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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lhina und das Abendland

im Jahre 1875 die deutschen Interessen in Peking in die Hände eines Herr,
gelegt wurden, der sich durch die schwierigen Verhältnisse niemals hat ent¬
mutigen lassen, sondern unermüdlich für sein Vaterland thätig gewesen ist.
Herrn vou Brandt verdanken wir unter cinderm die erste Anregung zur Er¬
richtung einer deutschen Pvstdampferlinie nach Ostasien. Welch ein Jubel
unter deu Deutschen in allen den Hufen des Ostens, in die der erste Dampfer
mit der an Maste wehenden Reichspostflagge einlief, während auf Deck die
Musikkapelle das Heil dir im Siegerkranz spielte! Man würde aber unseru
geschäftstreibenden Landsleuten Unrecht thun, wollte man diese Freude nur
durch platten Eigennutz erklären. Nein, es war mehr als das, es war die
Befriedigung darüber, daß sich endlich, endlich auch unser Staat dazu ent¬
schlossen hatte, seine kräftig vorwärtsstrebender Angehörigen im Auslande
durch seine Unterstützung zu weiteren, angestrengtem Fleiße anzuspornen. Und
nun finden sich Leute, die alles Ernstes zu erwarten scheinen, eine solche Saat
müsse schon nach einigen wenigen Jahren aufgehen! Durch so abgeschmackte
Tiraden, wie sie die Herren Richter und Bamberger jeden Winter, den Gott
werden läßt, im Reichstage vorbringen, machen wir uns allmählich vor der
ganzen Welt lächerlich.

Wenn nur die deutsche Regierung ein übriges thun, nämlich, ohne sich
durch die öden Reden solcher Worthelden einschüchtern zu lassen, wenigstens
noch ein oder zwei Kriegsschiffe in Dienst stellen und das Geld dafür vom
Reichstage verlangen wollte! Während früher in Ostasien stets zwei Korvetten
und zwei Kanonenboote standen, hat man beim Beginn der Kolonialbewegung
die beiden Korvetten von hier weggenommen. Allerdings sehen wir dasür
von Zeit zu Zeit ein fliegendes Geschwader; aber daß dies doch nur ein recht
ungenügender Notbehelf ist, zeigt sich, sobald an mehreren Punkten der Erde
zu gleicher Zeit ein kräftigerer Schutz der deutschen Interessen nötig wird.
Kaum hatte sich z. B. im vorigen Frühling das Geschwader dem Befehle
gemäß auf den Weg nach Chile gemacht, als auch hier Unruhen ausbrachen,
wobei dann unser Gesandter in Peking lediglich auf die beiden Kanonenboote
angewiesen war, also auf eine Zahl von Schiffen, die nicht annähernd im
Verhältnis zu der Bedeutung der deutschen Interessen steht. Frankreich,
Rußland und Amerika sind trotz ihres geringern Handels alle weit besser
vertreten als Deutschland. Die haben auch mehr Geld, wird man einwenden.
Nun, man sollte denken, daß wir doch noch nicht wieder so weit wären, wie
zur Zeit des seligen Bundestags, und unsre im Auslande lebenden Lands¬
leute dem Schutze fremder Flaggen überlassen wollten. Wie viel mehr ent¬
spricht es der nationalen Würde, wenn das Reich diesen Schutz in allen Erd¬
teilen selbst ausübt! Nicht ernstlich genug kann man wünschen, daß die Nation,
deren Handel den zweiten Platz in China einnimmt, bei später etwa ein¬
tretenden Verwicklungen an Machtentfaltung nicht hinter andern Völkern des


Lhina und das Abendland

im Jahre 1875 die deutschen Interessen in Peking in die Hände eines Herr,
gelegt wurden, der sich durch die schwierigen Verhältnisse niemals hat ent¬
mutigen lassen, sondern unermüdlich für sein Vaterland thätig gewesen ist.
Herrn vou Brandt verdanken wir unter cinderm die erste Anregung zur Er¬
richtung einer deutschen Pvstdampferlinie nach Ostasien. Welch ein Jubel
unter deu Deutschen in allen den Hufen des Ostens, in die der erste Dampfer
mit der an Maste wehenden Reichspostflagge einlief, während auf Deck die
Musikkapelle das Heil dir im Siegerkranz spielte! Man würde aber unseru
geschäftstreibenden Landsleuten Unrecht thun, wollte man diese Freude nur
durch platten Eigennutz erklären. Nein, es war mehr als das, es war die
Befriedigung darüber, daß sich endlich, endlich auch unser Staat dazu ent¬
schlossen hatte, seine kräftig vorwärtsstrebender Angehörigen im Auslande
durch seine Unterstützung zu weiteren, angestrengtem Fleiße anzuspornen. Und
nun finden sich Leute, die alles Ernstes zu erwarten scheinen, eine solche Saat
müsse schon nach einigen wenigen Jahren aufgehen! Durch so abgeschmackte
Tiraden, wie sie die Herren Richter und Bamberger jeden Winter, den Gott
werden läßt, im Reichstage vorbringen, machen wir uns allmählich vor der
ganzen Welt lächerlich.

Wenn nur die deutsche Regierung ein übriges thun, nämlich, ohne sich
durch die öden Reden solcher Worthelden einschüchtern zu lassen, wenigstens
noch ein oder zwei Kriegsschiffe in Dienst stellen und das Geld dafür vom
Reichstage verlangen wollte! Während früher in Ostasien stets zwei Korvetten
und zwei Kanonenboote standen, hat man beim Beginn der Kolonialbewegung
die beiden Korvetten von hier weggenommen. Allerdings sehen wir dasür
von Zeit zu Zeit ein fliegendes Geschwader; aber daß dies doch nur ein recht
ungenügender Notbehelf ist, zeigt sich, sobald an mehreren Punkten der Erde
zu gleicher Zeit ein kräftigerer Schutz der deutschen Interessen nötig wird.
Kaum hatte sich z. B. im vorigen Frühling das Geschwader dem Befehle
gemäß auf den Weg nach Chile gemacht, als auch hier Unruhen ausbrachen,
wobei dann unser Gesandter in Peking lediglich auf die beiden Kanonenboote
angewiesen war, also auf eine Zahl von Schiffen, die nicht annähernd im
Verhältnis zu der Bedeutung der deutschen Interessen steht. Frankreich,
Rußland und Amerika sind trotz ihres geringern Handels alle weit besser
vertreten als Deutschland. Die haben auch mehr Geld, wird man einwenden.
Nun, man sollte denken, daß wir doch noch nicht wieder so weit wären, wie
zur Zeit des seligen Bundestags, und unsre im Auslande lebenden Lands¬
leute dem Schutze fremder Flaggen überlassen wollten. Wie viel mehr ent¬
spricht es der nationalen Würde, wenn das Reich diesen Schutz in allen Erd¬
teilen selbst ausübt! Nicht ernstlich genug kann man wünschen, daß die Nation,
deren Handel den zweiten Platz in China einnimmt, bei später etwa ein¬
tretenden Verwicklungen an Machtentfaltung nicht hinter andern Völkern des


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[0127] Lhina und das Abendland im Jahre 1875 die deutschen Interessen in Peking in die Hände eines Herr, gelegt wurden, der sich durch die schwierigen Verhältnisse niemals hat ent¬ mutigen lassen, sondern unermüdlich für sein Vaterland thätig gewesen ist. Herrn vou Brandt verdanken wir unter cinderm die erste Anregung zur Er¬ richtung einer deutschen Pvstdampferlinie nach Ostasien. Welch ein Jubel unter deu Deutschen in allen den Hufen des Ostens, in die der erste Dampfer mit der an Maste wehenden Reichspostflagge einlief, während auf Deck die Musikkapelle das Heil dir im Siegerkranz spielte! Man würde aber unseru geschäftstreibenden Landsleuten Unrecht thun, wollte man diese Freude nur durch platten Eigennutz erklären. Nein, es war mehr als das, es war die Befriedigung darüber, daß sich endlich, endlich auch unser Staat dazu ent¬ schlossen hatte, seine kräftig vorwärtsstrebender Angehörigen im Auslande durch seine Unterstützung zu weiteren, angestrengtem Fleiße anzuspornen. Und nun finden sich Leute, die alles Ernstes zu erwarten scheinen, eine solche Saat müsse schon nach einigen wenigen Jahren aufgehen! Durch so abgeschmackte Tiraden, wie sie die Herren Richter und Bamberger jeden Winter, den Gott werden läßt, im Reichstage vorbringen, machen wir uns allmählich vor der ganzen Welt lächerlich. Wenn nur die deutsche Regierung ein übriges thun, nämlich, ohne sich durch die öden Reden solcher Worthelden einschüchtern zu lassen, wenigstens noch ein oder zwei Kriegsschiffe in Dienst stellen und das Geld dafür vom Reichstage verlangen wollte! Während früher in Ostasien stets zwei Korvetten und zwei Kanonenboote standen, hat man beim Beginn der Kolonialbewegung die beiden Korvetten von hier weggenommen. Allerdings sehen wir dasür von Zeit zu Zeit ein fliegendes Geschwader; aber daß dies doch nur ein recht ungenügender Notbehelf ist, zeigt sich, sobald an mehreren Punkten der Erde zu gleicher Zeit ein kräftigerer Schutz der deutschen Interessen nötig wird. Kaum hatte sich z. B. im vorigen Frühling das Geschwader dem Befehle gemäß auf den Weg nach Chile gemacht, als auch hier Unruhen ausbrachen, wobei dann unser Gesandter in Peking lediglich auf die beiden Kanonenboote angewiesen war, also auf eine Zahl von Schiffen, die nicht annähernd im Verhältnis zu der Bedeutung der deutschen Interessen steht. Frankreich, Rußland und Amerika sind trotz ihres geringern Handels alle weit besser vertreten als Deutschland. Die haben auch mehr Geld, wird man einwenden. Nun, man sollte denken, daß wir doch noch nicht wieder so weit wären, wie zur Zeit des seligen Bundestags, und unsre im Auslande lebenden Lands¬ leute dem Schutze fremder Flaggen überlassen wollten. Wie viel mehr ent¬ spricht es der nationalen Würde, wenn das Reich diesen Schutz in allen Erd¬ teilen selbst ausübt! Nicht ernstlich genug kann man wünschen, daß die Nation, deren Handel den zweiten Platz in China einnimmt, bei später etwa ein¬ tretenden Verwicklungen an Machtentfaltung nicht hinter andern Völkern des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/127>, abgerufen am 06.01.2025.