schwabe, die seine im deutschen Original gab? Auch wenn der Ber¬
liner nicht die Taktlosigkeit begangen Hütte, sein Schweizcrtum durchschimmern
zu lassen, indem er den Schweizern Bescheidenheit empfahl -- was sonst ge¬
wiß nur zu billigen ist --, wäre dieses dem Ort und Zweck ganz ungemäße
Bevorzugen der fremden Sprache als Ausfluß eines Mangels an nationaler
Lebensart streng zu verurteilen. Diese erbauliche Lektüre ließ die Erinnerung
unwillkürlich über die grauen Juraberge weg nach dem alten Genf schweifen,
wo wir vor einigen Jahren in einer Festhalle saßen, in der nach der Begrüßungs¬
rede der Franzosen die bejubelte und mitgesungne Marseillaise erklang, wäh¬
rend der Rede des Deutschen die Jammerlaute von "Ich weiß nicht, was
soll es bedeuten" folgten. Die Schweizer "Freunde" hatten sie spielen lassen,
weil sie mit der "Wacht am Rhein" bei den Franzosen anzustoßen fürchteten,
und die deutschen Bedientenseelen lächelten vergnügt bei der Drehorgelmelodie.
Sie verdienten es nicht besser; nur wenige fühlten die Ohrfeige brennen und
schlichen sich beschämt von dannen.

Es ist klar, solchen und ähnlichen Leuten sollte die internationale Reprä¬
sentation nicht überlassen bleiben. Wir können aber keine Polizei über Fest¬
bummler und Kongreßschwätzer üben, und so können wir nur darauf hoffen,
daß die fortschreitende Selbsterziehung unsers Volks nicht bloß den Kern, son¬
dern auch die Formen unsers Thuns heilsam beeinflussen werde. Immer mehr
Menschen müssen, sobald sie die Grenze überschreiten, ihre Verantwortlichkeit


Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

heit aussprechen, die nur die Muttersprache verleiht, quälte sich hier ein der
freien Rede unkundiger Kathederprediger in fremder Sprache ab, unbehaglich
Unbehagen verbreitend. Eine Korrespondenz aus Dublin in der Allgemeinen
Zeitung, der man doch nicht Abneigung gegen Professoren vorwerfen kann, schil¬
derte vor einigen Monaten das bedauernerregende Auftreten der Vertreter der
deutschen Universitäten bei dem Universitätsjubiläum in Dublin, wo sie ihre
Reden in unverständlichem Englisch stotterten, während warm und zu Herzen
dringend, weil in gutem Deutsch, nur der Vertreter der Schweizer Universitäten
sprach. Die gelehrten Herren, die sich für fähig hielten, dort zu repräsentiren,
waren nicht weltkundig genug, zu wissen, daß eine selbstbewußte, gerade Ver¬
tretung nicht uur würdiger, sondern auch im tiefsten Sinne höflicher ist als
eine sich wegwerfende und linkische. Zufällig siel vor wenigen Tagen im
Hause eines schweizerischen Freundes unser Blick auf die offizielle Sammlung
der bei der Gründungsfeier der Lcmsanner Universität um Pfingsten 1891 ge-
haltnen Ansprachen, die mit der in französischer Übersetzung gegebnen Ansprache
des Vertreters der deutschen Universitäten beginnt und mit der deutschen An¬
sprache des Vertreters der schweizerischen Universitäten schließt. Gerade wie
in Dublin! Was in aller Welt konnte den Berliner Professor, einen gebornen
Schweizer, veranlassen, seine Rede in Übersetzung zu geben, wenn der Ver¬
treter der mehrsprachigen Schweizer Universitäten, ein Basler Professor und
geborner Schwabe, die seine im deutschen Original gab? Auch wenn der Ber¬
liner nicht die Taktlosigkeit begangen Hütte, sein Schweizcrtum durchschimmern
zu lassen, indem er den Schweizern Bescheidenheit empfahl — was sonst ge¬
wiß nur zu billigen ist —, wäre dieses dem Ort und Zweck ganz ungemäße
Bevorzugen der fremden Sprache als Ausfluß eines Mangels an nationaler
Lebensart streng zu verurteilen. Diese erbauliche Lektüre ließ die Erinnerung
unwillkürlich über die grauen Juraberge weg nach dem alten Genf schweifen,
wo wir vor einigen Jahren in einer Festhalle saßen, in der nach der Begrüßungs¬
rede der Franzosen die bejubelte und mitgesungne Marseillaise erklang, wäh¬
rend der Rede des Deutschen die Jammerlaute von „Ich weiß nicht, was
soll es bedeuten" folgten. Die Schweizer „Freunde" hatten sie spielen lassen,
weil sie mit der „Wacht am Rhein" bei den Franzosen anzustoßen fürchteten,
und die deutschen Bedientenseelen lächelten vergnügt bei der Drehorgelmelodie.
Sie verdienten es nicht besser; nur wenige fühlten die Ohrfeige brennen und
schlichen sich beschämt von dannen.

Es ist klar, solchen und ähnlichen Leuten sollte die internationale Reprä¬
sentation nicht überlassen bleiben. Wir können aber keine Polizei über Fest¬
bummler und Kongreßschwätzer üben, und so können wir nur darauf hoffen,
daß die fortschreitende Selbsterziehung unsers Volks nicht bloß den Kern, son¬
dern auch die Formen unsers Thuns heilsam beeinflussen werde. Immer mehr
Menschen müssen, sobald sie die Grenze überschreiten, ihre Verantwortlichkeit


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[0450] Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker heit aussprechen, die nur die Muttersprache verleiht, quälte sich hier ein der freien Rede unkundiger Kathederprediger in fremder Sprache ab, unbehaglich Unbehagen verbreitend. Eine Korrespondenz aus Dublin in der Allgemeinen Zeitung, der man doch nicht Abneigung gegen Professoren vorwerfen kann, schil¬ derte vor einigen Monaten das bedauernerregende Auftreten der Vertreter der deutschen Universitäten bei dem Universitätsjubiläum in Dublin, wo sie ihre Reden in unverständlichem Englisch stotterten, während warm und zu Herzen dringend, weil in gutem Deutsch, nur der Vertreter der Schweizer Universitäten sprach. Die gelehrten Herren, die sich für fähig hielten, dort zu repräsentiren, waren nicht weltkundig genug, zu wissen, daß eine selbstbewußte, gerade Ver¬ tretung nicht uur würdiger, sondern auch im tiefsten Sinne höflicher ist als eine sich wegwerfende und linkische. Zufällig siel vor wenigen Tagen im Hause eines schweizerischen Freundes unser Blick auf die offizielle Sammlung der bei der Gründungsfeier der Lcmsanner Universität um Pfingsten 1891 ge- haltnen Ansprachen, die mit der in französischer Übersetzung gegebnen Ansprache des Vertreters der deutschen Universitäten beginnt und mit der deutschen An¬ sprache des Vertreters der schweizerischen Universitäten schließt. Gerade wie in Dublin! Was in aller Welt konnte den Berliner Professor, einen gebornen Schweizer, veranlassen, seine Rede in Übersetzung zu geben, wenn der Ver¬ treter der mehrsprachigen Schweizer Universitäten, ein Basler Professor und geborner Schwabe, die seine im deutschen Original gab? Auch wenn der Ber¬ liner nicht die Taktlosigkeit begangen Hütte, sein Schweizcrtum durchschimmern zu lassen, indem er den Schweizern Bescheidenheit empfahl — was sonst ge¬ wiß nur zu billigen ist —, wäre dieses dem Ort und Zweck ganz ungemäße Bevorzugen der fremden Sprache als Ausfluß eines Mangels an nationaler Lebensart streng zu verurteilen. Diese erbauliche Lektüre ließ die Erinnerung unwillkürlich über die grauen Juraberge weg nach dem alten Genf schweifen, wo wir vor einigen Jahren in einer Festhalle saßen, in der nach der Begrüßungs¬ rede der Franzosen die bejubelte und mitgesungne Marseillaise erklang, wäh¬ rend der Rede des Deutschen die Jammerlaute von „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" folgten. Die Schweizer „Freunde" hatten sie spielen lassen, weil sie mit der „Wacht am Rhein" bei den Franzosen anzustoßen fürchteten, und die deutschen Bedientenseelen lächelten vergnügt bei der Drehorgelmelodie. Sie verdienten es nicht besser; nur wenige fühlten die Ohrfeige brennen und schlichen sich beschämt von dannen. Es ist klar, solchen und ähnlichen Leuten sollte die internationale Reprä¬ sentation nicht überlassen bleiben. Wir können aber keine Polizei über Fest¬ bummler und Kongreßschwätzer üben, und so können wir nur darauf hoffen, daß die fortschreitende Selbsterziehung unsers Volks nicht bloß den Kern, son¬ dern auch die Formen unsers Thuns heilsam beeinflussen werde. Immer mehr Menschen müssen, sobald sie die Grenze überschreiten, ihre Verantwortlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/450>, abgerufen am 06.01.2025.