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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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böte" entschieden unterstützt, enthält nur die offne Aussprache dessen, was
auch sonst vielfach gedacht und in kleinem Kreise ausgesprochen wird.
Man mißtraut in den Kreisen der Richter und der Staatsanwälte mit
vollem Rechte dem Geschwornengerichte. Aber anstatt laut die Gesetzgebung
zu Hilfe zu rufen, sucht man der materiellen Wahrheit durch allerhand kleine,
mit dem Gesetze kaum oder gar nicht in Einklang zu bringende Mittelchen
zum Siege zu verhelfen. Man klagt die, die des wissentlichen Meineids hin¬
reichend verdächtig find, wegen fahrlässigen Falscheids, vorsatzliche Brand¬
stifter wegen fahrlässiger Brandstiftung, der Rotznase verdächtige Personen
wegen thätlicher Beleidigung einer Frauensperson an, und man thut dies in
der Absicht, diese Fälle den unsichern Schicksalen einer Schwurgerichtsverhaud-
lung zu entziehen und sie glücklich in dem sichern Hafen eines Straf¬
kammerurteils zu bergen. Und ebenso unternimmt es der Vorsitzende des
Schwurgerichts nur zu oft, in dem besten Glauben und in der ehrlichen Mei¬
nung, damit der Gerechtigkeit zu dienen, den Geschwornen, dem Gesetze zu¬
wider, mehr oder weniger verhüllt seine Meinung über das Ergebnis der
Beweisaufnahme zu sagen.

Als Rechtfertigung dieses Verfahrens wird dann stets das angeführt,
was auch der Aufsatz der "Post" dafür vorbringt, daß nämlich eine Reform
der Strafgerichtsverfasfung noch in weitem Felde, vielleicht sogar nicht ein¬
mal durchzusetzen sei, und daß es daher jedenfalls zur Zeit gelte, den Übeln
Folgen einer verfehlten Gesetzgebung, wenn auch durch uicht ganz unzweifel¬
hafte Mittel, nach Möglichkeit vorzubeugen.

Es ist in hohem Grade bedauerlich, daß derartige Anschauungen dazu
nötigen, den Satz, den man in einem geordneten Staatswesen und bei einer
gesunden öffentlichen Meinung als einen Gemeinplatz auszusprechen sich eigent¬
lich scheuen müßte, noch besonders zu betonen, daß der Richter die Gesetze
anzuwenden habe, und daß es nicht seine Sache sei, die bestehenden Gesetze,
sie mögen nun gut oder schlecht sein, durch Ungesetzlichkeiten zu korrigiren.

Wer den Boden der strengen Anwendung der Gesetze verläßt, und sei es
auch nur in einer ihm unwesentlich erscheinenden Formvorschrift, der gleitet
aus und setzt seine subjektive Meinung an die Stelle objektiver, auf verfassungs¬
mäßigen Wege zu stunde gekommener Rechtsnormen, er begeht einen Staats¬
streich im Kleinen.

Aber -- was die Sache in dem von dem Aufsatz der.,Post" gebilligten
Falle noch bedenklicher macht, das ist, daß es sich in diesem Falle nicht um
eine bedeutungslose Formvorschrift, sondern um eine sehr materielle Vorschrift,
um eine wichtige Anwendung des der Strafgerichtsverfassuug zu Grunde
liegenden Prinzips der Nichteinmischung der Richter in die von den Ge¬
schwornen vorzunehmende Beurteilung der Thatfrage handelt. In diesem
wichtigen Punkte die Schwurgerichtsvorsitzenden ,.gewähren zu lassen," wie es


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böte" entschieden unterstützt, enthält nur die offne Aussprache dessen, was
auch sonst vielfach gedacht und in kleinem Kreise ausgesprochen wird.
Man mißtraut in den Kreisen der Richter und der Staatsanwälte mit
vollem Rechte dem Geschwornengerichte. Aber anstatt laut die Gesetzgebung
zu Hilfe zu rufen, sucht man der materiellen Wahrheit durch allerhand kleine,
mit dem Gesetze kaum oder gar nicht in Einklang zu bringende Mittelchen
zum Siege zu verhelfen. Man klagt die, die des wissentlichen Meineids hin¬
reichend verdächtig find, wegen fahrlässigen Falscheids, vorsatzliche Brand¬
stifter wegen fahrlässiger Brandstiftung, der Rotznase verdächtige Personen
wegen thätlicher Beleidigung einer Frauensperson an, und man thut dies in
der Absicht, diese Fälle den unsichern Schicksalen einer Schwurgerichtsverhaud-
lung zu entziehen und sie glücklich in dem sichern Hafen eines Straf¬
kammerurteils zu bergen. Und ebenso unternimmt es der Vorsitzende des
Schwurgerichts nur zu oft, in dem besten Glauben und in der ehrlichen Mei¬
nung, damit der Gerechtigkeit zu dienen, den Geschwornen, dem Gesetze zu¬
wider, mehr oder weniger verhüllt seine Meinung über das Ergebnis der
Beweisaufnahme zu sagen.

Als Rechtfertigung dieses Verfahrens wird dann stets das angeführt,
was auch der Aufsatz der „Post" dafür vorbringt, daß nämlich eine Reform
der Strafgerichtsverfasfung noch in weitem Felde, vielleicht sogar nicht ein¬
mal durchzusetzen sei, und daß es daher jedenfalls zur Zeit gelte, den Übeln
Folgen einer verfehlten Gesetzgebung, wenn auch durch uicht ganz unzweifel¬
hafte Mittel, nach Möglichkeit vorzubeugen.

Es ist in hohem Grade bedauerlich, daß derartige Anschauungen dazu
nötigen, den Satz, den man in einem geordneten Staatswesen und bei einer
gesunden öffentlichen Meinung als einen Gemeinplatz auszusprechen sich eigent¬
lich scheuen müßte, noch besonders zu betonen, daß der Richter die Gesetze
anzuwenden habe, und daß es nicht seine Sache sei, die bestehenden Gesetze,
sie mögen nun gut oder schlecht sein, durch Ungesetzlichkeiten zu korrigiren.

Wer den Boden der strengen Anwendung der Gesetze verläßt, und sei es
auch nur in einer ihm unwesentlich erscheinenden Formvorschrift, der gleitet
aus und setzt seine subjektive Meinung an die Stelle objektiver, auf verfassungs¬
mäßigen Wege zu stunde gekommener Rechtsnormen, er begeht einen Staats¬
streich im Kleinen.

Aber — was die Sache in dem von dem Aufsatz der.,Post" gebilligten
Falle noch bedenklicher macht, das ist, daß es sich in diesem Falle nicht um
eine bedeutungslose Formvorschrift, sondern um eine sehr materielle Vorschrift,
um eine wichtige Anwendung des der Strafgerichtsverfassuug zu Grunde
liegenden Prinzips der Nichteinmischung der Richter in die von den Ge¬
schwornen vorzunehmende Beurteilung der Thatfrage handelt. In diesem
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[0482] ^nstitik! böte" entschieden unterstützt, enthält nur die offne Aussprache dessen, was auch sonst vielfach gedacht und in kleinem Kreise ausgesprochen wird. Man mißtraut in den Kreisen der Richter und der Staatsanwälte mit vollem Rechte dem Geschwornengerichte. Aber anstatt laut die Gesetzgebung zu Hilfe zu rufen, sucht man der materiellen Wahrheit durch allerhand kleine, mit dem Gesetze kaum oder gar nicht in Einklang zu bringende Mittelchen zum Siege zu verhelfen. Man klagt die, die des wissentlichen Meineids hin¬ reichend verdächtig find, wegen fahrlässigen Falscheids, vorsatzliche Brand¬ stifter wegen fahrlässiger Brandstiftung, der Rotznase verdächtige Personen wegen thätlicher Beleidigung einer Frauensperson an, und man thut dies in der Absicht, diese Fälle den unsichern Schicksalen einer Schwurgerichtsverhaud- lung zu entziehen und sie glücklich in dem sichern Hafen eines Straf¬ kammerurteils zu bergen. Und ebenso unternimmt es der Vorsitzende des Schwurgerichts nur zu oft, in dem besten Glauben und in der ehrlichen Mei¬ nung, damit der Gerechtigkeit zu dienen, den Geschwornen, dem Gesetze zu¬ wider, mehr oder weniger verhüllt seine Meinung über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu sagen. Als Rechtfertigung dieses Verfahrens wird dann stets das angeführt, was auch der Aufsatz der „Post" dafür vorbringt, daß nämlich eine Reform der Strafgerichtsverfasfung noch in weitem Felde, vielleicht sogar nicht ein¬ mal durchzusetzen sei, und daß es daher jedenfalls zur Zeit gelte, den Übeln Folgen einer verfehlten Gesetzgebung, wenn auch durch uicht ganz unzweifel¬ hafte Mittel, nach Möglichkeit vorzubeugen. Es ist in hohem Grade bedauerlich, daß derartige Anschauungen dazu nötigen, den Satz, den man in einem geordneten Staatswesen und bei einer gesunden öffentlichen Meinung als einen Gemeinplatz auszusprechen sich eigent¬ lich scheuen müßte, noch besonders zu betonen, daß der Richter die Gesetze anzuwenden habe, und daß es nicht seine Sache sei, die bestehenden Gesetze, sie mögen nun gut oder schlecht sein, durch Ungesetzlichkeiten zu korrigiren. Wer den Boden der strengen Anwendung der Gesetze verläßt, und sei es auch nur in einer ihm unwesentlich erscheinenden Formvorschrift, der gleitet aus und setzt seine subjektive Meinung an die Stelle objektiver, auf verfassungs¬ mäßigen Wege zu stunde gekommener Rechtsnormen, er begeht einen Staats¬ streich im Kleinen. Aber — was die Sache in dem von dem Aufsatz der.,Post" gebilligten Falle noch bedenklicher macht, das ist, daß es sich in diesem Falle nicht um eine bedeutungslose Formvorschrift, sondern um eine sehr materielle Vorschrift, um eine wichtige Anwendung des der Strafgerichtsverfassuug zu Grunde liegenden Prinzips der Nichteinmischung der Richter in die von den Ge¬ schwornen vorzunehmende Beurteilung der Thatfrage handelt. In diesem wichtigen Punkte die Schwurgerichtsvorsitzenden ,.gewähren zu lassen," wie es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/482>, abgerufen am 26.06.2024.