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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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lediglich Sache der Auslegung sein, wobei der Sprachgebrauch des (Gebers ius
Gewicht fallen könnte.

Wir bemerken hierzu, daß die betreffende Nachricht über die angebliche
Entscheidung des Reichsgerichts Ende Januar oder Anfang Februar fast durch die.
gesamte Tagespresse gegangen ist, und zwar i" zweierlei Fassung, in einer allge¬
meinen, ohne nähere Angabe des Falles, und in einer besondern, die den Fall
auf den Eintritt der Eidesmündigkeit zuspitzte. Die zweite Fassung ist uns leider
erst zu Gesicht gekommen, als unsre Notiz "Der große Logiker" schon gedruckt
war. Aus der eben mitgeteilten Aufklärung ergiebt sich, daß die Worte, aus
denen die Zeitungen eine Entscheidung des Reichsgerichts herausgelesen haben, an der
betreffenden Stelle der Reichsgerichtsenlscheidung ein unnötiger Zusatz und für die
Entscheidung der Rechtsfrage selbst ohne Belang wäre". Immerhin weicht das
Reichsgerichtserkenntnis in diesen Worten von dem natürlichen Sprachgebrauch
des Volkes ab. Der Tag der Geburt wird uicht gefeiert; gefeiert werden immer
nur die Geburtstage. Seinen ersten Geburtstag feiert man also, nachdem mau
das erste Lebensjahr zurückgelegt hat.

Beiläufig: Seit wann sind eigentlich liberal! in unsrer Rechtssprache die schöne"
Wörter beeidige", Beeidigung, uubeeidigt u.s,w.eingeführt worden? In Sachsen
wurde man früher vereidigt, wie man noch heutigestags verpflichtet wird,
aber uicht bepflichtet. Beeidigen kann für den, der noch eine Spur von
Sprachgefühl hat, nichts anderes bedeuten, als durch einen Eid bekräftigen,
beschwören. Es ist ein Jammer, wie durch solche verkehrte Anwendungen das
Sprachgefühl in Verwirrung gebracht wird.




Litteratur
Das Licht der Welt. Uraltes in neuer Gestalt. Von Johannes. Leipzig, Th. Grieben, >.89l

Der Verfasser dieses Buches hat sich das Hauptergebnis der Bibelkritik eines
tiefsinnigen, geistvollen und unermüdlichen, aber wenig beachteten Forschers, des
vo. Hugo Delff, angeeignet, nach dem nur das Johannisevangelium, dieses aber
ganz gewiß, von einem unmittelbaren Schüler Jesu stammen soll. Der heutige
Johannes nnn, der seinen wirklichen Namen nicht verraten mag, verfolgt mit seinem
Büchlein einen doppelten Zweck. Erstens will er eine Evangelienharmonie liefern,
eine biblische Geschichte, die die Form der Abteilung in Kapitel und Verse bei¬
behält, aber die zusammengehörigen Bestandteile der vier Evangelien besser als die
gewöhnlichen Bücher dieser Art zu eiueiu wohlzusammenhängenden fließenden Ganzen
verbindet. Sodann aber will er durch saubre Ausscheidung aller vermeintlich spätern
Zuthat, zu der er namentlich die Wundergeschichten rechnet, ein getreues Bild Jesu und
seine reine Lehre herstellen und dadurch dem wiedererwachten Glaubeusbedürfnis
der Gebildeten entgegenkommen. Die erste Aufgabe hat er vorzüglich gelöst;
litterarisch betrachtet steht sein Werk entschieden über dem der vier Evangelisten,
es liest sich sehr gut und wird allen solchen willkommen sein, die gern im Neuen
Testament Erbauung suchen, denen aber an den Wundergeschichten nichts liegt und


lediglich Sache der Auslegung sein, wobei der Sprachgebrauch des (Gebers ius
Gewicht fallen könnte.

Wir bemerken hierzu, daß die betreffende Nachricht über die angebliche
Entscheidung des Reichsgerichts Ende Januar oder Anfang Februar fast durch die.
gesamte Tagespresse gegangen ist, und zwar i» zweierlei Fassung, in einer allge¬
meinen, ohne nähere Angabe des Falles, und in einer besondern, die den Fall
auf den Eintritt der Eidesmündigkeit zuspitzte. Die zweite Fassung ist uns leider
erst zu Gesicht gekommen, als unsre Notiz „Der große Logiker" schon gedruckt
war. Aus der eben mitgeteilten Aufklärung ergiebt sich, daß die Worte, aus
denen die Zeitungen eine Entscheidung des Reichsgerichts herausgelesen haben, an der
betreffenden Stelle der Reichsgerichtsenlscheidung ein unnötiger Zusatz und für die
Entscheidung der Rechtsfrage selbst ohne Belang wäre». Immerhin weicht das
Reichsgerichtserkenntnis in diesen Worten von dem natürlichen Sprachgebrauch
des Volkes ab. Der Tag der Geburt wird uicht gefeiert; gefeiert werden immer
nur die Geburtstage. Seinen ersten Geburtstag feiert man also, nachdem mau
das erste Lebensjahr zurückgelegt hat.

Beiläufig: Seit wann sind eigentlich liberal! in unsrer Rechtssprache die schöne»
Wörter beeidige«, Beeidigung, uubeeidigt u.s,w.eingeführt worden? In Sachsen
wurde man früher vereidigt, wie man noch heutigestags verpflichtet wird,
aber uicht bepflichtet. Beeidigen kann für den, der noch eine Spur von
Sprachgefühl hat, nichts anderes bedeuten, als durch einen Eid bekräftigen,
beschwören. Es ist ein Jammer, wie durch solche verkehrte Anwendungen das
Sprachgefühl in Verwirrung gebracht wird.




Litteratur
Das Licht der Welt. Uraltes in neuer Gestalt. Von Johannes. Leipzig, Th. Grieben, >.89l

Der Verfasser dieses Buches hat sich das Hauptergebnis der Bibelkritik eines
tiefsinnigen, geistvollen und unermüdlichen, aber wenig beachteten Forschers, des
vo. Hugo Delff, angeeignet, nach dem nur das Johannisevangelium, dieses aber
ganz gewiß, von einem unmittelbaren Schüler Jesu stammen soll. Der heutige
Johannes nnn, der seinen wirklichen Namen nicht verraten mag, verfolgt mit seinem
Büchlein einen doppelten Zweck. Erstens will er eine Evangelienharmonie liefern,
eine biblische Geschichte, die die Form der Abteilung in Kapitel und Verse bei¬
behält, aber die zusammengehörigen Bestandteile der vier Evangelien besser als die
gewöhnlichen Bücher dieser Art zu eiueiu wohlzusammenhängenden fließenden Ganzen
verbindet. Sodann aber will er durch saubre Ausscheidung aller vermeintlich spätern
Zuthat, zu der er namentlich die Wundergeschichten rechnet, ein getreues Bild Jesu und
seine reine Lehre herstellen und dadurch dem wiedererwachten Glaubeusbedürfnis
der Gebildeten entgegenkommen. Die erste Aufgabe hat er vorzüglich gelöst;
litterarisch betrachtet steht sein Werk entschieden über dem der vier Evangelisten,
es liest sich sehr gut und wird allen solchen willkommen sein, die gern im Neuen
Testament Erbauung suchen, denen aber an den Wundergeschichten nichts liegt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/565>, abgerufen am 23.07.2024.