Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.eigne Seele. Deren Geheimnis verspricht uns Vogt zu enthüllen, denn nach dein Sind die Hypothesen des materialistischen Monismus bewiesene Ergebnisse *) Diese Frage ist kürzlich von einem Zoologen mit aller nnr wünschenswerten Ent¬
schiedenheit beantwortet worden. Otto Hamann in Göttingen hat in seinem Buche: "Eine kritische Darstellung der modernen Entwicklungslehre" <Jena, bei Costenoble) von einer Menge D. R, sogenannter "biologischer Thatsachen" nachgewiesen, daß sie -- keine Thatsachen sind. eigne Seele. Deren Geheimnis verspricht uns Vogt zu enthüllen, denn nach dein Sind die Hypothesen des materialistischen Monismus bewiesene Ergebnisse *) Diese Frage ist kürzlich von einem Zoologen mit aller nnr wünschenswerten Ent¬
schiedenheit beantwortet worden. Otto Hamann in Göttingen hat in seinem Buche: „Eine kritische Darstellung der modernen Entwicklungslehre" <Jena, bei Costenoble) von einer Menge D. R, sogenannter „biologischer Thatsachen" nachgewiesen, daß sie — keine Thatsachen sind. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212721"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_816" prev="#ID_815"> eigne Seele. Deren Geheimnis verspricht uns Vogt zu enthüllen, denn nach dein<lb/> Titelblatt soll seine Untersuchung abschließen „mit der vollständigen Lösung des<lb/> Willensproblems, des Problems der juridischen Verantwortlichkeit und des theo¬<lb/> logischen Prinzips in der menschlichen Weiterentwicklung." Die „vollständige Lösung<lb/> des Willensprvblems" ist jedoch recht dürftig ausgefallen; sie beschränkt sich auf<lb/> die Beschreibung des Kampfes zwischen dem Hungergefühl und der Abneigung<lb/> gegen eine widerliche Speise in der Seele oder, vogtisch gesprochen, im Gehirn eines<lb/> Menschen. In Beziehung auf die Verantwortlichkeit ist anzuerkennen, daß Vogt<lb/> die thörichte Lehre Lombrosos vou der eingebornen Verbrechernatur zurückweist.<lb/> Er glaubt, daß durch die Zwangseinwirknng des Erziehers die Gehirnbahneu ebenso<lb/> in die richtige Lage gebracht werden können, wie die Finger des kleinen Kindes<lb/> beim Anfassen des Löffelstiels, und betrachtet die Strafjustiz als Volkserziehung,<lb/> die Strafen demnach als Abschreckung vom Bösen und Zwang zum Guten, wobei<lb/> die Wörter gut und böse das dem Gescllschaftskörper zuträgliche und schädliche<lb/> bezeichnen. Seine Teleologie endlich sucht zwischen Pessimismus und Optimismus<lb/> hindnrchlavirend zu dem Ideal der Freiheit, des absoluten Menschenrechts und der<lb/> uneingeschränkten Menschenwürde zu gelangen, wobei die gegenwärtige Lage der<lb/> Menschheit und die sozialen Aufgaben in einer von unsrer Auffassung nicht gar<lb/> weit nbweicheuden Weise beurteilt werden. Wie freilich die Freiheit verwirklicht<lb/> werden soll, wenn alles Handeln mit Notwendigkeit aus der teils angebornen,<lb/> teils durch Erziehungseinflüsse gebildeten Beschaffenheit des Gehirns hervorgeht,<lb/> wie die gerade im Besitze der Macht befindlichen dahin gebracht werden sollen,<lb/> daß sie nicht die Gesundheit des Gesellschaftskörpers fortwährend mit ihrem persön¬<lb/> lichen Wohlbefinden verwechseln, wenn es keinen Gott mehr giebt, dem sich alle<lb/> verantwortlich fühlen, und wie ohne das psychische Element der sittlichen Ideen<lb/> die Gchirnbahnenleitung jemals über das roheste Streben nach leiblichem Wohl¬<lb/> behagen hinausführen kann, darauf bleibt uns Vogt die Antwort schuldig.</p><lb/> <p xml:id="ID_817"> Sind die Hypothesen des materialistischen Monismus bewiesene Ergebnisse<lb/> der exakten Wissenschaft, oder sind sie es nicht? Im ersten Falle wird man auf<lb/> die Verwendung religiöser Vorstellungen bei der Jugend- und Volkserziehung ver¬<lb/> zichten und aufhören müssen, über die Gottlosigkeit der Sozialdemokratie zu jammern.<lb/> Im zweiten Fall werden sich die Herren Professoren endlich einmal herablassen<lb/> müssen, dem Volke reinen Wein einzuschenken in Beziehung auf das, was in ana¬<lb/> tomischer, physiologischer, geologischer Beziehung feststeht und was nicht. Wir<lb/> wollen eine ganz bestimmte Frage stellen. Edward Aveling hat bei Dietz in<lb/> Stuttgart eine übrigens gar nicht üble Darstellung der Darwinischen Theorie<lb/> herausgegeben. Darm stellt er u. a. S. 129 ff. die Behauptung auf, der niedrigste<lb/> Mensch stehe in anatomischer Beziehung dem höchsten Affen näher als dem höchsten<lb/> Menschen. Ist das wahr, oder ist es nicht wahr? Wir glauben, daß sich diese<lb/> Frage mit absoluter Sicherheit und Genauigkeit beantworten läßt, und ist sie einmal<lb/> beantwortet, so muß die richtige Autwort in allen naturwissenschaftlichen Lehr¬<lb/> büchern stehn, so gut wie der Pythagoräer in allen Handbüchern der Planimetrie,<lb/> und falsche Angaben dürfen so wenig mehr geduldet werden, wie etwa das ?sr-<lb/> xstnnm modilv in einem Lehrbuche der Physik.")</p><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> *) Diese Frage ist kürzlich von einem Zoologen mit aller nnr wünschenswerten Ent¬<lb/> schiedenheit beantwortet worden. Otto Hamann in Göttingen hat in seinem Buche: „Eine<lb/> kritische Darstellung der modernen Entwicklungslehre" <Jena, bei Costenoble) von einer Menge<lb/><note type="byline"> D. R,</note> sogenannter „biologischer Thatsachen" nachgewiesen, daß sie — keine Thatsachen sind. </note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
eigne Seele. Deren Geheimnis verspricht uns Vogt zu enthüllen, denn nach dein
Titelblatt soll seine Untersuchung abschließen „mit der vollständigen Lösung des
Willensproblems, des Problems der juridischen Verantwortlichkeit und des theo¬
logischen Prinzips in der menschlichen Weiterentwicklung." Die „vollständige Lösung
des Willensprvblems" ist jedoch recht dürftig ausgefallen; sie beschränkt sich auf
die Beschreibung des Kampfes zwischen dem Hungergefühl und der Abneigung
gegen eine widerliche Speise in der Seele oder, vogtisch gesprochen, im Gehirn eines
Menschen. In Beziehung auf die Verantwortlichkeit ist anzuerkennen, daß Vogt
die thörichte Lehre Lombrosos vou der eingebornen Verbrechernatur zurückweist.
Er glaubt, daß durch die Zwangseinwirknng des Erziehers die Gehirnbahneu ebenso
in die richtige Lage gebracht werden können, wie die Finger des kleinen Kindes
beim Anfassen des Löffelstiels, und betrachtet die Strafjustiz als Volkserziehung,
die Strafen demnach als Abschreckung vom Bösen und Zwang zum Guten, wobei
die Wörter gut und böse das dem Gescllschaftskörper zuträgliche und schädliche
bezeichnen. Seine Teleologie endlich sucht zwischen Pessimismus und Optimismus
hindnrchlavirend zu dem Ideal der Freiheit, des absoluten Menschenrechts und der
uneingeschränkten Menschenwürde zu gelangen, wobei die gegenwärtige Lage der
Menschheit und die sozialen Aufgaben in einer von unsrer Auffassung nicht gar
weit nbweicheuden Weise beurteilt werden. Wie freilich die Freiheit verwirklicht
werden soll, wenn alles Handeln mit Notwendigkeit aus der teils angebornen,
teils durch Erziehungseinflüsse gebildeten Beschaffenheit des Gehirns hervorgeht,
wie die gerade im Besitze der Macht befindlichen dahin gebracht werden sollen,
daß sie nicht die Gesundheit des Gesellschaftskörpers fortwährend mit ihrem persön¬
lichen Wohlbefinden verwechseln, wenn es keinen Gott mehr giebt, dem sich alle
verantwortlich fühlen, und wie ohne das psychische Element der sittlichen Ideen
die Gchirnbahnenleitung jemals über das roheste Streben nach leiblichem Wohl¬
behagen hinausführen kann, darauf bleibt uns Vogt die Antwort schuldig.
Sind die Hypothesen des materialistischen Monismus bewiesene Ergebnisse
der exakten Wissenschaft, oder sind sie es nicht? Im ersten Falle wird man auf
die Verwendung religiöser Vorstellungen bei der Jugend- und Volkserziehung ver¬
zichten und aufhören müssen, über die Gottlosigkeit der Sozialdemokratie zu jammern.
Im zweiten Fall werden sich die Herren Professoren endlich einmal herablassen
müssen, dem Volke reinen Wein einzuschenken in Beziehung auf das, was in ana¬
tomischer, physiologischer, geologischer Beziehung feststeht und was nicht. Wir
wollen eine ganz bestimmte Frage stellen. Edward Aveling hat bei Dietz in
Stuttgart eine übrigens gar nicht üble Darstellung der Darwinischen Theorie
herausgegeben. Darm stellt er u. a. S. 129 ff. die Behauptung auf, der niedrigste
Mensch stehe in anatomischer Beziehung dem höchsten Affen näher als dem höchsten
Menschen. Ist das wahr, oder ist es nicht wahr? Wir glauben, daß sich diese
Frage mit absoluter Sicherheit und Genauigkeit beantworten läßt, und ist sie einmal
beantwortet, so muß die richtige Autwort in allen naturwissenschaftlichen Lehr¬
büchern stehn, so gut wie der Pythagoräer in allen Handbüchern der Planimetrie,
und falsche Angaben dürfen so wenig mehr geduldet werden, wie etwa das ?sr-
xstnnm modilv in einem Lehrbuche der Physik.")
*) Diese Frage ist kürzlich von einem Zoologen mit aller nnr wünschenswerten Ent¬
schiedenheit beantwortet worden. Otto Hamann in Göttingen hat in seinem Buche: „Eine
kritische Darstellung der modernen Entwicklungslehre" <Jena, bei Costenoble) von einer Menge
D. R, sogenannter „biologischer Thatsachen" nachgewiesen, daß sie — keine Thatsachen sind.
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