Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Mußte es so kommen? dischen Glaubensbekenntnis zu fragen, wenn sie Christi Ruf: Kommt her zu Die alten politischen Parteien mögen nnn leben oder sterben -- vor der Wie oft schon, ist es auch heute wieder der hohe Beruf der Wissenschaft, Mußte es so kommen? dischen Glaubensbekenntnis zu fragen, wenn sie Christi Ruf: Kommt her zu Die alten politischen Parteien mögen nnn leben oder sterben — vor der Wie oft schon, ist es auch heute wieder der hohe Beruf der Wissenschaft, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212875"/> <fw type="header" place="top"> Mußte es so kommen?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1343" prev="#ID_1342"> dischen Glaubensbekenntnis zu fragen, wenn sie Christi Ruf: Kommt her zu<lb/> mir alle, die ihr mühselig und beladen seid! gerade an die arbeitenden Klassen<lb/> ergehen läßt? Wenn sie zunächst einmal alle Kräfte darauf konzentrirte, inner¬<lb/> halb der äußerlich zu ihr haltenden Gesellschaftsklassen ein lebendiges, durch<lb/> christlichen Wandel sich bezeugendes Christentum zu schaffen, sie würde damit<lb/> mehr zur Lösung der sozialen Frage beitragen, als durch Wiederbekehrung<lb/> Hunderter und laufender von Sozialdemokraten. Es ist das hohe Verdienst<lb/> Stöckers, daß er seine eindringlichen Bußpredigten zuerst und vor allen an die<lb/> besitzenden Klassen richtet, vielleicht auch die Erklärung dafür, daß er von<lb/> seinen sozialdemokratischen Gegnern noch immer angehört wordeu ist und noch<lb/> hente mit einer gewissen widerwilligen Achtung genannt wird. So soll es<lb/> auch der Kreuzzeitung nicht vergessen werden, daß sie oft genug gerade von<lb/> den Sünden ihrer nächsten Partei- und Standesgenossen furchtlos den Schleier<lb/> gezogen hat. Gegen den Grundbesitzer und Fabrikanten, der auch nur das<lb/> eine Gebot Christi befolgte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Hütte es<lb/> keiner Arbeiterschntz-, Sonntagsheilignngs-, Alters- und Unfallversicherungs-<lb/> gesetze bedurft, wie sie noch immer den staatserhaltenden Parteien abgerungen<lb/> werden müssen, ohne daß die Morgenröte des sozialen Friedens tagen will.<lb/> So lasse sich doch auch ein jeder daran genügen, selbst den König zu ehren,<lb/> anstatt täglich von neuem die Königstreue seiner politischen Gegner unter die<lb/> Lupe zu nehmen. Die monarchischen Empfindungen des ganzen Volks werden<lb/> nur Gewinn davon haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1344"> Die alten politischen Parteien mögen nnn leben oder sterben — vor der<lb/> Hand können sie weder das eine noch das andre —, ihre alten Schlagwörter<lb/> sind verbraucht. Auch Religion, Sittlichkeit und Königstreue können ihren<lb/> Programmen nicht aufhelfen- Selbst mit den wuchtigen nationalen Akkorden,<lb/> und wenn sie von der Hand des Meisters gegriffen werden, lassen sich die<lb/> täglichen politischen Geschäfte nicht erledigen. Die brennenden Fragen des<lb/> Tages sind die wirtschaftlichen, und ihnen thut nur eine nüchterne, langweilige<lb/> Behandlung gut. Hinter all den hochtönenden Phrasen der Programme pflegt<lb/> sich doch nur das soziale Nichtwollen, vielleicht auch Nichtkvnnen zu verstecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1345" next="#ID_1346"> Wie oft schon, ist es auch heute wieder der hohe Beruf der Wissenschaft,<lb/> den durch das Getöse der widerstreitenden Tagesmeinungen verwirrten Gedanken<lb/> einen Sammelpunkt zu gewähren. Erst die geschichtliche Betrachtung des<lb/> Gewordnen öffnet, wie in der eigentlichen Politik, so auch in der Wirtschafts¬<lb/> politik das Berstäudnis für die Gegenwart und die Möglichkeit eines Ausblicks<lb/> in die Zukunft. Die heutige deutsche volkswirtschaftliche Litteratur zeigt nun<lb/> zwar den ganzen Widerstreit der Schulen und Lehrmeinungen. Sie ist aber<lb/> unverkennbar vou einem tiefen Streben uach Wahrheit erfüllt. Mit Erstaunen<lb/> gewahrt man die Sachlichkeit und Ruhe, mit der namentlich anch die sozia¬<lb/> listischen Forderungen auf ihre Ausführbarkeit geprüft werden. Das Ergebnis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
Mußte es so kommen?
dischen Glaubensbekenntnis zu fragen, wenn sie Christi Ruf: Kommt her zu
mir alle, die ihr mühselig und beladen seid! gerade an die arbeitenden Klassen
ergehen läßt? Wenn sie zunächst einmal alle Kräfte darauf konzentrirte, inner¬
halb der äußerlich zu ihr haltenden Gesellschaftsklassen ein lebendiges, durch
christlichen Wandel sich bezeugendes Christentum zu schaffen, sie würde damit
mehr zur Lösung der sozialen Frage beitragen, als durch Wiederbekehrung
Hunderter und laufender von Sozialdemokraten. Es ist das hohe Verdienst
Stöckers, daß er seine eindringlichen Bußpredigten zuerst und vor allen an die
besitzenden Klassen richtet, vielleicht auch die Erklärung dafür, daß er von
seinen sozialdemokratischen Gegnern noch immer angehört wordeu ist und noch
hente mit einer gewissen widerwilligen Achtung genannt wird. So soll es
auch der Kreuzzeitung nicht vergessen werden, daß sie oft genug gerade von
den Sünden ihrer nächsten Partei- und Standesgenossen furchtlos den Schleier
gezogen hat. Gegen den Grundbesitzer und Fabrikanten, der auch nur das
eine Gebot Christi befolgte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Hütte es
keiner Arbeiterschntz-, Sonntagsheilignngs-, Alters- und Unfallversicherungs-
gesetze bedurft, wie sie noch immer den staatserhaltenden Parteien abgerungen
werden müssen, ohne daß die Morgenröte des sozialen Friedens tagen will.
So lasse sich doch auch ein jeder daran genügen, selbst den König zu ehren,
anstatt täglich von neuem die Königstreue seiner politischen Gegner unter die
Lupe zu nehmen. Die monarchischen Empfindungen des ganzen Volks werden
nur Gewinn davon haben.
Die alten politischen Parteien mögen nnn leben oder sterben — vor der
Hand können sie weder das eine noch das andre —, ihre alten Schlagwörter
sind verbraucht. Auch Religion, Sittlichkeit und Königstreue können ihren
Programmen nicht aufhelfen- Selbst mit den wuchtigen nationalen Akkorden,
und wenn sie von der Hand des Meisters gegriffen werden, lassen sich die
täglichen politischen Geschäfte nicht erledigen. Die brennenden Fragen des
Tages sind die wirtschaftlichen, und ihnen thut nur eine nüchterne, langweilige
Behandlung gut. Hinter all den hochtönenden Phrasen der Programme pflegt
sich doch nur das soziale Nichtwollen, vielleicht auch Nichtkvnnen zu verstecken.
Wie oft schon, ist es auch heute wieder der hohe Beruf der Wissenschaft,
den durch das Getöse der widerstreitenden Tagesmeinungen verwirrten Gedanken
einen Sammelpunkt zu gewähren. Erst die geschichtliche Betrachtung des
Gewordnen öffnet, wie in der eigentlichen Politik, so auch in der Wirtschafts¬
politik das Berstäudnis für die Gegenwart und die Möglichkeit eines Ausblicks
in die Zukunft. Die heutige deutsche volkswirtschaftliche Litteratur zeigt nun
zwar den ganzen Widerstreit der Schulen und Lehrmeinungen. Sie ist aber
unverkennbar vou einem tiefen Streben uach Wahrheit erfüllt. Mit Erstaunen
gewahrt man die Sachlichkeit und Ruhe, mit der namentlich anch die sozia¬
listischen Forderungen auf ihre Ausführbarkeit geprüft werden. Das Ergebnis
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