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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Studentenunrlchen in Italien

machen sie den Eindruck, als ob ihr Verfasser nicht den Mut gehabt hätte,
als obersten Grundsatz festzustellen, daß die Universitäten zum Studium da
sind, daß die Herren Studenten neben ihren Rechten auch Pflichten haben,
deren vornehmste die ist, daß sie ihre Obrigkeit respektiren. Und wenn man
erst diese Gesetze auf ihre praktische Anwendbarkeit hin prüft, so wird man
entdecken, daß sie außerordentlich dehnbar sind. Dieser Dehnbarkeit hätte ja
nun leicht die Professorenschaft entgegenarbeiten können, wie das Beispiel
einiger -- leider sehr weniger! -- höhern Schulen beweist, aber el" Teil der
Professoren sand diese Dehnbarkeit für eigne Zwecke mir allzu bequem. Die
einzige Furcht des Universitätsprofessors ist die, daß er die Zuneigung seiner
Hörer verlieren und, wo er es einmal aus Eitelkeit wünscht, nicht beklatscht
sondern ansgepsiffen werden könnte. So läßt er sich denn mir allzuleicht
verleiten, seine eigene Würde preiszugeben, am unrechten Orte Schmeiche¬
leien auszuteilen, die Jugend fühlen zu lassen, daß er ihrer bedarf. Von
da ist aber uur ein kurzer Schritt dazu, strafbare Nachsicht zu üben und den
Studenten einen ganz falschen Begriff von ihrer Bedeutung und ihrem Einfluß
beizubringen.

Die Jugend aber mißbraucht das natürlicherweise und wiegt sich in dein
Gedanken, eine über den Gesetzen stehende Macht zu sein, gleichsam eine Re¬
publik ohne Pflichten innerhalb eines konstitutionellen Staatswesens. Daß
diesem Unwesen ihrer Kollegen gegenüber die andern Professoren, die guten
Willens sind und, weil sie in dem Bewußtsein ihrer Kenntnisse nicht nach
Gunst haschen zu müssen glauben, auch gewissenhaft sein möchten, einen schweren
Stand haben, wird um so begreiflicher, wenn man bedenkt, daß sie im Not¬
falle bei der obersten Stelle, d. h. bei dem Ministerium, doch nicht Recht be¬
kommen hätten, weil dieses aus Furcht vor deu Abgeordneten, die sich gar
zu gern zu Schützern der gefährdeten Freiheit auswerfen, den Gesetzen entweder
die weiteste Deutung gegeben oder auch kaltblütig Ausnahmen von der Regel
zugelassen hätte. So horte man denn bei Gelegenheit jeder Debatte über
Stndentenunruhen den Wunsch im Parlament und im Lande äußern, daß
jene Gesetze einer scharfei? Durchsicht unterworfen und dann für strenge Durch¬
führung gesorgt werden möge. Und jeder Minister versprach seine thatkräftige
Mitwirkung, auch zuletzt Villari.

Wenn nun auch zugegeben werden muß, daß einem Teile der Professoren
eine schärfere Disziplin gar nichts schadet, insofern es den wirklich tüch¬
tigen möglich gemacht wird, von der ihnen kraft ihrer Stellung und ihrer
Leistungen ohne weiteres zukommenden Autorität Gebrauch zu machen, während
den weniger tüchtigen dadurch die Mittel entzogen werden, als das zu er¬
scheinen, was sie nicht sind, so sind doch die Hoffnungen, die auf die Wirk¬
samkeit derartiger Maßregeln bei den Studenten gesetzt werden, schlechthin
trügerisch, denn der Fehler liegt viel tiefer: es fehlt in Italien überhaupt an


Die Studentenunrlchen in Italien

machen sie den Eindruck, als ob ihr Verfasser nicht den Mut gehabt hätte,
als obersten Grundsatz festzustellen, daß die Universitäten zum Studium da
sind, daß die Herren Studenten neben ihren Rechten auch Pflichten haben,
deren vornehmste die ist, daß sie ihre Obrigkeit respektiren. Und wenn man
erst diese Gesetze auf ihre praktische Anwendbarkeit hin prüft, so wird man
entdecken, daß sie außerordentlich dehnbar sind. Dieser Dehnbarkeit hätte ja
nun leicht die Professorenschaft entgegenarbeiten können, wie das Beispiel
einiger — leider sehr weniger! — höhern Schulen beweist, aber el» Teil der
Professoren sand diese Dehnbarkeit für eigne Zwecke mir allzu bequem. Die
einzige Furcht des Universitätsprofessors ist die, daß er die Zuneigung seiner
Hörer verlieren und, wo er es einmal aus Eitelkeit wünscht, nicht beklatscht
sondern ansgepsiffen werden könnte. So läßt er sich denn mir allzuleicht
verleiten, seine eigene Würde preiszugeben, am unrechten Orte Schmeiche¬
leien auszuteilen, die Jugend fühlen zu lassen, daß er ihrer bedarf. Von
da ist aber uur ein kurzer Schritt dazu, strafbare Nachsicht zu üben und den
Studenten einen ganz falschen Begriff von ihrer Bedeutung und ihrem Einfluß
beizubringen.

Die Jugend aber mißbraucht das natürlicherweise und wiegt sich in dein
Gedanken, eine über den Gesetzen stehende Macht zu sein, gleichsam eine Re¬
publik ohne Pflichten innerhalb eines konstitutionellen Staatswesens. Daß
diesem Unwesen ihrer Kollegen gegenüber die andern Professoren, die guten
Willens sind und, weil sie in dem Bewußtsein ihrer Kenntnisse nicht nach
Gunst haschen zu müssen glauben, auch gewissenhaft sein möchten, einen schweren
Stand haben, wird um so begreiflicher, wenn man bedenkt, daß sie im Not¬
falle bei der obersten Stelle, d. h. bei dem Ministerium, doch nicht Recht be¬
kommen hätten, weil dieses aus Furcht vor deu Abgeordneten, die sich gar
zu gern zu Schützern der gefährdeten Freiheit auswerfen, den Gesetzen entweder
die weiteste Deutung gegeben oder auch kaltblütig Ausnahmen von der Regel
zugelassen hätte. So horte man denn bei Gelegenheit jeder Debatte über
Stndentenunruhen den Wunsch im Parlament und im Lande äußern, daß
jene Gesetze einer scharfei? Durchsicht unterworfen und dann für strenge Durch¬
führung gesorgt werden möge. Und jeder Minister versprach seine thatkräftige
Mitwirkung, auch zuletzt Villari.

Wenn nun auch zugegeben werden muß, daß einem Teile der Professoren
eine schärfere Disziplin gar nichts schadet, insofern es den wirklich tüch¬
tigen möglich gemacht wird, von der ihnen kraft ihrer Stellung und ihrer
Leistungen ohne weiteres zukommenden Autorität Gebrauch zu machen, während
den weniger tüchtigen dadurch die Mittel entzogen werden, als das zu er¬
scheinen, was sie nicht sind, so sind doch die Hoffnungen, die auf die Wirk¬
samkeit derartiger Maßregeln bei den Studenten gesetzt werden, schlechthin
trügerisch, denn der Fehler liegt viel tiefer: es fehlt in Italien überhaupt an


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[0631] Die Studentenunrlchen in Italien machen sie den Eindruck, als ob ihr Verfasser nicht den Mut gehabt hätte, als obersten Grundsatz festzustellen, daß die Universitäten zum Studium da sind, daß die Herren Studenten neben ihren Rechten auch Pflichten haben, deren vornehmste die ist, daß sie ihre Obrigkeit respektiren. Und wenn man erst diese Gesetze auf ihre praktische Anwendbarkeit hin prüft, so wird man entdecken, daß sie außerordentlich dehnbar sind. Dieser Dehnbarkeit hätte ja nun leicht die Professorenschaft entgegenarbeiten können, wie das Beispiel einiger — leider sehr weniger! — höhern Schulen beweist, aber el» Teil der Professoren sand diese Dehnbarkeit für eigne Zwecke mir allzu bequem. Die einzige Furcht des Universitätsprofessors ist die, daß er die Zuneigung seiner Hörer verlieren und, wo er es einmal aus Eitelkeit wünscht, nicht beklatscht sondern ansgepsiffen werden könnte. So läßt er sich denn mir allzuleicht verleiten, seine eigene Würde preiszugeben, am unrechten Orte Schmeiche¬ leien auszuteilen, die Jugend fühlen zu lassen, daß er ihrer bedarf. Von da ist aber uur ein kurzer Schritt dazu, strafbare Nachsicht zu üben und den Studenten einen ganz falschen Begriff von ihrer Bedeutung und ihrem Einfluß beizubringen. Die Jugend aber mißbraucht das natürlicherweise und wiegt sich in dein Gedanken, eine über den Gesetzen stehende Macht zu sein, gleichsam eine Re¬ publik ohne Pflichten innerhalb eines konstitutionellen Staatswesens. Daß diesem Unwesen ihrer Kollegen gegenüber die andern Professoren, die guten Willens sind und, weil sie in dem Bewußtsein ihrer Kenntnisse nicht nach Gunst haschen zu müssen glauben, auch gewissenhaft sein möchten, einen schweren Stand haben, wird um so begreiflicher, wenn man bedenkt, daß sie im Not¬ falle bei der obersten Stelle, d. h. bei dem Ministerium, doch nicht Recht be¬ kommen hätten, weil dieses aus Furcht vor deu Abgeordneten, die sich gar zu gern zu Schützern der gefährdeten Freiheit auswerfen, den Gesetzen entweder die weiteste Deutung gegeben oder auch kaltblütig Ausnahmen von der Regel zugelassen hätte. So horte man denn bei Gelegenheit jeder Debatte über Stndentenunruhen den Wunsch im Parlament und im Lande äußern, daß jene Gesetze einer scharfei? Durchsicht unterworfen und dann für strenge Durch¬ führung gesorgt werden möge. Und jeder Minister versprach seine thatkräftige Mitwirkung, auch zuletzt Villari. Wenn nun auch zugegeben werden muß, daß einem Teile der Professoren eine schärfere Disziplin gar nichts schadet, insofern es den wirklich tüch¬ tigen möglich gemacht wird, von der ihnen kraft ihrer Stellung und ihrer Leistungen ohne weiteres zukommenden Autorität Gebrauch zu machen, während den weniger tüchtigen dadurch die Mittel entzogen werden, als das zu er¬ scheinen, was sie nicht sind, so sind doch die Hoffnungen, die auf die Wirk¬ samkeit derartiger Maßregeln bei den Studenten gesetzt werden, schlechthin trügerisch, denn der Fehler liegt viel tiefer: es fehlt in Italien überhaupt an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/631>, abgerufen am 23.07.2024.