Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Bischof Walter Hätten sich die Bauern befriedigender Zustände erfreut, fo hätte eine solche In der Biographie Walters und in seinen Landtagspredigten finden sich Bischof Walter Hätten sich die Bauern befriedigender Zustände erfreut, fo hätte eine solche In der Biographie Walters und in seinen Landtagspredigten finden sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212750"/> <fw type="header" place="top"> Bischof Walter</fw><lb/> <p xml:id="ID_883"> Hätten sich die Bauern befriedigender Zustände erfreut, fo hätte eine solche<lb/> halb revolutionäre Bewegung keinen Sinn gehabt. Das war nun aber leider<lb/> nicht der Fall, und darin liegt die Schuld des Adels, für die das Land jetzt<lb/> büßt. Über die frühern bäuerlichen Verhältnisse sind wir ganz geuau unter¬<lb/> richtet durch die im Jahrgang 1890 der Grenzboten (viertes Vierteljahr, S. 141)<lb/> kurz angezeigte Arbeit von Transehe-Nvseneck: „Gutsherr und Bauer in Liv-<lb/> land im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert." Auch hier begann, wie<lb/> in ganz Deutschland, im fünfzehnten Jahrhundert unter dem Einflüsse des<lb/> römischen Rechts das Bauernlegen und die Vauernknechtung, nahm aber weit<lb/> hürtre Formen an, als selbst in Mecklenburg und Neuvorpommern. „Am<lb/> Ende der Ordenszeit, sagt Transehe, finden wir einen wohlhabenden, ja in<lb/> manchen Gegenden sogar reichen Bauernstand, der in üppigem Leben dem<lb/> städtischen Bürger und dem Ritter nacheiferte. Die Zahl der Freibauern ist (?)<lb/> nicht gering, der grüßte Teil der Bauern allerdings ist hörig und an die<lb/> Scholle gebunden, war (?) jedoch nicht leibeigen. Dies waren nur die so¬<lb/> genannten Drellen, deren Zustand sich aus der Kriegsgefangenschaft entwickelt<lb/> hatte." Im achtzehnten Jahrhundert finden wir den ganzen Bauernstand leib¬<lb/> eigen, und zwar uicht bloß leibeigen im Sinne der glelmu Ä«oriMo, sondern<lb/> so, daß der einzelne Mann ohne sein Gut verkauft, verschenkt, vertauscht, auf<lb/> den Markt gebracht werdeu kann. Auf dem Landtage von 1765, nannte die<lb/> Ritterschaft ihre Bauern 8<zrvi, „nach dein weitesten Umfange des römischen<lb/> Rechts, soweit es mit der christlichen Religion zusammenstehen kann." Die<lb/> Rücksicht ans die christliche Religion beschränkte sich darauf, daß man die Ehen<lb/> der Leibeignen als wirkliche Ehen betrachtete und bei Verkäufen die Ehegatten<lb/> nicht von einander zu trennen Pflegte; im übrigen war die Behandlung empörend.<lb/> Das Ausreißen wurde epidemisch unter den Bauern; mit Prügeln suchte man<lb/> ihm zu steuern, aber natürlich, je kräftiger die Herren prügelten, desto schleu¬<lb/> niger rissen die Bauern aus. Um Nachwuchs zu erzielen, gewährte man den<lb/> Burschen fürs Heiraten und Kinderzeugen Prämien in — Schnaps. Bis<lb/> 1765 hatte sich die russische Negierung grundsätzlich uicht in die innern<lb/> Angelegenheiten des Landes gemischt, sondern deu Adel, der sich selbst und<lb/> das Land ganz allein regierte, ungestört schalten und walten lassen. Als sie<lb/> nun von dem genannten Jahre der schlimmen Lage des Bauernstandes ihre<lb/> Aufmerksamkeit zuwendete, setzte der Adel ihren Reformbestrebungen anfänglich<lb/> den hartnäckigsten Widerstand entgegen. Mit der Zeit aber bildete sich eine<lb/> liberale Partei in der Ritterschaft, und auf die dem Adel abgerungnen Zu¬<lb/> geständnisse folgte eine Anzahl von den Landtagen freiwillig beschlvßuer, die<lb/> in der förmlichen Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1804 ihre Krö-<lb/> nung fanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_884" next="#ID_885"> In der Biographie Walters und in seinen Landtagspredigten finden sich<lb/> nur zarte Andeutungen an die frühern Zustände, dafür aber Klagen über den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0274]
Bischof Walter
Hätten sich die Bauern befriedigender Zustände erfreut, fo hätte eine solche
halb revolutionäre Bewegung keinen Sinn gehabt. Das war nun aber leider
nicht der Fall, und darin liegt die Schuld des Adels, für die das Land jetzt
büßt. Über die frühern bäuerlichen Verhältnisse sind wir ganz geuau unter¬
richtet durch die im Jahrgang 1890 der Grenzboten (viertes Vierteljahr, S. 141)
kurz angezeigte Arbeit von Transehe-Nvseneck: „Gutsherr und Bauer in Liv-
land im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert." Auch hier begann, wie
in ganz Deutschland, im fünfzehnten Jahrhundert unter dem Einflüsse des
römischen Rechts das Bauernlegen und die Vauernknechtung, nahm aber weit
hürtre Formen an, als selbst in Mecklenburg und Neuvorpommern. „Am
Ende der Ordenszeit, sagt Transehe, finden wir einen wohlhabenden, ja in
manchen Gegenden sogar reichen Bauernstand, der in üppigem Leben dem
städtischen Bürger und dem Ritter nacheiferte. Die Zahl der Freibauern ist (?)
nicht gering, der grüßte Teil der Bauern allerdings ist hörig und an die
Scholle gebunden, war (?) jedoch nicht leibeigen. Dies waren nur die so¬
genannten Drellen, deren Zustand sich aus der Kriegsgefangenschaft entwickelt
hatte." Im achtzehnten Jahrhundert finden wir den ganzen Bauernstand leib¬
eigen, und zwar uicht bloß leibeigen im Sinne der glelmu Ä«oriMo, sondern
so, daß der einzelne Mann ohne sein Gut verkauft, verschenkt, vertauscht, auf
den Markt gebracht werdeu kann. Auf dem Landtage von 1765, nannte die
Ritterschaft ihre Bauern 8<zrvi, „nach dein weitesten Umfange des römischen
Rechts, soweit es mit der christlichen Religion zusammenstehen kann." Die
Rücksicht ans die christliche Religion beschränkte sich darauf, daß man die Ehen
der Leibeignen als wirkliche Ehen betrachtete und bei Verkäufen die Ehegatten
nicht von einander zu trennen Pflegte; im übrigen war die Behandlung empörend.
Das Ausreißen wurde epidemisch unter den Bauern; mit Prügeln suchte man
ihm zu steuern, aber natürlich, je kräftiger die Herren prügelten, desto schleu¬
niger rissen die Bauern aus. Um Nachwuchs zu erzielen, gewährte man den
Burschen fürs Heiraten und Kinderzeugen Prämien in — Schnaps. Bis
1765 hatte sich die russische Negierung grundsätzlich uicht in die innern
Angelegenheiten des Landes gemischt, sondern deu Adel, der sich selbst und
das Land ganz allein regierte, ungestört schalten und walten lassen. Als sie
nun von dem genannten Jahre der schlimmen Lage des Bauernstandes ihre
Aufmerksamkeit zuwendete, setzte der Adel ihren Reformbestrebungen anfänglich
den hartnäckigsten Widerstand entgegen. Mit der Zeit aber bildete sich eine
liberale Partei in der Ritterschaft, und auf die dem Adel abgerungnen Zu¬
geständnisse folgte eine Anzahl von den Landtagen freiwillig beschlvßuer, die
in der förmlichen Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1804 ihre Krö-
nung fanden.
In der Biographie Walters und in seinen Landtagspredigten finden sich
nur zarte Andeutungen an die frühern Zustände, dafür aber Klagen über den
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |