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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Sie Schlacht bei Marathon

Teiles der die phönikischen Schiffe besteigenden und sich tapfer wehrenden Bar¬
baren durch die Griechen dargestellt gewesen sei. Man kann demnach sagen, daß
die Anwesenheit der persischen Feldherren in der Schlacht und die andern Züge,
die mit Herodots Schilderung stimmen, vierzig Jahre nach der Schlacht in der
Überlieferung der Athener noch lebendig waren, Wenn man freilich z. B.
glauben will, daß es im Jahre 1855 ein Maler hätte wagen können, Murat
ans einem Gemälde bei La Belle Alliance kommandiren und Napoleon aus
der Entfernung zusehen zu lassen, dann mag man immerhin annehmen, Pa-
ramos habe statt Hippias fälschlich Datis und Artaphernes den Befehl führen
lassen. Weshalb freilich der Maler diese Fälschung hätte vornehmen sollen,
bleibt auch dann unerklärt.

Der siebente Punkt erledigt sich durch das ausdrückliche Zeugnis des
Herodot, der bei der Beratung der athenischen Feldherren hervorhebt, daß
die Athener "zu gering an Zahl gewesen seien, um gegen die Weder zu kämpfen."

Achtens haben wir keine Nachricht davon, in welcher Weise Athen nach
dem Ausmarsche des Heeres geschützt wurde. Daß ein Teil des Heerbannes
zum Schutze der Stadt zurückgeblieben wäre, ist deshalb unwahrscheinlich,
weil das ätherische Heer nach der Schlacht eilig zurückging, um die Stadt gegen
einen Handstreich der um Snnion Herumsegeluden persischen Flotte zu decken.

Neuntens kann ein Mann allerdings sehr viel thun, um eine nicht ganz
entschieden gestimmte Volksmenge fortzureißen; es ist aber eben der Ruhm
der athenischen Bürger, daß sie sich von Miltiades dazu bringen ließen, unter
Einsatz ihrer ganzen Existenz dem persischen Heere Widerstand zu leisten.

Zehntens sagt Herodot allerdings, daß in der Mitte der persischen
Schlachtordnung "die Meder selbst und die Saken" standen; das braucht aber
doch nur zu bedeuten, daß auf deu Flügeln Perser allein ohne Saken standen.
Daß "Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner" ans den Flügeln
gestanden hätten, erwähnt er mit keiner Silbe, wie er denn auch in der Be¬
schreibung der Schlacht stets nur von Barbaren spricht; die Sache ist auch
höchst unwahrscheinlich, da es unklug gewesen wäre, Griechen gegen Griechen
kämpfen zu lassen.

Hierdurch erledigt sich auch der elfte Punkt, worin die kurz vorher aus
dem Schweigen Herodots gefolgerte Teilnahme von Griechen ans persischer
Seite zu Herodots eignem Berichte geworden und zur Zmeifellosigkeit erhoben
ist. Neu sind freilich dabei die Avler, über die Herodot ebenfalls schweigt.

Zwölftens sagt Herodot: die Athener erbeuteten sieben Schiffe. Ob es
Transport- oder Kriegsschiffe waren, berichtet er nicht; waren sie schon vorher
schadhaft, fo ist das im Interesse der Athener lebhaft zu bedauern, überliefert
hat es niemand.

Dreizehnter?' war der Verlust der 192 Athener deren Verwandten gewiß
sehr schmerzlich, für deu Staat aber war ein so geringer Verlust ein sehr


Sie Schlacht bei Marathon

Teiles der die phönikischen Schiffe besteigenden und sich tapfer wehrenden Bar¬
baren durch die Griechen dargestellt gewesen sei. Man kann demnach sagen, daß
die Anwesenheit der persischen Feldherren in der Schlacht und die andern Züge,
die mit Herodots Schilderung stimmen, vierzig Jahre nach der Schlacht in der
Überlieferung der Athener noch lebendig waren, Wenn man freilich z. B.
glauben will, daß es im Jahre 1855 ein Maler hätte wagen können, Murat
ans einem Gemälde bei La Belle Alliance kommandiren und Napoleon aus
der Entfernung zusehen zu lassen, dann mag man immerhin annehmen, Pa-
ramos habe statt Hippias fälschlich Datis und Artaphernes den Befehl führen
lassen. Weshalb freilich der Maler diese Fälschung hätte vornehmen sollen,
bleibt auch dann unerklärt.

Der siebente Punkt erledigt sich durch das ausdrückliche Zeugnis des
Herodot, der bei der Beratung der athenischen Feldherren hervorhebt, daß
die Athener „zu gering an Zahl gewesen seien, um gegen die Weder zu kämpfen."

Achtens haben wir keine Nachricht davon, in welcher Weise Athen nach
dem Ausmarsche des Heeres geschützt wurde. Daß ein Teil des Heerbannes
zum Schutze der Stadt zurückgeblieben wäre, ist deshalb unwahrscheinlich,
weil das ätherische Heer nach der Schlacht eilig zurückging, um die Stadt gegen
einen Handstreich der um Snnion Herumsegeluden persischen Flotte zu decken.

Neuntens kann ein Mann allerdings sehr viel thun, um eine nicht ganz
entschieden gestimmte Volksmenge fortzureißen; es ist aber eben der Ruhm
der athenischen Bürger, daß sie sich von Miltiades dazu bringen ließen, unter
Einsatz ihrer ganzen Existenz dem persischen Heere Widerstand zu leisten.

Zehntens sagt Herodot allerdings, daß in der Mitte der persischen
Schlachtordnung „die Meder selbst und die Saken" standen; das braucht aber
doch nur zu bedeuten, daß auf deu Flügeln Perser allein ohne Saken standen.
Daß „Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner" ans den Flügeln
gestanden hätten, erwähnt er mit keiner Silbe, wie er denn auch in der Be¬
schreibung der Schlacht stets nur von Barbaren spricht; die Sache ist auch
höchst unwahrscheinlich, da es unklug gewesen wäre, Griechen gegen Griechen
kämpfen zu lassen.

Hierdurch erledigt sich auch der elfte Punkt, worin die kurz vorher aus
dem Schweigen Herodots gefolgerte Teilnahme von Griechen ans persischer
Seite zu Herodots eignem Berichte geworden und zur Zmeifellosigkeit erhoben
ist. Neu sind freilich dabei die Avler, über die Herodot ebenfalls schweigt.

Zwölftens sagt Herodot: die Athener erbeuteten sieben Schiffe. Ob es
Transport- oder Kriegsschiffe waren, berichtet er nicht; waren sie schon vorher
schadhaft, fo ist das im Interesse der Athener lebhaft zu bedauern, überliefert
hat es niemand.

Dreizehnter?' war der Verlust der 192 Athener deren Verwandten gewiß
sehr schmerzlich, für deu Staat aber war ein so geringer Verlust ein sehr


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[0591] Sie Schlacht bei Marathon Teiles der die phönikischen Schiffe besteigenden und sich tapfer wehrenden Bar¬ baren durch die Griechen dargestellt gewesen sei. Man kann demnach sagen, daß die Anwesenheit der persischen Feldherren in der Schlacht und die andern Züge, die mit Herodots Schilderung stimmen, vierzig Jahre nach der Schlacht in der Überlieferung der Athener noch lebendig waren, Wenn man freilich z. B. glauben will, daß es im Jahre 1855 ein Maler hätte wagen können, Murat ans einem Gemälde bei La Belle Alliance kommandiren und Napoleon aus der Entfernung zusehen zu lassen, dann mag man immerhin annehmen, Pa- ramos habe statt Hippias fälschlich Datis und Artaphernes den Befehl führen lassen. Weshalb freilich der Maler diese Fälschung hätte vornehmen sollen, bleibt auch dann unerklärt. Der siebente Punkt erledigt sich durch das ausdrückliche Zeugnis des Herodot, der bei der Beratung der athenischen Feldherren hervorhebt, daß die Athener „zu gering an Zahl gewesen seien, um gegen die Weder zu kämpfen." Achtens haben wir keine Nachricht davon, in welcher Weise Athen nach dem Ausmarsche des Heeres geschützt wurde. Daß ein Teil des Heerbannes zum Schutze der Stadt zurückgeblieben wäre, ist deshalb unwahrscheinlich, weil das ätherische Heer nach der Schlacht eilig zurückging, um die Stadt gegen einen Handstreich der um Snnion Herumsegeluden persischen Flotte zu decken. Neuntens kann ein Mann allerdings sehr viel thun, um eine nicht ganz entschieden gestimmte Volksmenge fortzureißen; es ist aber eben der Ruhm der athenischen Bürger, daß sie sich von Miltiades dazu bringen ließen, unter Einsatz ihrer ganzen Existenz dem persischen Heere Widerstand zu leisten. Zehntens sagt Herodot allerdings, daß in der Mitte der persischen Schlachtordnung „die Meder selbst und die Saken" standen; das braucht aber doch nur zu bedeuten, daß auf deu Flügeln Perser allein ohne Saken standen. Daß „Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner" ans den Flügeln gestanden hätten, erwähnt er mit keiner Silbe, wie er denn auch in der Be¬ schreibung der Schlacht stets nur von Barbaren spricht; die Sache ist auch höchst unwahrscheinlich, da es unklug gewesen wäre, Griechen gegen Griechen kämpfen zu lassen. Hierdurch erledigt sich auch der elfte Punkt, worin die kurz vorher aus dem Schweigen Herodots gefolgerte Teilnahme von Griechen ans persischer Seite zu Herodots eignem Berichte geworden und zur Zmeifellosigkeit erhoben ist. Neu sind freilich dabei die Avler, über die Herodot ebenfalls schweigt. Zwölftens sagt Herodot: die Athener erbeuteten sieben Schiffe. Ob es Transport- oder Kriegsschiffe waren, berichtet er nicht; waren sie schon vorher schadhaft, fo ist das im Interesse der Athener lebhaft zu bedauern, überliefert hat es niemand. Dreizehnter?' war der Verlust der 192 Athener deren Verwandten gewiß sehr schmerzlich, für deu Staat aber war ein so geringer Verlust ein sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/591>, abgerufen am 23.07.2024.