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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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?le ?est^icht bei Maratl^on

Homer nicht mehr; sie mögen, um den Ausdruck einer der interessanten Damen
zu gebrauchen, deren Stil und Gedankentiefe uns jetzt in manchen Wochen- und
Monatsschriften entzückt, ihre Seele an I. H, Voß beschwingen.

Auch ein mächtiger nationaler Aufschwung bricht nicht plötzlich mit voller
Gewalt los, sondern bereitet sich allmählich vor und wächst von kleinen An¬
fängen in die Höhe. Die bisherige Ansicht über die Schlacht von Marathon
ging dahin, daß im Herbste des Jahres 490 zum erstenmale dem persischen
Streben nach Herrschaft über Griechenland ein energischer und glücklicher
Widerstand geleistet wurde, indem die Bürger von Athen ein weit überlegnes
persisches Heer schlugen, und daß die Mehrzahl der Griechen des Mutterlandes
durch den Ausgang dieses Tages dazu gebracht wurde, für einige Zeit ihre
Zwistigkeiten zu vergessen und sich zum Kampfe gegen den gemeinsamen Unter¬
drücker zu vereinigen.

Gegen diese Ansicht wendet sich ein Aufsatz von H. Welzhofer in dem kürzlich
erschienenen elften Jahrgange (der sechsten Folge) des historischen Taschenbuches,
indem er folgende in der Hauptsache neue Behauptungen aufstellt: 1. Dareios
hat, wenigstens zur Zeit der Marathvnischen Schlacht, "an eine Eroberung
der griechischen Halbinsel nicht gedacht, sondern Datis und Artaphernes nur
gegen Naxos und Eretria geschickt." 2. Die Aufforderung, Erde und Wasser
abzuliefern (49l vor Chr.), bedeutete mir, daß sich der König Klarheit über
die zweideutige Haltung der Griechenstaaten verschaffen wollte: "nichts weiter
als eine äußere Anerkennung der persischen Oberhoheit wurde verlangt." 3. Es
ist ein Märchen, daß ,,sich Dareios täglich von seinem Diener an die Athener
erinnern ließ." 4. "Kaum glaublich sind die von Herodot behaupteten Rüst¬
ungen zu einem griechischen Feldzuge." 5. Reiterei wurde vor der Schlacht
bei Marathon aus der persischen Flotte nicht ans Land gesetzt. 6. "Hippias
war nicht Wegweiser, sondern Anführer" in der Schlacht von Marathon.
"Erst der Kriegszug des Datis gegen Nnxos und Eretria schien ihm eine
günstige Gelegenheit zu bieten zur Ausführung seines Unternehmens unter
persischer Beihilfe. Er umhin deshalb Teil an diesem Feldzuge und führte
namentlich an Truppen mit, so viel er hatte anwerben können. Nachdem nun
Eretria bezwungen war, erhielt er wohl auch von Datis einige Mannschaft."
7. Da die Spartaner zur Unterstützung Athens nur zweitausend Mann ab¬
schickten, so "möchte mau daraus schließen, daß der bei Marathon stehende
Feind nur einige tausend Mann stark war." 8. "Es mußten viele waffen¬
fähige Bürger zum Schutze der Stadt zurückbleibe", dn ein feindlicher An¬
griff von der Seeseite nicht ausgeschlossen war." 9. "Zweifellos richtig ist
Herodots Darstellung, daß es ohne die Bemühungen des Miltiades gar
nicht zur Schlacht von Marathon gekommen wäre " 10. Herodot macht "bei
der Schilderung des Kampfes die nicht unwichtige Bemerkung, daß im Mittel-
treffcn die Perser selbst und die Sälen aufgestellt waren. Daraus läßt sich


?le ?est^icht bei Maratl^on

Homer nicht mehr; sie mögen, um den Ausdruck einer der interessanten Damen
zu gebrauchen, deren Stil und Gedankentiefe uns jetzt in manchen Wochen- und
Monatsschriften entzückt, ihre Seele an I. H, Voß beschwingen.

Auch ein mächtiger nationaler Aufschwung bricht nicht plötzlich mit voller
Gewalt los, sondern bereitet sich allmählich vor und wächst von kleinen An¬
fängen in die Höhe. Die bisherige Ansicht über die Schlacht von Marathon
ging dahin, daß im Herbste des Jahres 490 zum erstenmale dem persischen
Streben nach Herrschaft über Griechenland ein energischer und glücklicher
Widerstand geleistet wurde, indem die Bürger von Athen ein weit überlegnes
persisches Heer schlugen, und daß die Mehrzahl der Griechen des Mutterlandes
durch den Ausgang dieses Tages dazu gebracht wurde, für einige Zeit ihre
Zwistigkeiten zu vergessen und sich zum Kampfe gegen den gemeinsamen Unter¬
drücker zu vereinigen.

Gegen diese Ansicht wendet sich ein Aufsatz von H. Welzhofer in dem kürzlich
erschienenen elften Jahrgange (der sechsten Folge) des historischen Taschenbuches,
indem er folgende in der Hauptsache neue Behauptungen aufstellt: 1. Dareios
hat, wenigstens zur Zeit der Marathvnischen Schlacht, „an eine Eroberung
der griechischen Halbinsel nicht gedacht, sondern Datis und Artaphernes nur
gegen Naxos und Eretria geschickt." 2. Die Aufforderung, Erde und Wasser
abzuliefern (49l vor Chr.), bedeutete mir, daß sich der König Klarheit über
die zweideutige Haltung der Griechenstaaten verschaffen wollte: „nichts weiter
als eine äußere Anerkennung der persischen Oberhoheit wurde verlangt." 3. Es
ist ein Märchen, daß ,,sich Dareios täglich von seinem Diener an die Athener
erinnern ließ." 4. „Kaum glaublich sind die von Herodot behaupteten Rüst¬
ungen zu einem griechischen Feldzuge." 5. Reiterei wurde vor der Schlacht
bei Marathon aus der persischen Flotte nicht ans Land gesetzt. 6. „Hippias
war nicht Wegweiser, sondern Anführer" in der Schlacht von Marathon.
„Erst der Kriegszug des Datis gegen Nnxos und Eretria schien ihm eine
günstige Gelegenheit zu bieten zur Ausführung seines Unternehmens unter
persischer Beihilfe. Er umhin deshalb Teil an diesem Feldzuge und führte
namentlich an Truppen mit, so viel er hatte anwerben können. Nachdem nun
Eretria bezwungen war, erhielt er wohl auch von Datis einige Mannschaft."
7. Da die Spartaner zur Unterstützung Athens nur zweitausend Mann ab¬
schickten, so „möchte mau daraus schließen, daß der bei Marathon stehende
Feind nur einige tausend Mann stark war." 8. „Es mußten viele waffen¬
fähige Bürger zum Schutze der Stadt zurückbleibe«, dn ein feindlicher An¬
griff von der Seeseite nicht ausgeschlossen war." 9. „Zweifellos richtig ist
Herodots Darstellung, daß es ohne die Bemühungen des Miltiades gar
nicht zur Schlacht von Marathon gekommen wäre " 10. Herodot macht „bei
der Schilderung des Kampfes die nicht unwichtige Bemerkung, daß im Mittel-
treffcn die Perser selbst und die Sälen aufgestellt waren. Daraus läßt sich


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[0588] ?le ?est^icht bei Maratl^on Homer nicht mehr; sie mögen, um den Ausdruck einer der interessanten Damen zu gebrauchen, deren Stil und Gedankentiefe uns jetzt in manchen Wochen- und Monatsschriften entzückt, ihre Seele an I. H, Voß beschwingen. Auch ein mächtiger nationaler Aufschwung bricht nicht plötzlich mit voller Gewalt los, sondern bereitet sich allmählich vor und wächst von kleinen An¬ fängen in die Höhe. Die bisherige Ansicht über die Schlacht von Marathon ging dahin, daß im Herbste des Jahres 490 zum erstenmale dem persischen Streben nach Herrschaft über Griechenland ein energischer und glücklicher Widerstand geleistet wurde, indem die Bürger von Athen ein weit überlegnes persisches Heer schlugen, und daß die Mehrzahl der Griechen des Mutterlandes durch den Ausgang dieses Tages dazu gebracht wurde, für einige Zeit ihre Zwistigkeiten zu vergessen und sich zum Kampfe gegen den gemeinsamen Unter¬ drücker zu vereinigen. Gegen diese Ansicht wendet sich ein Aufsatz von H. Welzhofer in dem kürzlich erschienenen elften Jahrgange (der sechsten Folge) des historischen Taschenbuches, indem er folgende in der Hauptsache neue Behauptungen aufstellt: 1. Dareios hat, wenigstens zur Zeit der Marathvnischen Schlacht, „an eine Eroberung der griechischen Halbinsel nicht gedacht, sondern Datis und Artaphernes nur gegen Naxos und Eretria geschickt." 2. Die Aufforderung, Erde und Wasser abzuliefern (49l vor Chr.), bedeutete mir, daß sich der König Klarheit über die zweideutige Haltung der Griechenstaaten verschaffen wollte: „nichts weiter als eine äußere Anerkennung der persischen Oberhoheit wurde verlangt." 3. Es ist ein Märchen, daß ,,sich Dareios täglich von seinem Diener an die Athener erinnern ließ." 4. „Kaum glaublich sind die von Herodot behaupteten Rüst¬ ungen zu einem griechischen Feldzuge." 5. Reiterei wurde vor der Schlacht bei Marathon aus der persischen Flotte nicht ans Land gesetzt. 6. „Hippias war nicht Wegweiser, sondern Anführer" in der Schlacht von Marathon. „Erst der Kriegszug des Datis gegen Nnxos und Eretria schien ihm eine günstige Gelegenheit zu bieten zur Ausführung seines Unternehmens unter persischer Beihilfe. Er umhin deshalb Teil an diesem Feldzuge und führte namentlich an Truppen mit, so viel er hatte anwerben können. Nachdem nun Eretria bezwungen war, erhielt er wohl auch von Datis einige Mannschaft." 7. Da die Spartaner zur Unterstützung Athens nur zweitausend Mann ab¬ schickten, so „möchte mau daraus schließen, daß der bei Marathon stehende Feind nur einige tausend Mann stark war." 8. „Es mußten viele waffen¬ fähige Bürger zum Schutze der Stadt zurückbleibe«, dn ein feindlicher An¬ griff von der Seeseite nicht ausgeschlossen war." 9. „Zweifellos richtig ist Herodots Darstellung, daß es ohne die Bemühungen des Miltiades gar nicht zur Schlacht von Marathon gekommen wäre " 10. Herodot macht „bei der Schilderung des Kampfes die nicht unwichtige Bemerkung, daß im Mittel- treffcn die Perser selbst und die Sälen aufgestellt waren. Daraus läßt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/588>, abgerufen am 23.07.2024.