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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bischof Waller

vor Hunger und Blöße nur gesichert, jedes Augenblicks wahrnehmen möchten,
um ihm zu entlaufen, nein, daß sie sich heimisch fühlen auf dieser Erde, durch
all das, was wir eingeschlossen achten in unsre Bitte um das tägliche Brot."
Und in seiner letzten Landtagspredigt ruft er: "Lasset fallen die letzten Frohnen,
denen ihr schon vor zwanzig Jahren das Urteil gesprochen, daß nicht das
ganze Land Schaden leide dnrch einige Säumige! Laßt auch die Pachter,
deren Steigerung nicht, wie die der Frohne, in bestimmte Grenzen geschlossen
werden kann, bald dem Verkaufe des Baucrlcmdes weichen, daß ungetrübtes
Wohlbehagen wieder einziehe in der Bauern Häuser!"

Man kann sich nicht wundern, daß bei so starkem Interessengegensätze
zwischen Adel und Bauern diesen in unsrer Zeit krankhaft erregter nationaler
Empfindlichkeit auch der nationale Gegensatz wieder zum Bewußtsein kam und
sich in der Abneigung gegen deutsche Schulung äußerte. Walter bedauerte es
als einen Fehler, daß der Adel die Zeit seiner unumschränkten Herrschaft nicht
zur vollständigen Germanisirung des Landes benutzt habe. Schon in den
dreißiger Jahren schrieb er: "Das Absorbirtwerden einer an intelligenter Ent¬
wicklung ihrer Nachbarin nachstehenden Nationalität von dieser, namentlich wo
sie einem Volke gehört, das in seiner geringen Kopfzahl keine Hoffnung hat
auf selbständige, nationale Entwicklung der Intelligenz, ist ein naturgemäßer
Akt. Es ist das natürliche Opfer, welches der beschränktere Begriff der Natio¬
nalität dem allgemeinen Begriffe der Menschheit bringen muß, sobald er diesen
nicht in sich realisiren kann; ein Opfer, bei welchem das Volk in seinen Glie¬
dern nicht verloren geht, noch auch verloren geht sein bisheriges nationales
Ringen, ob es auch fürder nicht fortbestehe in seiner Nationalität. Dagegen
von der an Intelligenz höher stehenden Nationalität, und ob sie auch der ge¬
ringern Kopfzahl angehören sollte, zu fordern, daß sie in eine minder intelli¬
gente Nationalität aufgehe, heißt fordern, daß sie nicht nur für künftig ihre
nationale Beschränkung aufgebe, sondern auch aufgebe das Resultat ihres bis¬
herigen nationalen Strebens, ihr nationales Fördern der Menschheit, und das
ist ein Mord an Nationalität und Menschheit." Daß diese Zumutung deu
Deutschen in Rußland nicht erspart bleiben werde, kündigte die Haltung der
russischen Behörden in Walters letzten Lebenssahren schon an; man konnte be¬
merken, daß die russischen Behörden die nationallettische Bewegung im national-
russischen Interesse begünstigten. Dieser Gefahr gegenüber erinnert Walter daran,
was die Deutschen, die bisher fast allein das Bedürfnis des Reichs an Intelli¬
genz gedeckt hätten, diesem gewesen wären, und in einer Denkschrift über die
Bedeutung der Protestantischen Ostseeprovinzen für das russische Reich sagt er:
"Sollte die unselige Unifvrmirungsidee von der einen Sprache und dem einen
Glauben, welche zum Gedeihen eines Staats notwendig sein sollen (ein Gleich¬
machergedanke, der zunächst in den Kommunisten wie Sozialisten, in allen
Revolutionsmännern des Westens spukt), wirklich in den Ostseeprovinzen durch-


Bischof Waller

vor Hunger und Blöße nur gesichert, jedes Augenblicks wahrnehmen möchten,
um ihm zu entlaufen, nein, daß sie sich heimisch fühlen auf dieser Erde, durch
all das, was wir eingeschlossen achten in unsre Bitte um das tägliche Brot."
Und in seiner letzten Landtagspredigt ruft er: „Lasset fallen die letzten Frohnen,
denen ihr schon vor zwanzig Jahren das Urteil gesprochen, daß nicht das
ganze Land Schaden leide dnrch einige Säumige! Laßt auch die Pachter,
deren Steigerung nicht, wie die der Frohne, in bestimmte Grenzen geschlossen
werden kann, bald dem Verkaufe des Baucrlcmdes weichen, daß ungetrübtes
Wohlbehagen wieder einziehe in der Bauern Häuser!"

Man kann sich nicht wundern, daß bei so starkem Interessengegensätze
zwischen Adel und Bauern diesen in unsrer Zeit krankhaft erregter nationaler
Empfindlichkeit auch der nationale Gegensatz wieder zum Bewußtsein kam und
sich in der Abneigung gegen deutsche Schulung äußerte. Walter bedauerte es
als einen Fehler, daß der Adel die Zeit seiner unumschränkten Herrschaft nicht
zur vollständigen Germanisirung des Landes benutzt habe. Schon in den
dreißiger Jahren schrieb er: „Das Absorbirtwerden einer an intelligenter Ent¬
wicklung ihrer Nachbarin nachstehenden Nationalität von dieser, namentlich wo
sie einem Volke gehört, das in seiner geringen Kopfzahl keine Hoffnung hat
auf selbständige, nationale Entwicklung der Intelligenz, ist ein naturgemäßer
Akt. Es ist das natürliche Opfer, welches der beschränktere Begriff der Natio¬
nalität dem allgemeinen Begriffe der Menschheit bringen muß, sobald er diesen
nicht in sich realisiren kann; ein Opfer, bei welchem das Volk in seinen Glie¬
dern nicht verloren geht, noch auch verloren geht sein bisheriges nationales
Ringen, ob es auch fürder nicht fortbestehe in seiner Nationalität. Dagegen
von der an Intelligenz höher stehenden Nationalität, und ob sie auch der ge¬
ringern Kopfzahl angehören sollte, zu fordern, daß sie in eine minder intelli¬
gente Nationalität aufgehe, heißt fordern, daß sie nicht nur für künftig ihre
nationale Beschränkung aufgebe, sondern auch aufgebe das Resultat ihres bis¬
herigen nationalen Strebens, ihr nationales Fördern der Menschheit, und das
ist ein Mord an Nationalität und Menschheit." Daß diese Zumutung deu
Deutschen in Rußland nicht erspart bleiben werde, kündigte die Haltung der
russischen Behörden in Walters letzten Lebenssahren schon an; man konnte be¬
merken, daß die russischen Behörden die nationallettische Bewegung im national-
russischen Interesse begünstigten. Dieser Gefahr gegenüber erinnert Walter daran,
was die Deutschen, die bisher fast allein das Bedürfnis des Reichs an Intelli¬
genz gedeckt hätten, diesem gewesen wären, und in einer Denkschrift über die
Bedeutung der Protestantischen Ostseeprovinzen für das russische Reich sagt er:
„Sollte die unselige Unifvrmirungsidee von der einen Sprache und dem einen
Glauben, welche zum Gedeihen eines Staats notwendig sein sollen (ein Gleich¬
machergedanke, der zunächst in den Kommunisten wie Sozialisten, in allen
Revolutionsmännern des Westens spukt), wirklich in den Ostseeprovinzen durch-


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[0276] Bischof Waller vor Hunger und Blöße nur gesichert, jedes Augenblicks wahrnehmen möchten, um ihm zu entlaufen, nein, daß sie sich heimisch fühlen auf dieser Erde, durch all das, was wir eingeschlossen achten in unsre Bitte um das tägliche Brot." Und in seiner letzten Landtagspredigt ruft er: „Lasset fallen die letzten Frohnen, denen ihr schon vor zwanzig Jahren das Urteil gesprochen, daß nicht das ganze Land Schaden leide dnrch einige Säumige! Laßt auch die Pachter, deren Steigerung nicht, wie die der Frohne, in bestimmte Grenzen geschlossen werden kann, bald dem Verkaufe des Baucrlcmdes weichen, daß ungetrübtes Wohlbehagen wieder einziehe in der Bauern Häuser!" Man kann sich nicht wundern, daß bei so starkem Interessengegensätze zwischen Adel und Bauern diesen in unsrer Zeit krankhaft erregter nationaler Empfindlichkeit auch der nationale Gegensatz wieder zum Bewußtsein kam und sich in der Abneigung gegen deutsche Schulung äußerte. Walter bedauerte es als einen Fehler, daß der Adel die Zeit seiner unumschränkten Herrschaft nicht zur vollständigen Germanisirung des Landes benutzt habe. Schon in den dreißiger Jahren schrieb er: „Das Absorbirtwerden einer an intelligenter Ent¬ wicklung ihrer Nachbarin nachstehenden Nationalität von dieser, namentlich wo sie einem Volke gehört, das in seiner geringen Kopfzahl keine Hoffnung hat auf selbständige, nationale Entwicklung der Intelligenz, ist ein naturgemäßer Akt. Es ist das natürliche Opfer, welches der beschränktere Begriff der Natio¬ nalität dem allgemeinen Begriffe der Menschheit bringen muß, sobald er diesen nicht in sich realisiren kann; ein Opfer, bei welchem das Volk in seinen Glie¬ dern nicht verloren geht, noch auch verloren geht sein bisheriges nationales Ringen, ob es auch fürder nicht fortbestehe in seiner Nationalität. Dagegen von der an Intelligenz höher stehenden Nationalität, und ob sie auch der ge¬ ringern Kopfzahl angehören sollte, zu fordern, daß sie in eine minder intelli¬ gente Nationalität aufgehe, heißt fordern, daß sie nicht nur für künftig ihre nationale Beschränkung aufgebe, sondern auch aufgebe das Resultat ihres bis¬ herigen nationalen Strebens, ihr nationales Fördern der Menschheit, und das ist ein Mord an Nationalität und Menschheit." Daß diese Zumutung deu Deutschen in Rußland nicht erspart bleiben werde, kündigte die Haltung der russischen Behörden in Walters letzten Lebenssahren schon an; man konnte be¬ merken, daß die russischen Behörden die nationallettische Bewegung im national- russischen Interesse begünstigten. Dieser Gefahr gegenüber erinnert Walter daran, was die Deutschen, die bisher fast allein das Bedürfnis des Reichs an Intelli¬ genz gedeckt hätten, diesem gewesen wären, und in einer Denkschrift über die Bedeutung der Protestantischen Ostseeprovinzen für das russische Reich sagt er: „Sollte die unselige Unifvrmirungsidee von der einen Sprache und dem einen Glauben, welche zum Gedeihen eines Staats notwendig sein sollen (ein Gleich¬ machergedanke, der zunächst in den Kommunisten wie Sozialisten, in allen Revolutionsmännern des Westens spukt), wirklich in den Ostseeprovinzen durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/276>, abgerufen am 08.01.2025.