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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Rirche

schaft und prunkte" mit den Kunstausdrücken derselben. In den Gerichtsakten
ward frevelhafter Scherz mit dem Entsetzlichen getrieben."

Eine Anmerkung enthält Beispiele. Henker, die sich auf die Kunst ver¬
standen, ihre Opfer monatelang zu peinigen, ohne ihnen das Lebenslicht aus-
ublnsen, wurden überall gegen hohe Besoldung gesucht, denn ein vorzeitiger
Tod des Gemarterten kürzte diesem Geschlecht, dem fröhlicher Sang und Klang,
Tanz und Spiel und Freude am Schonen als Sünde erschienen, einen hohen
Genuß. "Wenn auch das Todesurteil schon gefällt war, machte es den Richtern
noch Genuß, oft uur ein paar Tage vorher noch eine Folterung vornehmen
zu lassen, so daß die Verbrecher meist zum voraus zerknickt und zerbrochen
auf dem Richtplatz ankamen. Dieses grausame Spiel, das die Justiz mit dem
menschlichen Leibe treiben durfte, rächte sich furchtbar an den Völkern, als in
den Kriege", die die kirchlichen Leidenschafte" und Interessen entzünden halfen,
Soldaten die Rolle der Henker gegen wehrlose Schlachtopfer übernahmen, und
die Kunst der Qualen zur Befriedigung der Raubsucht und Wollust, im Wett¬
eifer mit den Dienern der Gerechtigkeit übten." Selbstverständlich spielte schon
bei den letztern, also in der Strafjustiz, die Wollust in ihrer niederträchtigsten,
nicht viehischen, sondern teuflischen Gestalt eine hervorragende Rolle, wie die
beliebten schamlosen Verstümmelungen von Männern und die an laufenden
und abertausenden von unschuldigen Mädchen vorgenommenen unsagbaren Pro¬
zeduren beweisen, die eine verdorbene katholische Pfaffenphantasie erfunden hatte,
und die nun von sittenstrengen protestantischen Richtern und Stadtväteru ge¬
übt wurde". Auch kam es öfter vor, daß ein solches Wesen, wenn es mit
zerbrochenen Gliedern und über und über mit Schnitt- und Brandwunden
bedeckt dalag, auch uoch vom Henker geschändet wurde; "vom Teufel in des
Henkers Gestalt," wie die blödsinnige Heuchelei, freilich in einem gewissen
Sinne ganz richtig, in den Akten zu verzeichnen pflegte. Gräßliche Rache der
Natur an einem Geschlecht, das die Abbildung einer schönen nackten Menschen¬
gestalt oder einen anmutigen Tanz, in dem die Schönheit der Jugend zum
Ausdruck gelangt, als heidnischen Greuel verurteilt haben würde!

Und wären es uur, außer den Hexen, lediglich wirkliche Verbrecher ge¬
wesen, an denen diese sogenannte Justiz verübt wurde! Noch schrecklichere
Wirkungen, als an den Höfen der Fürsten, -- schreibt Menzel (a. a. O. S. 108)
nach Erzählung des Crellschen Prozesses -- äußerte die theologische Barbarei
des Zeitalters in den Parteiungen des Stadtregiments. Er erzählt nun die
Leidensgeschichte des Henning Brabant. Unter der Führung dieses gebildete,:
und tüchtigen Mannes stürzte im Jahre 1601 die Bürgerpartei in Braun-
schweig den patrizischen Rat und richtete eine demokratische Verfassung ein.
Die lutherische Geistlichkeit, die mit den Patriziern in Spannung lebte, hatte
die Verfassungsändrung begünstigt, zerfiel aber bald auch mit den Bürger-
hauptleuteu. Da sich auch die Volksgunst von Brabant, der zum Demagogen


Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Rirche

schaft und prunkte» mit den Kunstausdrücken derselben. In den Gerichtsakten
ward frevelhafter Scherz mit dem Entsetzlichen getrieben."

Eine Anmerkung enthält Beispiele. Henker, die sich auf die Kunst ver¬
standen, ihre Opfer monatelang zu peinigen, ohne ihnen das Lebenslicht aus-
ublnsen, wurden überall gegen hohe Besoldung gesucht, denn ein vorzeitiger
Tod des Gemarterten kürzte diesem Geschlecht, dem fröhlicher Sang und Klang,
Tanz und Spiel und Freude am Schonen als Sünde erschienen, einen hohen
Genuß. „Wenn auch das Todesurteil schon gefällt war, machte es den Richtern
noch Genuß, oft uur ein paar Tage vorher noch eine Folterung vornehmen
zu lassen, so daß die Verbrecher meist zum voraus zerknickt und zerbrochen
auf dem Richtplatz ankamen. Dieses grausame Spiel, das die Justiz mit dem
menschlichen Leibe treiben durfte, rächte sich furchtbar an den Völkern, als in
den Kriege», die die kirchlichen Leidenschafte» und Interessen entzünden halfen,
Soldaten die Rolle der Henker gegen wehrlose Schlachtopfer übernahmen, und
die Kunst der Qualen zur Befriedigung der Raubsucht und Wollust, im Wett¬
eifer mit den Dienern der Gerechtigkeit übten." Selbstverständlich spielte schon
bei den letztern, also in der Strafjustiz, die Wollust in ihrer niederträchtigsten,
nicht viehischen, sondern teuflischen Gestalt eine hervorragende Rolle, wie die
beliebten schamlosen Verstümmelungen von Männern und die an laufenden
und abertausenden von unschuldigen Mädchen vorgenommenen unsagbaren Pro¬
zeduren beweisen, die eine verdorbene katholische Pfaffenphantasie erfunden hatte,
und die nun von sittenstrengen protestantischen Richtern und Stadtväteru ge¬
übt wurde«. Auch kam es öfter vor, daß ein solches Wesen, wenn es mit
zerbrochenen Gliedern und über und über mit Schnitt- und Brandwunden
bedeckt dalag, auch uoch vom Henker geschändet wurde; „vom Teufel in des
Henkers Gestalt," wie die blödsinnige Heuchelei, freilich in einem gewissen
Sinne ganz richtig, in den Akten zu verzeichnen pflegte. Gräßliche Rache der
Natur an einem Geschlecht, das die Abbildung einer schönen nackten Menschen¬
gestalt oder einen anmutigen Tanz, in dem die Schönheit der Jugend zum
Ausdruck gelangt, als heidnischen Greuel verurteilt haben würde!

Und wären es uur, außer den Hexen, lediglich wirkliche Verbrecher ge¬
wesen, an denen diese sogenannte Justiz verübt wurde! Noch schrecklichere
Wirkungen, als an den Höfen der Fürsten, — schreibt Menzel (a. a. O. S. 108)
nach Erzählung des Crellschen Prozesses — äußerte die theologische Barbarei
des Zeitalters in den Parteiungen des Stadtregiments. Er erzählt nun die
Leidensgeschichte des Henning Brabant. Unter der Führung dieses gebildete,:
und tüchtigen Mannes stürzte im Jahre 1601 die Bürgerpartei in Braun-
schweig den patrizischen Rat und richtete eine demokratische Verfassung ein.
Die lutherische Geistlichkeit, die mit den Patriziern in Spannung lebte, hatte
die Verfassungsändrung begünstigt, zerfiel aber bald auch mit den Bürger-
hauptleuteu. Da sich auch die Volksgunst von Brabant, der zum Demagogen


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[0493] Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Rirche schaft und prunkte» mit den Kunstausdrücken derselben. In den Gerichtsakten ward frevelhafter Scherz mit dem Entsetzlichen getrieben." Eine Anmerkung enthält Beispiele. Henker, die sich auf die Kunst ver¬ standen, ihre Opfer monatelang zu peinigen, ohne ihnen das Lebenslicht aus- ublnsen, wurden überall gegen hohe Besoldung gesucht, denn ein vorzeitiger Tod des Gemarterten kürzte diesem Geschlecht, dem fröhlicher Sang und Klang, Tanz und Spiel und Freude am Schonen als Sünde erschienen, einen hohen Genuß. „Wenn auch das Todesurteil schon gefällt war, machte es den Richtern noch Genuß, oft uur ein paar Tage vorher noch eine Folterung vornehmen zu lassen, so daß die Verbrecher meist zum voraus zerknickt und zerbrochen auf dem Richtplatz ankamen. Dieses grausame Spiel, das die Justiz mit dem menschlichen Leibe treiben durfte, rächte sich furchtbar an den Völkern, als in den Kriege», die die kirchlichen Leidenschafte» und Interessen entzünden halfen, Soldaten die Rolle der Henker gegen wehrlose Schlachtopfer übernahmen, und die Kunst der Qualen zur Befriedigung der Raubsucht und Wollust, im Wett¬ eifer mit den Dienern der Gerechtigkeit übten." Selbstverständlich spielte schon bei den letztern, also in der Strafjustiz, die Wollust in ihrer niederträchtigsten, nicht viehischen, sondern teuflischen Gestalt eine hervorragende Rolle, wie die beliebten schamlosen Verstümmelungen von Männern und die an laufenden und abertausenden von unschuldigen Mädchen vorgenommenen unsagbaren Pro¬ zeduren beweisen, die eine verdorbene katholische Pfaffenphantasie erfunden hatte, und die nun von sittenstrengen protestantischen Richtern und Stadtväteru ge¬ übt wurde«. Auch kam es öfter vor, daß ein solches Wesen, wenn es mit zerbrochenen Gliedern und über und über mit Schnitt- und Brandwunden bedeckt dalag, auch uoch vom Henker geschändet wurde; „vom Teufel in des Henkers Gestalt," wie die blödsinnige Heuchelei, freilich in einem gewissen Sinne ganz richtig, in den Akten zu verzeichnen pflegte. Gräßliche Rache der Natur an einem Geschlecht, das die Abbildung einer schönen nackten Menschen¬ gestalt oder einen anmutigen Tanz, in dem die Schönheit der Jugend zum Ausdruck gelangt, als heidnischen Greuel verurteilt haben würde! Und wären es uur, außer den Hexen, lediglich wirkliche Verbrecher ge¬ wesen, an denen diese sogenannte Justiz verübt wurde! Noch schrecklichere Wirkungen, als an den Höfen der Fürsten, — schreibt Menzel (a. a. O. S. 108) nach Erzählung des Crellschen Prozesses — äußerte die theologische Barbarei des Zeitalters in den Parteiungen des Stadtregiments. Er erzählt nun die Leidensgeschichte des Henning Brabant. Unter der Führung dieses gebildete,: und tüchtigen Mannes stürzte im Jahre 1601 die Bürgerpartei in Braun- schweig den patrizischen Rat und richtete eine demokratische Verfassung ein. Die lutherische Geistlichkeit, die mit den Patriziern in Spannung lebte, hatte die Verfassungsändrung begünstigt, zerfiel aber bald auch mit den Bürger- hauptleuteu. Da sich auch die Volksgunst von Brabant, der zum Demagogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/493>, abgerufen am 23.07.2024.