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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Seltsame Fortschritte

König empfängt hier Briefe und beantwortet sie, ohne daß seine Räte und
Minister eine Ahnung davon haben, hier prüft er in unermüdlicher Thätigkeit
die Vorträge und Bittschriften und entscheidet sie nach seinem alleinigen Wissen
und Gewissen, indem er nur die hört und befragt, die ihm in dem einen oder
andern Gegenstande persönliches Vertrauen einflößen-

Dieser unsägliche Fleiß und diese ernste Gewissenhaftigkeit in der Erledigung
der Geschäfte hatten sich im habsburgischen Hanse fortgepflanzt; Ferdinand II,
und Leopold I. sind deswegen bewundert worden, und über der liebenswürdigen
Weisheit der Kaiserin Maria Theresia und der liberalen Energie und natür¬
lichen Philosophie ihres Sohnes in allerhöchsten Resolutionen, Bemerkungen,
Randglossen und Verbesserungen hat, wie der Versasser bemerkt, die Nachwelt
vergessen, daß sich die Form dieser Regierung und das System dieser
Entschließungen nicht im mindesten von dem des spanischen Königs unter¬
scheiden- Und als dieser Geist der Bevormundung im achtzehnten wie im
sechzehnten Jahrhundert in den Niederlanden auf Widerstand stieß, gab es für
Joseph II. wie für Philipp II. nur ein Mittel: rücksichtslose Gewalt, unerbitt¬
liche Strenge gegen die Unterthanen, die bei ihren: Glauben und ihrer Ver¬
fassung bleiben wollten, Murray erhält ohne Wissen des Fürsten Kaunitz
wiederholt bis ins einzelnste ausgearbeitete Vorschriften über militärische Ma߬
nahmen, die zum Teil einander widersprechen, aber nicht undeutlich erkennen
lassen, daß dem Kaiser ein Anlaß zu kräftigem Einschreiten ganz willkommen
sein würde. Es wiederholt sich da nicht allein das in Konflikten zwischen ver-
schiednen Staaten oder zwischen Regierung und Regierten so gewöhnliche Spiel,
daß der Kaiser versichert, nichts gegen die Landesverfassung unternehmen zu
wollen, während er schon im Widerspruch mit dieser das Heranziehen fremder
Truppen anbefohlen hat, und die Belgier ebenso friedliche und gesetzliche
Absichten kundgeben, sich aber gleichzeitig gegen den Landesherr" bewaffnen;
der Kaiser trägt sogar dem Gouverneur ausdrücklich aus, vor jedermann, selbst
vor dem Herzog Albert und dem' Münster, seine Instruktion strengstens
geheimzuhalten, in der eben aufgetragen ist, bei der geringsten insolouoo gegen
die Truppen fofort scharf schießen zu lassen, da es sich darum handle, ein
großes Beispiel der Strenge zu geben, in der sogar ein Straßenkamps in
Brüssel und die Notwendigkeit eines Rückzuges mit den kaiserlichen Beamten
und den Kassen gegen Ncnnnr und Luxemburg ins Auge gefaßt find; und um
dieselbe Zeit wird den Stände" die Bereitwilligkeit des Kaisers erklärt, väterlich
zu verzeihen und alles Vvrgefallue Mißverständnissen zuzuschreiben. Wie dann
die Zusammenziehung von frischen Truppen nicht mehr gut zu verheimlichen
ist, soll sie dem Publikum damit plausibel gemacht werden, es sei notwendig,
den Bürgern und Handwerkern, die ihre Geschäfte vernachlässigen, um Soldaten
zu spielen und sich um das allgemeine Wohl zu kümmern, diese Mühen und
Kosten abzunehmen: eine Ironie, die von den Brüsselern wohl gewürdigt


Seltsame Fortschritte

König empfängt hier Briefe und beantwortet sie, ohne daß seine Räte und
Minister eine Ahnung davon haben, hier prüft er in unermüdlicher Thätigkeit
die Vorträge und Bittschriften und entscheidet sie nach seinem alleinigen Wissen
und Gewissen, indem er nur die hört und befragt, die ihm in dem einen oder
andern Gegenstande persönliches Vertrauen einflößen-

Dieser unsägliche Fleiß und diese ernste Gewissenhaftigkeit in der Erledigung
der Geschäfte hatten sich im habsburgischen Hanse fortgepflanzt; Ferdinand II,
und Leopold I. sind deswegen bewundert worden, und über der liebenswürdigen
Weisheit der Kaiserin Maria Theresia und der liberalen Energie und natür¬
lichen Philosophie ihres Sohnes in allerhöchsten Resolutionen, Bemerkungen,
Randglossen und Verbesserungen hat, wie der Versasser bemerkt, die Nachwelt
vergessen, daß sich die Form dieser Regierung und das System dieser
Entschließungen nicht im mindesten von dem des spanischen Königs unter¬
scheiden- Und als dieser Geist der Bevormundung im achtzehnten wie im
sechzehnten Jahrhundert in den Niederlanden auf Widerstand stieß, gab es für
Joseph II. wie für Philipp II. nur ein Mittel: rücksichtslose Gewalt, unerbitt¬
liche Strenge gegen die Unterthanen, die bei ihren: Glauben und ihrer Ver¬
fassung bleiben wollten, Murray erhält ohne Wissen des Fürsten Kaunitz
wiederholt bis ins einzelnste ausgearbeitete Vorschriften über militärische Ma߬
nahmen, die zum Teil einander widersprechen, aber nicht undeutlich erkennen
lassen, daß dem Kaiser ein Anlaß zu kräftigem Einschreiten ganz willkommen
sein würde. Es wiederholt sich da nicht allein das in Konflikten zwischen ver-
schiednen Staaten oder zwischen Regierung und Regierten so gewöhnliche Spiel,
daß der Kaiser versichert, nichts gegen die Landesverfassung unternehmen zu
wollen, während er schon im Widerspruch mit dieser das Heranziehen fremder
Truppen anbefohlen hat, und die Belgier ebenso friedliche und gesetzliche
Absichten kundgeben, sich aber gleichzeitig gegen den Landesherr» bewaffnen;
der Kaiser trägt sogar dem Gouverneur ausdrücklich aus, vor jedermann, selbst
vor dem Herzog Albert und dem' Münster, seine Instruktion strengstens
geheimzuhalten, in der eben aufgetragen ist, bei der geringsten insolouoo gegen
die Truppen fofort scharf schießen zu lassen, da es sich darum handle, ein
großes Beispiel der Strenge zu geben, in der sogar ein Straßenkamps in
Brüssel und die Notwendigkeit eines Rückzuges mit den kaiserlichen Beamten
und den Kassen gegen Ncnnnr und Luxemburg ins Auge gefaßt find; und um
dieselbe Zeit wird den Stände» die Bereitwilligkeit des Kaisers erklärt, väterlich
zu verzeihen und alles Vvrgefallue Mißverständnissen zuzuschreiben. Wie dann
die Zusammenziehung von frischen Truppen nicht mehr gut zu verheimlichen
ist, soll sie dem Publikum damit plausibel gemacht werden, es sei notwendig,
den Bürgern und Handwerkern, die ihre Geschäfte vernachlässigen, um Soldaten
zu spielen und sich um das allgemeine Wohl zu kümmern, diese Mühen und
Kosten abzunehmen: eine Ironie, die von den Brüsselern wohl gewürdigt


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[0062] Seltsame Fortschritte König empfängt hier Briefe und beantwortet sie, ohne daß seine Räte und Minister eine Ahnung davon haben, hier prüft er in unermüdlicher Thätigkeit die Vorträge und Bittschriften und entscheidet sie nach seinem alleinigen Wissen und Gewissen, indem er nur die hört und befragt, die ihm in dem einen oder andern Gegenstande persönliches Vertrauen einflößen- Dieser unsägliche Fleiß und diese ernste Gewissenhaftigkeit in der Erledigung der Geschäfte hatten sich im habsburgischen Hanse fortgepflanzt; Ferdinand II, und Leopold I. sind deswegen bewundert worden, und über der liebenswürdigen Weisheit der Kaiserin Maria Theresia und der liberalen Energie und natür¬ lichen Philosophie ihres Sohnes in allerhöchsten Resolutionen, Bemerkungen, Randglossen und Verbesserungen hat, wie der Versasser bemerkt, die Nachwelt vergessen, daß sich die Form dieser Regierung und das System dieser Entschließungen nicht im mindesten von dem des spanischen Königs unter¬ scheiden- Und als dieser Geist der Bevormundung im achtzehnten wie im sechzehnten Jahrhundert in den Niederlanden auf Widerstand stieß, gab es für Joseph II. wie für Philipp II. nur ein Mittel: rücksichtslose Gewalt, unerbitt¬ liche Strenge gegen die Unterthanen, die bei ihren: Glauben und ihrer Ver¬ fassung bleiben wollten, Murray erhält ohne Wissen des Fürsten Kaunitz wiederholt bis ins einzelnste ausgearbeitete Vorschriften über militärische Ma߬ nahmen, die zum Teil einander widersprechen, aber nicht undeutlich erkennen lassen, daß dem Kaiser ein Anlaß zu kräftigem Einschreiten ganz willkommen sein würde. Es wiederholt sich da nicht allein das in Konflikten zwischen ver- schiednen Staaten oder zwischen Regierung und Regierten so gewöhnliche Spiel, daß der Kaiser versichert, nichts gegen die Landesverfassung unternehmen zu wollen, während er schon im Widerspruch mit dieser das Heranziehen fremder Truppen anbefohlen hat, und die Belgier ebenso friedliche und gesetzliche Absichten kundgeben, sich aber gleichzeitig gegen den Landesherr» bewaffnen; der Kaiser trägt sogar dem Gouverneur ausdrücklich aus, vor jedermann, selbst vor dem Herzog Albert und dem' Münster, seine Instruktion strengstens geheimzuhalten, in der eben aufgetragen ist, bei der geringsten insolouoo gegen die Truppen fofort scharf schießen zu lassen, da es sich darum handle, ein großes Beispiel der Strenge zu geben, in der sogar ein Straßenkamps in Brüssel und die Notwendigkeit eines Rückzuges mit den kaiserlichen Beamten und den Kassen gegen Ncnnnr und Luxemburg ins Auge gefaßt find; und um dieselbe Zeit wird den Stände» die Bereitwilligkeit des Kaisers erklärt, väterlich zu verzeihen und alles Vvrgefallue Mißverständnissen zuzuschreiben. Wie dann die Zusammenziehung von frischen Truppen nicht mehr gut zu verheimlichen ist, soll sie dem Publikum damit plausibel gemacht werden, es sei notwendig, den Bürgern und Handwerkern, die ihre Geschäfte vernachlässigen, um Soldaten zu spielen und sich um das allgemeine Wohl zu kümmern, diese Mühen und Kosten abzunehmen: eine Ironie, die von den Brüsselern wohl gewürdigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/62>, abgerufen am 23.07.2024.