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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

Der Herr Nachbar von der Eichenlohe hielt für sich keine Zeitung; er
mußte sie beim Ochsenwirt mitgenommen haben, wo er die zahlreichen täglichen
Schoppen zu trinken pflegte, deren er bedurfte; denn die Gerber sind allezeit
durstige Leute, weil sich ihnen der feine Lohenstaub in die Kehle setzt und
immer hinuntergespült sein will.

Diesmal schien der Meister Appel einen Krug mehr als sonst getrunken
zu haben; denn sein Gesicht leuchtete noch röter als gewöhnlich, und seine
nervigen Arme mit zurückgewickelten Hemdärmeln und geballten Fäusten ge-
stikulirten mit großer Heftigkeit. Er hatte auch den einen Zipfel seiner safran¬
gelben Schürze in den Gürtel hinaufgesteckt und rauchte statt seiner kurzen
Pfeife eine Cigarre, zwei Umstände, die bei ihm auf eine außergewöhnliche
Stimmung hinzudeuten pflegten.

Nachdem der Meister die Lesung beendet hatte, schien er deren Inhalt
den beiden Hörern zu erläutern. Am häufigsten und zugleich am lautesten
klang dabei der Name Preußen an mein Ohr.

Meine Neugierde erregte aber dieser Name nicht, denn ich verband damit
nur sehr undeutliche Vorstellungen. Bei unserm Schulmeister Langbein hatten
wir darüber nichts erfahren, auch in meinen lateinischen Stunden beim Pfarrer
war er nicht vorgekommen; nur vom Vater wußte ich, daß man damit ein
deutsches Land und Volk bezeichnete. Auch hatte mir der Vater früher in der
Kinderzeit allerlei Geschichten von einem berühmten König der Preußen erzählt,
den man den alten Fritz oder auch den großen Kurfürsten nannte, und den
mein Vater sehr bewunderte, besonders weil er einen ehemaligen Schneider¬
gesellen zum General gemacht hatte, der dafür dem König später mehr als
hundert Schlachten gewann. So wenigstens erzählte es mein Vater. Nicht
in Büchern hatte ers gelesen, wie überhaupt das Lesen von Gedruckten nicht
seine Sache war; aber er hatte es von den Preußen selbst gehört, und den
alten Fritz und seinen Schneidergeneral hatte er mit eignen Augen gesehen,
nämlich wie sie abgegossen find in der großen Stadt Berlin, der Hauptstadt
der Preußen, wo mein Vater im Anfang der fünfziger Jahre sieben Wochen
lang in Arbeit gestanden hatte.

Ich dachte deshalb an die Preußen nicht viel anders und nicht viel klarer
als etwa an die Perser, von deren großem König Cyrus ich sehr.rührende
Geschichten in einem alten Buche gelesen hatte, oder um ein gewisses Volk der
Franken und ihren König Dagobert, der unter dem Kaiser Octavianus einen
gewissen gottlosen Mohrenkönig besiegt hatte. Ohne mir also weitere Gedanken
zu machen, verwunderte ich mich doch über die erschrocknen Gesichter, womit
die zwei Bauern drüben den Gerber anstierten.

Daun kamen über die Brücke zwei andre, ältere Männer mit ihren
Frauen und Töchtern. Der Gerber rief ihnen schon von weitem zu, und
diesmal verstand ich das Wort Krieg. Die Ankömmlinge stutzten. Ich aber


Weltgeschichte in Hinterwinkel

Der Herr Nachbar von der Eichenlohe hielt für sich keine Zeitung; er
mußte sie beim Ochsenwirt mitgenommen haben, wo er die zahlreichen täglichen
Schoppen zu trinken pflegte, deren er bedurfte; denn die Gerber sind allezeit
durstige Leute, weil sich ihnen der feine Lohenstaub in die Kehle setzt und
immer hinuntergespült sein will.

Diesmal schien der Meister Appel einen Krug mehr als sonst getrunken
zu haben; denn sein Gesicht leuchtete noch röter als gewöhnlich, und seine
nervigen Arme mit zurückgewickelten Hemdärmeln und geballten Fäusten ge-
stikulirten mit großer Heftigkeit. Er hatte auch den einen Zipfel seiner safran¬
gelben Schürze in den Gürtel hinaufgesteckt und rauchte statt seiner kurzen
Pfeife eine Cigarre, zwei Umstände, die bei ihm auf eine außergewöhnliche
Stimmung hinzudeuten pflegten.

Nachdem der Meister die Lesung beendet hatte, schien er deren Inhalt
den beiden Hörern zu erläutern. Am häufigsten und zugleich am lautesten
klang dabei der Name Preußen an mein Ohr.

Meine Neugierde erregte aber dieser Name nicht, denn ich verband damit
nur sehr undeutliche Vorstellungen. Bei unserm Schulmeister Langbein hatten
wir darüber nichts erfahren, auch in meinen lateinischen Stunden beim Pfarrer
war er nicht vorgekommen; nur vom Vater wußte ich, daß man damit ein
deutsches Land und Volk bezeichnete. Auch hatte mir der Vater früher in der
Kinderzeit allerlei Geschichten von einem berühmten König der Preußen erzählt,
den man den alten Fritz oder auch den großen Kurfürsten nannte, und den
mein Vater sehr bewunderte, besonders weil er einen ehemaligen Schneider¬
gesellen zum General gemacht hatte, der dafür dem König später mehr als
hundert Schlachten gewann. So wenigstens erzählte es mein Vater. Nicht
in Büchern hatte ers gelesen, wie überhaupt das Lesen von Gedruckten nicht
seine Sache war; aber er hatte es von den Preußen selbst gehört, und den
alten Fritz und seinen Schneidergeneral hatte er mit eignen Augen gesehen,
nämlich wie sie abgegossen find in der großen Stadt Berlin, der Hauptstadt
der Preußen, wo mein Vater im Anfang der fünfziger Jahre sieben Wochen
lang in Arbeit gestanden hatte.

Ich dachte deshalb an die Preußen nicht viel anders und nicht viel klarer
als etwa an die Perser, von deren großem König Cyrus ich sehr.rührende
Geschichten in einem alten Buche gelesen hatte, oder um ein gewisses Volk der
Franken und ihren König Dagobert, der unter dem Kaiser Octavianus einen
gewissen gottlosen Mohrenkönig besiegt hatte. Ohne mir also weitere Gedanken
zu machen, verwunderte ich mich doch über die erschrocknen Gesichter, womit
die zwei Bauern drüben den Gerber anstierten.

Daun kamen über die Brücke zwei andre, ältere Männer mit ihren
Frauen und Töchtern. Der Gerber rief ihnen schon von weitem zu, und
diesmal verstand ich das Wort Krieg. Die Ankömmlinge stutzten. Ich aber


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[0194] Weltgeschichte in Hinterwinkel Der Herr Nachbar von der Eichenlohe hielt für sich keine Zeitung; er mußte sie beim Ochsenwirt mitgenommen haben, wo er die zahlreichen täglichen Schoppen zu trinken pflegte, deren er bedurfte; denn die Gerber sind allezeit durstige Leute, weil sich ihnen der feine Lohenstaub in die Kehle setzt und immer hinuntergespült sein will. Diesmal schien der Meister Appel einen Krug mehr als sonst getrunken zu haben; denn sein Gesicht leuchtete noch röter als gewöhnlich, und seine nervigen Arme mit zurückgewickelten Hemdärmeln und geballten Fäusten ge- stikulirten mit großer Heftigkeit. Er hatte auch den einen Zipfel seiner safran¬ gelben Schürze in den Gürtel hinaufgesteckt und rauchte statt seiner kurzen Pfeife eine Cigarre, zwei Umstände, die bei ihm auf eine außergewöhnliche Stimmung hinzudeuten pflegten. Nachdem der Meister die Lesung beendet hatte, schien er deren Inhalt den beiden Hörern zu erläutern. Am häufigsten und zugleich am lautesten klang dabei der Name Preußen an mein Ohr. Meine Neugierde erregte aber dieser Name nicht, denn ich verband damit nur sehr undeutliche Vorstellungen. Bei unserm Schulmeister Langbein hatten wir darüber nichts erfahren, auch in meinen lateinischen Stunden beim Pfarrer war er nicht vorgekommen; nur vom Vater wußte ich, daß man damit ein deutsches Land und Volk bezeichnete. Auch hatte mir der Vater früher in der Kinderzeit allerlei Geschichten von einem berühmten König der Preußen erzählt, den man den alten Fritz oder auch den großen Kurfürsten nannte, und den mein Vater sehr bewunderte, besonders weil er einen ehemaligen Schneider¬ gesellen zum General gemacht hatte, der dafür dem König später mehr als hundert Schlachten gewann. So wenigstens erzählte es mein Vater. Nicht in Büchern hatte ers gelesen, wie überhaupt das Lesen von Gedruckten nicht seine Sache war; aber er hatte es von den Preußen selbst gehört, und den alten Fritz und seinen Schneidergeneral hatte er mit eignen Augen gesehen, nämlich wie sie abgegossen find in der großen Stadt Berlin, der Hauptstadt der Preußen, wo mein Vater im Anfang der fünfziger Jahre sieben Wochen lang in Arbeit gestanden hatte. Ich dachte deshalb an die Preußen nicht viel anders und nicht viel klarer als etwa an die Perser, von deren großem König Cyrus ich sehr.rührende Geschichten in einem alten Buche gelesen hatte, oder um ein gewisses Volk der Franken und ihren König Dagobert, der unter dem Kaiser Octavianus einen gewissen gottlosen Mohrenkönig besiegt hatte. Ohne mir also weitere Gedanken zu machen, verwunderte ich mich doch über die erschrocknen Gesichter, womit die zwei Bauern drüben den Gerber anstierten. Daun kamen über die Brücke zwei andre, ältere Männer mit ihren Frauen und Töchtern. Der Gerber rief ihnen schon von weitem zu, und diesmal verstand ich das Wort Krieg. Die Ankömmlinge stutzten. Ich aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/194>, abgerufen am 06.01.2025.