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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

daß er trotz des Nebels die Schiffsgeschwindigkeit unverändert beibehält und
dadurch zwar eine schnelle Reise macht, aber die Gefahr des Zusammenstoßes
riesig steigert. Noch fahren die Schiffe nicht auf Schienen, sodaß es nur
aus richtige Weichenstellnng ankäme; so unglaublich es auch oft dem Land¬
bewohner in dein Gedanken an die enorme Ausdehnung der Ozeane erscheint, daß
Schiffe unter einander ,,rempeln" können -- dieser Fall tritt doch außer¬
ordentlich häusig ein. Natürlich ist die Häufigkeit von Schiffszusammen-
stvßen abhängig von der Zahl der Schiffe, die sich gleichzeitig auf der Flächen¬
einheit eines Meeresteils befinden. Thatsächlich finden anch am häufigsten
Unfälle in folgenden stark befcchrnen Gewässern statt: im englischen Kanal, ein¬
schließlich der Themsemündung; im südlichen Teile der Nordsee, besonders
zwischen Helgoland und der Elbe- und Wesermiindnng; in den Gewässern von
Newyork; in der irischen See und dem Bristolkcmnl; im Roten Meere.

Die nachfolgende Darstellung bezweckt, dem Laien ein klares Bild davon
zu geben, inwieweit bis jetzt Vorsorge zur Verhütung von Zusammenstößen
zur See getroffen ist, und welche Punkte noch einer befriedigenden Lösung
harren. Gewöhnt sich der Deutsche darein, ein größeres sachliches Interesse
für die Seefahrtsangelegenheiten zu bethätigen, so wird er imstande sein, durch
sein Urteil manche der noch bestehenden Mängel mitbeseitigen zu helfen. Deutsch¬
land, das die zweitgrößte Seehaudelsflotte der Welt besitzt -- also nur noch
von England übertroffen wird --, hat in seinem Reichstage nur drei nautische
Sachverständige! Diese Thatsache spricht wohl genügend für die Notwendig¬
keit, der Nautik größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Denn daß auch in see¬
männischen Angelegenheiten manche Frage zu schnellerer und für die Sache
selbst günstigern Lösung zu bringen wäre, wenn sich die öffentliche" Meinung
-- im besten Sinne verstanden --, das allseitige Interesse der gebildeten Kreise
damit beschäftigte und einen gewissen Druck gegen etwaige Sonderinteresfen
ausübte, davon wird wohl heutzutage nach Beispielen auf andern Gebieten jeder¬
mann überzeugt sein.

Wenn der Laie einmal das Verständnis für die Übelstände erlangt hat,
so wird sich ihm zunächst die Frage aufdrängen: Was ist denn bisher von den
Fachleuten zur Sicherung des Seeverkehrs vorgeschlagen, versucht und durch¬
gesetzt worden?

Mit einigen unwesentlichen Umänderungen sind noch heute die im Jahre
1863 international vereinbarten "Verordnungen zur Verhütung des Zusammen¬
stoßes der Schiffe auf See" bei allen seefahrenden Nationen in rechtsgiltigem
Gebrauch. Für den damaligen geringen und langsamen Dampferverkehr
genügten diese Vorschriften ganz gut. Dennoch erhoben sich schon bald
nach ihrer Einführung gewichtige Stimmen gegen einzelne Lücken und Fehler.
Namentlich der auf dem Gebiete des Signalwesens sehr bewanderte Admiral
Colomb machte wiederholt in besondern Schriften sehr energisch auf die viel-


Grenzbole" l 1892 72
Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

daß er trotz des Nebels die Schiffsgeschwindigkeit unverändert beibehält und
dadurch zwar eine schnelle Reise macht, aber die Gefahr des Zusammenstoßes
riesig steigert. Noch fahren die Schiffe nicht auf Schienen, sodaß es nur
aus richtige Weichenstellnng ankäme; so unglaublich es auch oft dem Land¬
bewohner in dein Gedanken an die enorme Ausdehnung der Ozeane erscheint, daß
Schiffe unter einander ,,rempeln" können — dieser Fall tritt doch außer¬
ordentlich häusig ein. Natürlich ist die Häufigkeit von Schiffszusammen-
stvßen abhängig von der Zahl der Schiffe, die sich gleichzeitig auf der Flächen¬
einheit eines Meeresteils befinden. Thatsächlich finden anch am häufigsten
Unfälle in folgenden stark befcchrnen Gewässern statt: im englischen Kanal, ein¬
schließlich der Themsemündung; im südlichen Teile der Nordsee, besonders
zwischen Helgoland und der Elbe- und Wesermiindnng; in den Gewässern von
Newyork; in der irischen See und dem Bristolkcmnl; im Roten Meere.

Die nachfolgende Darstellung bezweckt, dem Laien ein klares Bild davon
zu geben, inwieweit bis jetzt Vorsorge zur Verhütung von Zusammenstößen
zur See getroffen ist, und welche Punkte noch einer befriedigenden Lösung
harren. Gewöhnt sich der Deutsche darein, ein größeres sachliches Interesse
für die Seefahrtsangelegenheiten zu bethätigen, so wird er imstande sein, durch
sein Urteil manche der noch bestehenden Mängel mitbeseitigen zu helfen. Deutsch¬
land, das die zweitgrößte Seehaudelsflotte der Welt besitzt — also nur noch
von England übertroffen wird —, hat in seinem Reichstage nur drei nautische
Sachverständige! Diese Thatsache spricht wohl genügend für die Notwendig¬
keit, der Nautik größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Denn daß auch in see¬
männischen Angelegenheiten manche Frage zu schnellerer und für die Sache
selbst günstigern Lösung zu bringen wäre, wenn sich die öffentliche" Meinung
— im besten Sinne verstanden —, das allseitige Interesse der gebildeten Kreise
damit beschäftigte und einen gewissen Druck gegen etwaige Sonderinteresfen
ausübte, davon wird wohl heutzutage nach Beispielen auf andern Gebieten jeder¬
mann überzeugt sein.

Wenn der Laie einmal das Verständnis für die Übelstände erlangt hat,
so wird sich ihm zunächst die Frage aufdrängen: Was ist denn bisher von den
Fachleuten zur Sicherung des Seeverkehrs vorgeschlagen, versucht und durch¬
gesetzt worden?

Mit einigen unwesentlichen Umänderungen sind noch heute die im Jahre
1863 international vereinbarten „Verordnungen zur Verhütung des Zusammen¬
stoßes der Schiffe auf See" bei allen seefahrenden Nationen in rechtsgiltigem
Gebrauch. Für den damaligen geringen und langsamen Dampferverkehr
genügten diese Vorschriften ganz gut. Dennoch erhoben sich schon bald
nach ihrer Einführung gewichtige Stimmen gegen einzelne Lücken und Fehler.
Namentlich der auf dem Gebiete des Signalwesens sehr bewanderte Admiral
Colomb machte wiederholt in besondern Schriften sehr energisch auf die viel-


Grenzbole» l 1892 72
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/577>, abgerufen am 23.07.2024.