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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Sozialdemokratin vom psychologischen Standpunkt

alle dieselbe wäre, wodurch der Unterschied darin gemäßigt, jedoch nicht auf-
gehoben werden würde. Unter dieser Grundlage der allgemeinen Bildung
verstehe ich jedoch uicht die Elementarbildung; sie ist nicht die Grundlage,
sondern die Voraussetzung jeder Bildung. Wer sich die Elementarbildung an¬
geeignet hat, erwirbt dadurch erst die Fähigkeit, sich die Grundlagen der all¬
gemeinen Bildung anzueignen. Was aber heute in den Volksschulen gelehrt
wird, geht uur in höchst ungenügender Weise über die Elementarbildung hinaus.

Ein weiterer Vorteil einer solchen allgemeinen Schule wäre auch, daß durch
gemeinsames Lernen und gemeinsame" Schulbesuch Freundschaften und Bekannt¬
schaften zwischen Angehörigen verschiedener Stände entstehen würden, was
wiederum dazu beitragen müßte, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken.
Neben dieser Schule dürfte es dann nur noch eine Gelehrtenschule geben, be¬
stimmt, die Theologen, Juristen, Ärzte und Lehrer vorzubilden. Diese Schule
müßte dem heutigen Gymnasium entspreche:!. Damit sich aber nicht dnrch diese
Gelehrtenschule wieder ein Gelehrtenproletariat entwickelte, müßte die Schüler-
aufnahme beschränkt sein; sie müßte sich nach dem statistisch zu bestimmenden
Bedürfnis an Theologen, Juristen u. f. w. richten. Sie dürfte nicht unent¬
geltlich sein, und über die Ausnahme, die von einer bestimmte,? Klasse der
Bürgerschule aus stattfinden müßte, würde die Befähigung der Schüler ent¬
scheiden, bei gleicher Befähigung die frühere Anmeldung.

Außer dem Gymnasium dürfte es nur eine allgemeine Bürgerschule geben,
die alle Kinder bis zum sechzehnten Jahre zu besuchen hätten. Bon dieser
Schule ans müßten sich die Schüler entweder unmittelbar einem praktischen
Beruf widmen oder in eine Fachschule übertreten. Wo ihre Ausbildung für
die Fachschule nicht hinreicht, müßten Vvrknrse ^besonders am Polytechnikum)
errichtet werden, um den Schülern die für ein bestimmtes Fach notwendige
Vorbildung zu verschaffen. Der Unterrichtsstoff in der allgemeinen Bürger¬
schule würde uach den Elementargegenständen die allgemeine Bildung sein, d. h.
Geschichte, deutsche Litteratur, die deutsche und eine fremde Sprache, entweder
Französisch oder Englisch oder Italienisch. Außerdem müßte überall Unterricht
im Zeichnen und im Gesang erteilt werden und in den höhern Klassen in Ver¬
bindung mit dem Zeichenunterricht auch in der Kunstgeschichte, und zwar an
der Hand vou Photographien, wo Museen fehlen. Physik und Naturwissen¬
schaften müßten soweit betrieben werden, daß ein gewisses praktisches Verständnis
der Natur und ihrer Gesetze erworben wird. So würde in der Physik haupt¬
sächlich Experimentalphysik zu betreiben, vou der mathematischem würden nur
die notwendigsten Elemente zu erläutern fein. In den Naturwissenschaften
müßte der physiologische und biologische Teil hervorgehoben, die Geologie mehr
als die Mineralogie betrieben werden, weil die Gesetze des Entstehens und Ver¬
gehens in der Natur wichtiger find als eine systematische Einteilung und Be¬
schreibung. Das Bildende der Mathematik wird meist überschätzt; es liegt


Die Bekämpfung der Sozialdemokratin vom psychologischen Standpunkt

alle dieselbe wäre, wodurch der Unterschied darin gemäßigt, jedoch nicht auf-
gehoben werden würde. Unter dieser Grundlage der allgemeinen Bildung
verstehe ich jedoch uicht die Elementarbildung; sie ist nicht die Grundlage,
sondern die Voraussetzung jeder Bildung. Wer sich die Elementarbildung an¬
geeignet hat, erwirbt dadurch erst die Fähigkeit, sich die Grundlagen der all¬
gemeinen Bildung anzueignen. Was aber heute in den Volksschulen gelehrt
wird, geht uur in höchst ungenügender Weise über die Elementarbildung hinaus.

Ein weiterer Vorteil einer solchen allgemeinen Schule wäre auch, daß durch
gemeinsames Lernen und gemeinsame» Schulbesuch Freundschaften und Bekannt¬
schaften zwischen Angehörigen verschiedener Stände entstehen würden, was
wiederum dazu beitragen müßte, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken.
Neben dieser Schule dürfte es dann nur noch eine Gelehrtenschule geben, be¬
stimmt, die Theologen, Juristen, Ärzte und Lehrer vorzubilden. Diese Schule
müßte dem heutigen Gymnasium entspreche:!. Damit sich aber nicht dnrch diese
Gelehrtenschule wieder ein Gelehrtenproletariat entwickelte, müßte die Schüler-
aufnahme beschränkt sein; sie müßte sich nach dem statistisch zu bestimmenden
Bedürfnis an Theologen, Juristen u. f. w. richten. Sie dürfte nicht unent¬
geltlich sein, und über die Ausnahme, die von einer bestimmte,? Klasse der
Bürgerschule aus stattfinden müßte, würde die Befähigung der Schüler ent¬
scheiden, bei gleicher Befähigung die frühere Anmeldung.

Außer dem Gymnasium dürfte es nur eine allgemeine Bürgerschule geben,
die alle Kinder bis zum sechzehnten Jahre zu besuchen hätten. Bon dieser
Schule ans müßten sich die Schüler entweder unmittelbar einem praktischen
Beruf widmen oder in eine Fachschule übertreten. Wo ihre Ausbildung für
die Fachschule nicht hinreicht, müßten Vvrknrse ^besonders am Polytechnikum)
errichtet werden, um den Schülern die für ein bestimmtes Fach notwendige
Vorbildung zu verschaffen. Der Unterrichtsstoff in der allgemeinen Bürger¬
schule würde uach den Elementargegenständen die allgemeine Bildung sein, d. h.
Geschichte, deutsche Litteratur, die deutsche und eine fremde Sprache, entweder
Französisch oder Englisch oder Italienisch. Außerdem müßte überall Unterricht
im Zeichnen und im Gesang erteilt werden und in den höhern Klassen in Ver¬
bindung mit dem Zeichenunterricht auch in der Kunstgeschichte, und zwar an
der Hand vou Photographien, wo Museen fehlen. Physik und Naturwissen¬
schaften müßten soweit betrieben werden, daß ein gewisses praktisches Verständnis
der Natur und ihrer Gesetze erworben wird. So würde in der Physik haupt¬
sächlich Experimentalphysik zu betreiben, vou der mathematischem würden nur
die notwendigsten Elemente zu erläutern fein. In den Naturwissenschaften
müßte der physiologische und biologische Teil hervorgehoben, die Geologie mehr
als die Mineralogie betrieben werden, weil die Gesetze des Entstehens und Ver¬
gehens in der Natur wichtiger find als eine systematische Einteilung und Be¬
schreibung. Das Bildende der Mathematik wird meist überschätzt; es liegt


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[0069] Die Bekämpfung der Sozialdemokratin vom psychologischen Standpunkt alle dieselbe wäre, wodurch der Unterschied darin gemäßigt, jedoch nicht auf- gehoben werden würde. Unter dieser Grundlage der allgemeinen Bildung verstehe ich jedoch uicht die Elementarbildung; sie ist nicht die Grundlage, sondern die Voraussetzung jeder Bildung. Wer sich die Elementarbildung an¬ geeignet hat, erwirbt dadurch erst die Fähigkeit, sich die Grundlagen der all¬ gemeinen Bildung anzueignen. Was aber heute in den Volksschulen gelehrt wird, geht uur in höchst ungenügender Weise über die Elementarbildung hinaus. Ein weiterer Vorteil einer solchen allgemeinen Schule wäre auch, daß durch gemeinsames Lernen und gemeinsame» Schulbesuch Freundschaften und Bekannt¬ schaften zwischen Angehörigen verschiedener Stände entstehen würden, was wiederum dazu beitragen müßte, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Neben dieser Schule dürfte es dann nur noch eine Gelehrtenschule geben, be¬ stimmt, die Theologen, Juristen, Ärzte und Lehrer vorzubilden. Diese Schule müßte dem heutigen Gymnasium entspreche:!. Damit sich aber nicht dnrch diese Gelehrtenschule wieder ein Gelehrtenproletariat entwickelte, müßte die Schüler- aufnahme beschränkt sein; sie müßte sich nach dem statistisch zu bestimmenden Bedürfnis an Theologen, Juristen u. f. w. richten. Sie dürfte nicht unent¬ geltlich sein, und über die Ausnahme, die von einer bestimmte,? Klasse der Bürgerschule aus stattfinden müßte, würde die Befähigung der Schüler ent¬ scheiden, bei gleicher Befähigung die frühere Anmeldung. Außer dem Gymnasium dürfte es nur eine allgemeine Bürgerschule geben, die alle Kinder bis zum sechzehnten Jahre zu besuchen hätten. Bon dieser Schule ans müßten sich die Schüler entweder unmittelbar einem praktischen Beruf widmen oder in eine Fachschule übertreten. Wo ihre Ausbildung für die Fachschule nicht hinreicht, müßten Vvrknrse ^besonders am Polytechnikum) errichtet werden, um den Schülern die für ein bestimmtes Fach notwendige Vorbildung zu verschaffen. Der Unterrichtsstoff in der allgemeinen Bürger¬ schule würde uach den Elementargegenständen die allgemeine Bildung sein, d. h. Geschichte, deutsche Litteratur, die deutsche und eine fremde Sprache, entweder Französisch oder Englisch oder Italienisch. Außerdem müßte überall Unterricht im Zeichnen und im Gesang erteilt werden und in den höhern Klassen in Ver¬ bindung mit dem Zeichenunterricht auch in der Kunstgeschichte, und zwar an der Hand vou Photographien, wo Museen fehlen. Physik und Naturwissen¬ schaften müßten soweit betrieben werden, daß ein gewisses praktisches Verständnis der Natur und ihrer Gesetze erworben wird. So würde in der Physik haupt¬ sächlich Experimentalphysik zu betreiben, vou der mathematischem würden nur die notwendigsten Elemente zu erläutern fein. In den Naturwissenschaften müßte der physiologische und biologische Teil hervorgehoben, die Geologie mehr als die Mineralogie betrieben werden, weil die Gesetze des Entstehens und Ver¬ gehens in der Natur wichtiger find als eine systematische Einteilung und Be¬ schreibung. Das Bildende der Mathematik wird meist überschätzt; es liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/69>, abgerufen am 23.07.2024.