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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Seltsame Fortschritte

gehalten haben, daß es die Polen wie in Österreich, 'so in Preußen zur Ne-
gierungsfähigkeit bringen könnten? Die Erfolge der versöhnlichen Politik
Friedrich Wilhelms IV. sind -ja wohl allgemein deutlich in Erinnerung. Er
gab das Flottwellsche System auf, allmählich einen zuverlässigen deutschen Stock
von Grundbesitzern in der Provinz Posen zu schassen, hoffte den Adel durch
Vertraue" zu gewinnen und sah sich dafür dnrch die Verschwörungen und Putsche
in den Jahren 1845 und 1846 jbelohnt. Der 20. Mürz 1848 befreite die
Rädelsführer Mieroslawski und Konsorten aus dem Gefängnis, der unzu¬
rechnungsfähige Teil der Berliner führte die Freiheitshelden im Triumph durch
die Stadt, und fofort brach der Aufstand in Posen aus. Die weitestgehenden
Zugeständnisse nützten nichts, General Pfuel mußte den Scharen Miervslawskis
förmliche Schlachten liefern, um das Land dem preußischen Staate zu erhalten
und die deutschen Bewohner vor den zügellosen snnatisirten Rotten zu schützen.
Die Absicht, Posen, wie ehedem Krcckau, zum Hauptquartiere zu machen, von
dem aus Erhebungen gegen die russische Herrschaft geleitet werden könnten,
war gescheitert, die Haltung Preußens während des orientalischen Krieges
1853--185"> ließ die Polen ihre Hoffnung auf Österreich setzen, und die Galizieo
haben bekanntlich mit viel diplomatischem Geschick in dem Kampfe der nationalen
und der politischen Parteien des Kaiserstaates zu laviren verstanden, daß sie
bald als Stütze des Ministeriums, bald im Bunde mit den Slawen, bald mit
den Deutschen alles durchsetzen, nud daß jede Partei ihre Bundesgenossenschaft
suchen muß. Haben sie deshalb ihre nationalen Traume abgeschworen, ver¬
zichtet auf die Wiederherstellung des polnischen Reiches "vom Schwarzen Meere
bis zur Ostsee"? Das glaubt niemand, und sie hüten sich wohl, irgendwelche
Verpflichtungen sür die Zukunft zu übernehmen. Sollten die preußischen Polen
plötzlich polnischredende Preußen geworden sein? Man lese die Reichstags- und
Kammerverhandlungen nach, man denke an den Grasen Ledochowski! Was die
jetzige Zurückhaltung zu bedeuten hat, lehrt eben das Beispiel ihrer Stammes¬
genossen in Galizien. Deutsche giebt es dort dem Anschein nach gar nicht mehr,
die große Masse der Nutheuen ist muudtot gemacht, das Wort führen Polen
und Juden, die sich dort ebenso dem herrschenden Stamme anschmiegen, wie in
Ungarn. Die Polen sondern sich auch in Parteien, aber ob sie nun Aristokraten
oder Demokraten sind, in zwei Beziehungen besteht wohl Übereinstimmung
zwischen ihnen: sie bleiben treue Diener der römischen Kirche und -- harren
besserer Zeiten. Sie sind klüger als die Tschechen, führen nicht immer das
unabhängige Königreich und den Haß gegen das Deutschtum im Munde, aber
ihre Revvlutionsseier und das anspruchsvolle Auftreten des polnischen Elements
in Schlesien verraten zur Genüge das Festhalten an den alten Bestrebungen.
Das Beispiel ist allerdings verlockend für andre Polen. Und wenn unsre
Beziehungen zu Nußland ein sür allemal feindnachbarlich werden sollen, so
giebt es dafür gewiß kein besseres Mittel, als die Polen auch in unserm


Seltsame Fortschritte

gehalten haben, daß es die Polen wie in Österreich, 'so in Preußen zur Ne-
gierungsfähigkeit bringen könnten? Die Erfolge der versöhnlichen Politik
Friedrich Wilhelms IV. sind -ja wohl allgemein deutlich in Erinnerung. Er
gab das Flottwellsche System auf, allmählich einen zuverlässigen deutschen Stock
von Grundbesitzern in der Provinz Posen zu schassen, hoffte den Adel durch
Vertraue» zu gewinnen und sah sich dafür dnrch die Verschwörungen und Putsche
in den Jahren 1845 und 1846 jbelohnt. Der 20. Mürz 1848 befreite die
Rädelsführer Mieroslawski und Konsorten aus dem Gefängnis, der unzu¬
rechnungsfähige Teil der Berliner führte die Freiheitshelden im Triumph durch
die Stadt, und fofort brach der Aufstand in Posen aus. Die weitestgehenden
Zugeständnisse nützten nichts, General Pfuel mußte den Scharen Miervslawskis
förmliche Schlachten liefern, um das Land dem preußischen Staate zu erhalten
und die deutschen Bewohner vor den zügellosen snnatisirten Rotten zu schützen.
Die Absicht, Posen, wie ehedem Krcckau, zum Hauptquartiere zu machen, von
dem aus Erhebungen gegen die russische Herrschaft geleitet werden könnten,
war gescheitert, die Haltung Preußens während des orientalischen Krieges
1853—185«> ließ die Polen ihre Hoffnung auf Österreich setzen, und die Galizieo
haben bekanntlich mit viel diplomatischem Geschick in dem Kampfe der nationalen
und der politischen Parteien des Kaiserstaates zu laviren verstanden, daß sie
bald als Stütze des Ministeriums, bald im Bunde mit den Slawen, bald mit
den Deutschen alles durchsetzen, nud daß jede Partei ihre Bundesgenossenschaft
suchen muß. Haben sie deshalb ihre nationalen Traume abgeschworen, ver¬
zichtet auf die Wiederherstellung des polnischen Reiches „vom Schwarzen Meere
bis zur Ostsee"? Das glaubt niemand, und sie hüten sich wohl, irgendwelche
Verpflichtungen sür die Zukunft zu übernehmen. Sollten die preußischen Polen
plötzlich polnischredende Preußen geworden sein? Man lese die Reichstags- und
Kammerverhandlungen nach, man denke an den Grasen Ledochowski! Was die
jetzige Zurückhaltung zu bedeuten hat, lehrt eben das Beispiel ihrer Stammes¬
genossen in Galizien. Deutsche giebt es dort dem Anschein nach gar nicht mehr,
die große Masse der Nutheuen ist muudtot gemacht, das Wort führen Polen
und Juden, die sich dort ebenso dem herrschenden Stamme anschmiegen, wie in
Ungarn. Die Polen sondern sich auch in Parteien, aber ob sie nun Aristokraten
oder Demokraten sind, in zwei Beziehungen besteht wohl Übereinstimmung
zwischen ihnen: sie bleiben treue Diener der römischen Kirche und — harren
besserer Zeiten. Sie sind klüger als die Tschechen, führen nicht immer das
unabhängige Königreich und den Haß gegen das Deutschtum im Munde, aber
ihre Revvlutionsseier und das anspruchsvolle Auftreten des polnischen Elements
in Schlesien verraten zur Genüge das Festhalten an den alten Bestrebungen.
Das Beispiel ist allerdings verlockend für andre Polen. Und wenn unsre
Beziehungen zu Nußland ein sür allemal feindnachbarlich werden sollen, so
giebt es dafür gewiß kein besseres Mittel, als die Polen auch in unserm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/59>, abgerufen am 23.07.2024.