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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

des ersten Satzes werden im letzten mit verarbeitet. In der zweiten Svncite
(Op. 100) "erklingt das sanft ertönende Lied seliger Zufriedenheit. Sie erglänzt
im reinsten, ungetrübten Lichte. Der zweite Satz, diese Vereinigung von Andante
und Scherzo, ist von zauberischem Wohllaut; gegen diesen, wie gegen den poesie¬
reichen ersten Satz steht das knapp gehaltene Finale zurück." Mau darf wohl
jeden beneiden, der aus diesen schönen Worten anch nur die geringste Vorstellung
von dem Inhalt der Sonate bekommen hat. "Unterschiedlich von ihren beiden
Vorgängern in (l-aur und deren Inhalt sich lyrischen Gefühlsergüssen hin-
sieht ^der Inhalt giebt sich hin?^, bringt die neueste Vivlinsonate, Op. 108 (1889),
(Dr. von Bülow gewidmet), nur leidenschaftlich düster erregte Stimmungen, die
sich von Satz zu Satz steigern. Die trüb und ahnungsvoll j!^ auftretende Leiden¬
schaft, welche den ersten Satz beherrscht, wird erst im Adagio -- diesem reinen
Gesänge einer tiefleidenden Seele -- vollständig verdrängt >erst? das Adagio folgt
ja unmittelbar auf den -- keineswegs durchaus trüben, sondern hoheitsvollen,
klaren, stellenweise heitern ersten SaA, aber nur, um nach dem eigenartigen ^der
neugierige Leser wüßte gern: wie denn geartet^ IIr, xovo ?rssto ils moll sich im
Finale endgültig auszutoben. Dies viersätzige, phantastisch-romantische Tonbild (!)
redet wieder eine ganz eigene, von allem frühern sich unterscheidende und die
Situation >welche denn?j prägnant ^ charcikterisirende Sprache."

Wir wollen den Leser mit weitern Proben dieses blühenden Gefasels ver¬
schonen, doch würden wir dem "genialen" Stil des Verfassers nicht gerecht werden,
wenn wir nicht auch auf seine kühnen Sprachschöpfungen hinwiesen. Ist nicht die
"Jnsichabgeschlossenheit" ein ebenso prächiges Substantiv wie "hinsichts" eine preisens-
werte That auf dem Gebiete der Präpositionalbildung?

Inhaltlich am dürftigsten im Verhältnis zu der köstlichen Fülle des behan¬
delten Stoffes ist der Abschnitt über die Brahmsschen Lieder. Wer nur ein
einzigesmal in diesen reich quellenden Born untergetaucht ist und sich darin erquickt
hat, wird diesen Abschnitt nicht ohne Lächeln zu Ende lesen, dann aber schleunigst
die "Studie" Herrn Krauses beiseite legen, um sich bei Brahms selbst der Freude
und des Genusses wieder bewußt zu werden, die er beim Lesen beinahe verloren
hätte.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Berlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

des ersten Satzes werden im letzten mit verarbeitet. In der zweiten Svncite
(Op. 100) „erklingt das sanft ertönende Lied seliger Zufriedenheit. Sie erglänzt
im reinsten, ungetrübten Lichte. Der zweite Satz, diese Vereinigung von Andante
und Scherzo, ist von zauberischem Wohllaut; gegen diesen, wie gegen den poesie¬
reichen ersten Satz steht das knapp gehaltene Finale zurück." Mau darf wohl
jeden beneiden, der aus diesen schönen Worten anch nur die geringste Vorstellung
von dem Inhalt der Sonate bekommen hat. „Unterschiedlich von ihren beiden
Vorgängern in (l-aur und deren Inhalt sich lyrischen Gefühlsergüssen hin-
sieht ^der Inhalt giebt sich hin?^, bringt die neueste Vivlinsonate, Op. 108 (1889),
(Dr. von Bülow gewidmet), nur leidenschaftlich düster erregte Stimmungen, die
sich von Satz zu Satz steigern. Die trüb und ahnungsvoll j!^ auftretende Leiden¬
schaft, welche den ersten Satz beherrscht, wird erst im Adagio — diesem reinen
Gesänge einer tiefleidenden Seele — vollständig verdrängt >erst? das Adagio folgt
ja unmittelbar auf den — keineswegs durchaus trüben, sondern hoheitsvollen,
klaren, stellenweise heitern ersten SaA, aber nur, um nach dem eigenartigen ^der
neugierige Leser wüßte gern: wie denn geartet^ IIr, xovo ?rssto ils moll sich im
Finale endgültig auszutoben. Dies viersätzige, phantastisch-romantische Tonbild (!)
redet wieder eine ganz eigene, von allem frühern sich unterscheidende und die
Situation >welche denn?j prägnant ^ charcikterisirende Sprache."

Wir wollen den Leser mit weitern Proben dieses blühenden Gefasels ver¬
schonen, doch würden wir dem „genialen" Stil des Verfassers nicht gerecht werden,
wenn wir nicht auch auf seine kühnen Sprachschöpfungen hinwiesen. Ist nicht die
„Jnsichabgeschlossenheit" ein ebenso prächiges Substantiv wie „hinsichts" eine preisens-
werte That auf dem Gebiete der Präpositionalbildung?

Inhaltlich am dürftigsten im Verhältnis zu der köstlichen Fülle des behan¬
delten Stoffes ist der Abschnitt über die Brahmsschen Lieder. Wer nur ein
einzigesmal in diesen reich quellenden Born untergetaucht ist und sich darin erquickt
hat, wird diesen Abschnitt nicht ohne Lächeln zu Ende lesen, dann aber schleunigst
die „Studie" Herrn Krauses beiseite legen, um sich bei Brahms selbst der Freude
und des Genusses wieder bewußt zu werden, die er beim Lesen beinahe verloren
hätte.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Berlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0664] Litteratur des ersten Satzes werden im letzten mit verarbeitet. In der zweiten Svncite (Op. 100) „erklingt das sanft ertönende Lied seliger Zufriedenheit. Sie erglänzt im reinsten, ungetrübten Lichte. Der zweite Satz, diese Vereinigung von Andante und Scherzo, ist von zauberischem Wohllaut; gegen diesen, wie gegen den poesie¬ reichen ersten Satz steht das knapp gehaltene Finale zurück." Mau darf wohl jeden beneiden, der aus diesen schönen Worten anch nur die geringste Vorstellung von dem Inhalt der Sonate bekommen hat. „Unterschiedlich von ihren beiden Vorgängern in (l-aur und deren Inhalt sich lyrischen Gefühlsergüssen hin- sieht ^der Inhalt giebt sich hin?^, bringt die neueste Vivlinsonate, Op. 108 (1889), (Dr. von Bülow gewidmet), nur leidenschaftlich düster erregte Stimmungen, die sich von Satz zu Satz steigern. Die trüb und ahnungsvoll j!^ auftretende Leiden¬ schaft, welche den ersten Satz beherrscht, wird erst im Adagio — diesem reinen Gesänge einer tiefleidenden Seele — vollständig verdrängt >erst? das Adagio folgt ja unmittelbar auf den — keineswegs durchaus trüben, sondern hoheitsvollen, klaren, stellenweise heitern ersten SaA, aber nur, um nach dem eigenartigen ^der neugierige Leser wüßte gern: wie denn geartet^ IIr, xovo ?rssto ils moll sich im Finale endgültig auszutoben. Dies viersätzige, phantastisch-romantische Tonbild (!) redet wieder eine ganz eigene, von allem frühern sich unterscheidende und die Situation >welche denn?j prägnant ^ charcikterisirende Sprache." Wir wollen den Leser mit weitern Proben dieses blühenden Gefasels ver¬ schonen, doch würden wir dem „genialen" Stil des Verfassers nicht gerecht werden, wenn wir nicht auch auf seine kühnen Sprachschöpfungen hinwiesen. Ist nicht die „Jnsichabgeschlossenheit" ein ebenso prächiges Substantiv wie „hinsichts" eine preisens- werte That auf dem Gebiete der Präpositionalbildung? Inhaltlich am dürftigsten im Verhältnis zu der köstlichen Fülle des behan¬ delten Stoffes ist der Abschnitt über die Brahmsschen Lieder. Wer nur ein einzigesmal in diesen reich quellenden Born untergetaucht ist und sich darin erquickt hat, wird diesen Abschnitt nicht ohne Lächeln zu Ende lesen, dann aber schleunigst die „Studie" Herrn Krauses beiseite legen, um sich bei Brahms selbst der Freude und des Genusses wieder bewußt zu werden, die er beim Lesen beinahe verloren hätte. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Berlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/664>, abgerufen am 25.08.2024.