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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Frauenverom Reform

Aber auch in wissenschaftlicher Beziehung wird die voll Fran Kettler ge¬
predigte Umwälzung nicht zu der erwarteten Gleichheit führen, Das von der
Natur schwächer geschaffene Geschlecht kann es in geistiger Arbeit, die bei
höchster Anspannung des Hirns und der Nerven mich eines kräftigeren körper¬
lichen Rückhalts bedarf, mit den stärkern Männern nicht aufnehmen, selbst
wen" ihm alle Wege dazu geebnet würden. Eignen sich doch nicht einmal alle
Männer für das Studium, sondern nur eine kleine Anzahl, die sich des Vor¬
zugs besondrer geistiger und körperlicher Organisation erfrent. Und wie manche
von den Männern, die im Besitze dieser notwendigen Vorbedingungen zu sein
glauben, täuschen sich "och über das Maß ihrer Besälsigung! Mit Aufbietung
aller Kräfte führen sie wohl das Studium zu Eude, aber baun ist, wie das
Volk sich ausdrückt, ihr Geist "verstudirt," sie können der Menschheit und der
Wissenschaft keine ernsthaften Dienste mehr leisten und müssen als halbe Inva¬
liden zur Last der übrigen mit fortgeschleppt werden. Diese Erscheinung wird
bei deu schwächen: Frauen in weit stärkeren Maße zu Tage treten und bei deu
verfehlten Existenzen eine körperliche wie geistige Entartung hervorbringen, unter
deren Folgen nicht allein sie selbst, sondern, was noch schlimmer ist, auch ihre
Kiuder zu leiden haben werden. Schon bei dem jetzt zu bewältigenden Wissens¬
stoffe werden überreichlich viel Frauen nervös und bleichsüchtig, und es wünscht
niemand, daß ihre Zahl sich ins ungemessene vermehre. Von der Gesundheit
und Frische der Mütter hängt ganz hauptsächlich das Wohl des kommenden
Geschlechts ab, darum sind den Frauen nach Möglichkeit gesellschaftliche Vor¬
rechte und Befreiung von schwereren Geschäften eingeräumt worden. Wer wollte
die Verantwortung auf sich nehmen, dnrch naturwidrige Erziehung und Auf-
bürdung erdrückender Lasten ein Siechtum der künftige" Mütter mit allem
Vorbedacht heraufzubeschwören?

Frau Kettler freilich hüpft mit graziösen Salto über dergleichen Bedenken
hinweg, um einen neuen Pfeil auf die böse Männerwelt abzudrücken. "Der
Mann betrachtet die Angelegenheiten der Frau nur vom Staudpunkte seines
persönlichem Vorteils und dem der Gesamtheit der Männer, er glaubt, die
Gesamtheit der Menschen befinde sich wohl, wenn es nur die Gesamtheit der
Männer thut," Nein, da hat Ihre Voreingenommenheit Ihnen wieder einmal
den Blick getrübt! Die Männer wissen die Bedeutung der Frau für die
Gesamtheit wohl zu würdige" und gönnen ihnen dasselbe Wohlbefinden,
das sie für sich selbst wünschen, aber sie haben erkannt, daß die Natur in den
Frauen ein schwächeres Werkzeug gebildet hat, und halten es für ihre selbst¬
verständliche Pflicht, auf die natürliche Verschiedenheit gebührende Rücksicht zu
nehmen. "Die Benachteiligung der Fran schadet dem Gesamtorganismus, also
auch deu Männern," Sehr richtig, eben daran ist es nötig, die Frauen vor
den Nachteilen zu bewahren, deuen sie durch das Hineintreiben in eiuen un¬
natürlichen und schädigenden Beruf ausgesetzt werden sollen, und eben deshalb


Grenzboten,,I 18V2 11
Der deutsche Frauenverom Reform

Aber auch in wissenschaftlicher Beziehung wird die voll Fran Kettler ge¬
predigte Umwälzung nicht zu der erwarteten Gleichheit führen, Das von der
Natur schwächer geschaffene Geschlecht kann es in geistiger Arbeit, die bei
höchster Anspannung des Hirns und der Nerven mich eines kräftigeren körper¬
lichen Rückhalts bedarf, mit den stärkern Männern nicht aufnehmen, selbst
wen» ihm alle Wege dazu geebnet würden. Eignen sich doch nicht einmal alle
Männer für das Studium, sondern nur eine kleine Anzahl, die sich des Vor¬
zugs besondrer geistiger und körperlicher Organisation erfrent. Und wie manche
von den Männern, die im Besitze dieser notwendigen Vorbedingungen zu sein
glauben, täuschen sich »och über das Maß ihrer Besälsigung! Mit Aufbietung
aller Kräfte führen sie wohl das Studium zu Eude, aber baun ist, wie das
Volk sich ausdrückt, ihr Geist „verstudirt," sie können der Menschheit und der
Wissenschaft keine ernsthaften Dienste mehr leisten und müssen als halbe Inva¬
liden zur Last der übrigen mit fortgeschleppt werden. Diese Erscheinung wird
bei deu schwächen: Frauen in weit stärkeren Maße zu Tage treten und bei deu
verfehlten Existenzen eine körperliche wie geistige Entartung hervorbringen, unter
deren Folgen nicht allein sie selbst, sondern, was noch schlimmer ist, auch ihre
Kiuder zu leiden haben werden. Schon bei dem jetzt zu bewältigenden Wissens¬
stoffe werden überreichlich viel Frauen nervös und bleichsüchtig, und es wünscht
niemand, daß ihre Zahl sich ins ungemessene vermehre. Von der Gesundheit
und Frische der Mütter hängt ganz hauptsächlich das Wohl des kommenden
Geschlechts ab, darum sind den Frauen nach Möglichkeit gesellschaftliche Vor¬
rechte und Befreiung von schwereren Geschäften eingeräumt worden. Wer wollte
die Verantwortung auf sich nehmen, dnrch naturwidrige Erziehung und Auf-
bürdung erdrückender Lasten ein Siechtum der künftige» Mütter mit allem
Vorbedacht heraufzubeschwören?

Frau Kettler freilich hüpft mit graziösen Salto über dergleichen Bedenken
hinweg, um einen neuen Pfeil auf die böse Männerwelt abzudrücken. „Der
Mann betrachtet die Angelegenheiten der Frau nur vom Staudpunkte seines
persönlichem Vorteils und dem der Gesamtheit der Männer, er glaubt, die
Gesamtheit der Menschen befinde sich wohl, wenn es nur die Gesamtheit der
Männer thut," Nein, da hat Ihre Voreingenommenheit Ihnen wieder einmal
den Blick getrübt! Die Männer wissen die Bedeutung der Frau für die
Gesamtheit wohl zu würdige» und gönnen ihnen dasselbe Wohlbefinden,
das sie für sich selbst wünschen, aber sie haben erkannt, daß die Natur in den
Frauen ein schwächeres Werkzeug gebildet hat, und halten es für ihre selbst¬
verständliche Pflicht, auf die natürliche Verschiedenheit gebührende Rücksicht zu
nehmen. „Die Benachteiligung der Fran schadet dem Gesamtorganismus, also
auch deu Männern," Sehr richtig, eben daran ist es nötig, die Frauen vor
den Nachteilen zu bewahren, deuen sie durch das Hineintreiben in eiuen un¬
natürlichen und schädigenden Beruf ausgesetzt werden sollen, und eben deshalb


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[0089] Der deutsche Frauenverom Reform Aber auch in wissenschaftlicher Beziehung wird die voll Fran Kettler ge¬ predigte Umwälzung nicht zu der erwarteten Gleichheit führen, Das von der Natur schwächer geschaffene Geschlecht kann es in geistiger Arbeit, die bei höchster Anspannung des Hirns und der Nerven mich eines kräftigeren körper¬ lichen Rückhalts bedarf, mit den stärkern Männern nicht aufnehmen, selbst wen» ihm alle Wege dazu geebnet würden. Eignen sich doch nicht einmal alle Männer für das Studium, sondern nur eine kleine Anzahl, die sich des Vor¬ zugs besondrer geistiger und körperlicher Organisation erfrent. Und wie manche von den Männern, die im Besitze dieser notwendigen Vorbedingungen zu sein glauben, täuschen sich »och über das Maß ihrer Besälsigung! Mit Aufbietung aller Kräfte führen sie wohl das Studium zu Eude, aber baun ist, wie das Volk sich ausdrückt, ihr Geist „verstudirt," sie können der Menschheit und der Wissenschaft keine ernsthaften Dienste mehr leisten und müssen als halbe Inva¬ liden zur Last der übrigen mit fortgeschleppt werden. Diese Erscheinung wird bei deu schwächen: Frauen in weit stärkeren Maße zu Tage treten und bei deu verfehlten Existenzen eine körperliche wie geistige Entartung hervorbringen, unter deren Folgen nicht allein sie selbst, sondern, was noch schlimmer ist, auch ihre Kiuder zu leiden haben werden. Schon bei dem jetzt zu bewältigenden Wissens¬ stoffe werden überreichlich viel Frauen nervös und bleichsüchtig, und es wünscht niemand, daß ihre Zahl sich ins ungemessene vermehre. Von der Gesundheit und Frische der Mütter hängt ganz hauptsächlich das Wohl des kommenden Geschlechts ab, darum sind den Frauen nach Möglichkeit gesellschaftliche Vor¬ rechte und Befreiung von schwereren Geschäften eingeräumt worden. Wer wollte die Verantwortung auf sich nehmen, dnrch naturwidrige Erziehung und Auf- bürdung erdrückender Lasten ein Siechtum der künftige» Mütter mit allem Vorbedacht heraufzubeschwören? Frau Kettler freilich hüpft mit graziösen Salto über dergleichen Bedenken hinweg, um einen neuen Pfeil auf die böse Männerwelt abzudrücken. „Der Mann betrachtet die Angelegenheiten der Frau nur vom Staudpunkte seines persönlichem Vorteils und dem der Gesamtheit der Männer, er glaubt, die Gesamtheit der Menschen befinde sich wohl, wenn es nur die Gesamtheit der Männer thut," Nein, da hat Ihre Voreingenommenheit Ihnen wieder einmal den Blick getrübt! Die Männer wissen die Bedeutung der Frau für die Gesamtheit wohl zu würdige» und gönnen ihnen dasselbe Wohlbefinden, das sie für sich selbst wünschen, aber sie haben erkannt, daß die Natur in den Frauen ein schwächeres Werkzeug gebildet hat, und halten es für ihre selbst¬ verständliche Pflicht, auf die natürliche Verschiedenheit gebührende Rücksicht zu nehmen. „Die Benachteiligung der Fran schadet dem Gesamtorganismus, also auch deu Männern," Sehr richtig, eben daran ist es nötig, die Frauen vor den Nachteilen zu bewahren, deuen sie durch das Hineintreiben in eiuen un¬ natürlichen und schädigenden Beruf ausgesetzt werden sollen, und eben deshalb Grenzboten,,I 18V2 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/89>, abgerufen am 23.07.2024.