Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches finde unser Wort zuerst 1754 bei Wieland, Supplemente 4, 17 (Erinnerungen an Nicht viel anders steht es mit der ebenfalls auf Jean Paul zurückgeführten Und weil dem Tage gewöhnlich eine Nacht entspricht, so möge Wieland noch einmal Maßgebliches und Unmaßgebliches finde unser Wort zuerst 1754 bei Wieland, Supplemente 4, 17 (Erinnerungen an Nicht viel anders steht es mit der ebenfalls auf Jean Paul zurückgeführten Und weil dem Tage gewöhnlich eine Nacht entspricht, so möge Wieland noch einmal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212862"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1302" prev="#ID_1301"> finde unser Wort zuerst 1754 bei Wieland, Supplemente 4, 17 (Erinnerungen an<lb/> eine Freundin): der anspruchlose bescheidne Stolz auf selbstbewußten Wert.<lb/> Ebenso gebraucht es Wieland ein halbes Jahrhundert spater Bd. 33, 130 im<lb/> Hexameron von Rosenhain (1804): eine Unterhaltung, die ans beiden Seiten gleich<lb/> anspruchlos ist. Daß Schiller in der Jungfrau von Orleans und in der Schrift<lb/> Über das Naive die Form anspruchlos bietet, und zwar, wie Gödekes große<lb/> Ausgabe lehrt, ohne abweichende Lesart, ist vor einigen Jahren an anderm Orte<lb/> bemerkt worden. Campe in seinem Versuche Über die Reinigung und Bereicherung<lb/> der deutschen Sprache S. 20V (1794) giebt unter dein Worte Prätensionslos<lb/> das deutsche anspruchlos, ebenso im Vcrdeutschungswörterbnche S. 544d (1801);<lb/> auch Jördens im Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten 1, 244 (1806) hat<lb/> Anspruchlosigkeit neben prätensionsvoll ehb. 4, 41. Gerade aus diesem<lb/> neben Prätensionslos und prätensionsvoll so übereinstimmend gesetzten an¬<lb/> spruchlos und -voll darf man wohl schließen, daß Campe und Jördens in den<lb/> entsprechenden ganz deutschen Wörtern die Aussprache ohne bindendes s für üblich<lb/> oder mustergiltig gehalten haben. E. M. Arndt zeigt früher und später überein¬<lb/> stimmend die Schreibung anspruchlos; so An spruchlosi gien in seinen Reisen<lb/> dnrch einen Teil Deutschlands 2, 235 (2. Aust. 1804), desgleichen in den Schriften<lb/> An meine lieben Deutschen 2, 264 (Über den deutschen Stndentenstaat, zuerst er¬<lb/> schienen 1815); anspruchlos ehb. 3, 339 (Über G. A. Reimer, 1842). Niemeyer,<lb/> Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts 1, 544 (1318) hat anspruchlos,<lb/> ehb. 3.174 (1819) Anspruchlosigkeit und 225 anspruchvvlles Wesen. Auch<lb/> im Rheinischen Merkur (1814 bis in den Januar 1816) steht wiederholt an¬<lb/> spruchlos, doch daneben auch anspruchslos in Ur. 83 vom 17. Juli 1814 und<lb/> in Ur. 356 vom 3. Januar 1816. Wenig später finde ich Anspruchslosig¬<lb/> keit in Claurens Mimili, S. 32 der Reelamscheu Ausgabe, und ich will annehmen,<lb/> daß hier, wie solche Genauigkeit ja in der Reelamscheu Sammlung seit einigen<lb/> Jahren üblich geworden ist, ein getreuer Abdruck der ersten Ausgabe vom Jahre<lb/> 1816 vorliege. Diese leicht zu mehrenden Belege werden zum Beweise dafür<lb/> genügen, daß unsre großen Schriftsteller wie Wieland, Goethe, Schiller n. a. in<lb/> ihrer frühern und in ihrer spätern Zeit die Form anspruchlos gebrauchten, und<lb/> daß es die kleinern im allgemeinen ebenso machten; daß ferner schon in den letzten<lb/> Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts die Form anspruchslos vereinzelt<lb/> und seit dem zweiten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts häufiger vorkommt, jedoch<lb/> in den Wörterbüchern, anßer bei Cadet, noch lange Zeit keine Anerkennung findet,<lb/> bis sie seit den fünfziger und sechziger Jahren das Übergewicht bekommt, sodaß<lb/> schließlich im Jahre 1392 in den Grenzboten die Form ohne s als fremdartige<lb/> Bildung betrachtet werden kann, die sich angeblich erst als Nachahmung des seiner¬<lb/> zeit ja vielen Schriftstellern als Vorbild geltenden Jean Paul erklären läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1303"> Nicht viel anders steht es mit der ebenfalls auf Jean Paul zurückgeführten<lb/> Schreibung Hochzeittag. Die vorhin genannten Wörterbücher bezeichnen über¬<lb/> einstimmend sämtliche Zusammensetzungen mit Hochzeit ohne das bindendes, und<lb/> auch diese Angaben entsprechen dem bis vor einigen Jahrzehnten geltenden Sprach¬<lb/> gebrauche. Auf Vorführung von Beispielen kann verzichtet werden; es sei nur<lb/> erinnert an Herders bekannte Ballade Erlkönigs Tochter, in der Otus spricht:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_9" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1304" next="#ID_1305"> Und weil dem Tage gewöhnlich eine Nacht entspricht, so möge Wieland noch einmal</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
finde unser Wort zuerst 1754 bei Wieland, Supplemente 4, 17 (Erinnerungen an
eine Freundin): der anspruchlose bescheidne Stolz auf selbstbewußten Wert.
Ebenso gebraucht es Wieland ein halbes Jahrhundert spater Bd. 33, 130 im
Hexameron von Rosenhain (1804): eine Unterhaltung, die ans beiden Seiten gleich
anspruchlos ist. Daß Schiller in der Jungfrau von Orleans und in der Schrift
Über das Naive die Form anspruchlos bietet, und zwar, wie Gödekes große
Ausgabe lehrt, ohne abweichende Lesart, ist vor einigen Jahren an anderm Orte
bemerkt worden. Campe in seinem Versuche Über die Reinigung und Bereicherung
der deutschen Sprache S. 20V (1794) giebt unter dein Worte Prätensionslos
das deutsche anspruchlos, ebenso im Vcrdeutschungswörterbnche S. 544d (1801);
auch Jördens im Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten 1, 244 (1806) hat
Anspruchlosigkeit neben prätensionsvoll ehb. 4, 41. Gerade aus diesem
neben Prätensionslos und prätensionsvoll so übereinstimmend gesetzten an¬
spruchlos und -voll darf man wohl schließen, daß Campe und Jördens in den
entsprechenden ganz deutschen Wörtern die Aussprache ohne bindendes s für üblich
oder mustergiltig gehalten haben. E. M. Arndt zeigt früher und später überein¬
stimmend die Schreibung anspruchlos; so An spruchlosi gien in seinen Reisen
dnrch einen Teil Deutschlands 2, 235 (2. Aust. 1804), desgleichen in den Schriften
An meine lieben Deutschen 2, 264 (Über den deutschen Stndentenstaat, zuerst er¬
schienen 1815); anspruchlos ehb. 3, 339 (Über G. A. Reimer, 1842). Niemeyer,
Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts 1, 544 (1318) hat anspruchlos,
ehb. 3.174 (1819) Anspruchlosigkeit und 225 anspruchvvlles Wesen. Auch
im Rheinischen Merkur (1814 bis in den Januar 1816) steht wiederholt an¬
spruchlos, doch daneben auch anspruchslos in Ur. 83 vom 17. Juli 1814 und
in Ur. 356 vom 3. Januar 1816. Wenig später finde ich Anspruchslosig¬
keit in Claurens Mimili, S. 32 der Reelamscheu Ausgabe, und ich will annehmen,
daß hier, wie solche Genauigkeit ja in der Reelamscheu Sammlung seit einigen
Jahren üblich geworden ist, ein getreuer Abdruck der ersten Ausgabe vom Jahre
1816 vorliege. Diese leicht zu mehrenden Belege werden zum Beweise dafür
genügen, daß unsre großen Schriftsteller wie Wieland, Goethe, Schiller n. a. in
ihrer frühern und in ihrer spätern Zeit die Form anspruchlos gebrauchten, und
daß es die kleinern im allgemeinen ebenso machten; daß ferner schon in den letzten
Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts die Form anspruchslos vereinzelt
und seit dem zweiten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts häufiger vorkommt, jedoch
in den Wörterbüchern, anßer bei Cadet, noch lange Zeit keine Anerkennung findet,
bis sie seit den fünfziger und sechziger Jahren das Übergewicht bekommt, sodaß
schließlich im Jahre 1392 in den Grenzboten die Form ohne s als fremdartige
Bildung betrachtet werden kann, die sich angeblich erst als Nachahmung des seiner¬
zeit ja vielen Schriftstellern als Vorbild geltenden Jean Paul erklären läßt.
Nicht viel anders steht es mit der ebenfalls auf Jean Paul zurückgeführten
Schreibung Hochzeittag. Die vorhin genannten Wörterbücher bezeichnen über¬
einstimmend sämtliche Zusammensetzungen mit Hochzeit ohne das bindendes, und
auch diese Angaben entsprechen dem bis vor einigen Jahrzehnten geltenden Sprach¬
gebrauche. Auf Vorführung von Beispielen kann verzichtet werden; es sei nur
erinnert an Herders bekannte Ballade Erlkönigs Tochter, in der Otus spricht:
Und weil dem Tage gewöhnlich eine Nacht entspricht, so möge Wieland noch einmal
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