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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Lateinische Volksetymologie und verwandtes

Mit den fremde" Göttern kamen mich viele Kultnamen nach Rom und
mußten sich den umgestaltenden Einflüssen der Volksetymologie unterwerfen.
Zu den gewaltsamsten Entstellungen gehört es, wenn aus den griechischen Korb¬
trägerinnen, K"nsplwrol, im Lateinischen Hnndeträgerinnen, vaniksr"e wurden.
Die Volksetymologie ist eben gegen eine" verkehrte" Sinn ganz gleichgiltig,
wenn das Wort nur überhaupt einen Sinn erhält. So wurde auch aus dem
arabischen Im,in.g,ist., Anhängsel, im Lateinischen mit Anschluß an -imollri, ab¬
wenden, abwehren ein Talisman, iunolswm, unser Amulet.

Eine große Anzahl rätselhafter Wörter hat das Lateinische für Tiere,
Pflanzen und Mineralien, für Krankheiten, für Speisen und Getränke und für
zahlreiche Ausdrücke des Gewerbes und der Landwirtschaft, des Handels, der
Wissenschaft und der Künste. Auf allen diesen Gebieten waren ja die Römer
Schüler der Fremden, vor allen der Griechen. Und da die Griechen selbst
schon vorher von den Phöniziern, Ägyptern und andern Völkern gelernt hatten,
so haben viele Wörter das Schicksal gehabt, daß sie erst dnrch griechische Volks¬
etymologie entstellt und neugestaltet wurden, ehe sie zu den Römern kamen.
So ist ein skythisches Wort bei den Griechen zu geworden, als wäre
Butter Nindkäse, und aus dem Griechischen haben die Römer ihr dut^inen
und ans dem Lateinischen wir Deutschen unser Butter.

Keller weist auch in der griechische" Sprache zahlreiche Lehnwörter "ach,
Wörter der semitische" Sprachen, des Persischen, Indischen und Ägyptischen,
und noch ausführlicher werden im zweiten Teile des Buchs viele der wich¬
tigsten Lehnwörter behandelt, wie ^mMtism, uecktiir, I^Aas, Nunyollia, vvrrkg,-
otium, NerMes, ZlslesKro", ?örsvxkone, vamMus, stilns -- "ri^ox, virwm --
"ivvL, balusum -- //"^"vewv, voolss -- /Ax/i.cD</^ s"ora und andre. Man
steht schon aus dieser Zusainlnenstellung, daß Keller auch einige alte Streit¬
fragen wieder aufgerührt hat. Er widerspricht entschieden der Ableitung des
Wortes Satire, Saturn, aus dem Lateinischen, und ebenso entschieden behauptet
er, MIu8 sei ein griechisches Lehnwort ans </r5^c,-. Man wird auch hier
nicht überall Kellers Ansichten und Ausführungen billige" können, doch würde
es zu weit führen, noch "lehr Einzelheiten zu besprechen; um einen etymo¬
logische" Irrtum zu widerlegen, bedarf es gewöhnlich desselben Raums wie
zu seiner Behauptung. Und Keller selbst gesteht in der Vorrede offen zu-
"Mathematisch beweisen läßt sich in der Etymologie überhaupt nichts, am
allerwenigsten aber bei der Volksetymologie; denn gerade das Überspringen
der Regeln, deren Beobachtung sonst als überzeugungstrüftig angesehn wird,
ist eine Haupteigentümlichkeit der Volksetymologie. Es wird uns daher auch
genügen, wenn der Leser unter den tausenden von Bemerkungen wenigstens
einem bedeutenden Bruchteil seinen Beifall zollt und sie als sehr wahrscheinlich
anerkennt."




Grenzboten I 189287
Lateinische Volksetymologie und verwandtes

Mit den fremde» Göttern kamen mich viele Kultnamen nach Rom und
mußten sich den umgestaltenden Einflüssen der Volksetymologie unterwerfen.
Zu den gewaltsamsten Entstellungen gehört es, wenn aus den griechischen Korb¬
trägerinnen, K»nsplwrol, im Lateinischen Hnndeträgerinnen, vaniksr»e wurden.
Die Volksetymologie ist eben gegen eine» verkehrte» Sinn ganz gleichgiltig,
wenn das Wort nur überhaupt einen Sinn erhält. So wurde auch aus dem
arabischen Im,in.g,ist., Anhängsel, im Lateinischen mit Anschluß an -imollri, ab¬
wenden, abwehren ein Talisman, iunolswm, unser Amulet.

Eine große Anzahl rätselhafter Wörter hat das Lateinische für Tiere,
Pflanzen und Mineralien, für Krankheiten, für Speisen und Getränke und für
zahlreiche Ausdrücke des Gewerbes und der Landwirtschaft, des Handels, der
Wissenschaft und der Künste. Auf allen diesen Gebieten waren ja die Römer
Schüler der Fremden, vor allen der Griechen. Und da die Griechen selbst
schon vorher von den Phöniziern, Ägyptern und andern Völkern gelernt hatten,
so haben viele Wörter das Schicksal gehabt, daß sie erst dnrch griechische Volks¬
etymologie entstellt und neugestaltet wurden, ehe sie zu den Römern kamen.
So ist ein skythisches Wort bei den Griechen zu geworden, als wäre
Butter Nindkäse, und aus dem Griechischen haben die Römer ihr dut^inen
und ans dem Lateinischen wir Deutschen unser Butter.

Keller weist auch in der griechische» Sprache zahlreiche Lehnwörter »ach,
Wörter der semitische» Sprachen, des Persischen, Indischen und Ägyptischen,
und noch ausführlicher werden im zweiten Teile des Buchs viele der wich¬
tigsten Lehnwörter behandelt, wie ^mMtism, uecktiir, I^Aas, Nunyollia, vvrrkg,-
otium, NerMes, ZlslesKro«, ?örsvxkone, vamMus, stilns — »ri^ox, virwm —
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steht schon aus dieser Zusainlnenstellung, daß Keller auch einige alte Streit¬
fragen wieder aufgerührt hat. Er widerspricht entschieden der Ableitung des
Wortes Satire, Saturn, aus dem Lateinischen, und ebenso entschieden behauptet
er, MIu8 sei ein griechisches Lehnwort ans </r5^c,-. Man wird auch hier
nicht überall Kellers Ansichten und Ausführungen billige» können, doch würde
es zu weit führen, noch »lehr Einzelheiten zu besprechen; um einen etymo¬
logische» Irrtum zu widerlegen, bedarf es gewöhnlich desselben Raums wie
zu seiner Behauptung. Und Keller selbst gesteht in der Vorrede offen zu-
„Mathematisch beweisen läßt sich in der Etymologie überhaupt nichts, am
allerwenigsten aber bei der Volksetymologie; denn gerade das Überspringen
der Regeln, deren Beobachtung sonst als überzeugungstrüftig angesehn wird,
ist eine Haupteigentümlichkeit der Volksetymologie. Es wird uns daher auch
genügen, wenn der Leser unter den tausenden von Bemerkungen wenigstens
einem bedeutenden Bruchteil seinen Beifall zollt und sie als sehr wahrscheinlich
anerkennt."




Grenzboten I 189287
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[0457] Lateinische Volksetymologie und verwandtes Mit den fremde» Göttern kamen mich viele Kultnamen nach Rom und mußten sich den umgestaltenden Einflüssen der Volksetymologie unterwerfen. Zu den gewaltsamsten Entstellungen gehört es, wenn aus den griechischen Korb¬ trägerinnen, K»nsplwrol, im Lateinischen Hnndeträgerinnen, vaniksr»e wurden. Die Volksetymologie ist eben gegen eine» verkehrte» Sinn ganz gleichgiltig, wenn das Wort nur überhaupt einen Sinn erhält. So wurde auch aus dem arabischen Im,in.g,ist., Anhängsel, im Lateinischen mit Anschluß an -imollri, ab¬ wenden, abwehren ein Talisman, iunolswm, unser Amulet. Eine große Anzahl rätselhafter Wörter hat das Lateinische für Tiere, Pflanzen und Mineralien, für Krankheiten, für Speisen und Getränke und für zahlreiche Ausdrücke des Gewerbes und der Landwirtschaft, des Handels, der Wissenschaft und der Künste. Auf allen diesen Gebieten waren ja die Römer Schüler der Fremden, vor allen der Griechen. Und da die Griechen selbst schon vorher von den Phöniziern, Ägyptern und andern Völkern gelernt hatten, so haben viele Wörter das Schicksal gehabt, daß sie erst dnrch griechische Volks¬ etymologie entstellt und neugestaltet wurden, ehe sie zu den Römern kamen. So ist ein skythisches Wort bei den Griechen zu geworden, als wäre Butter Nindkäse, und aus dem Griechischen haben die Römer ihr dut^inen und ans dem Lateinischen wir Deutschen unser Butter. Keller weist auch in der griechische» Sprache zahlreiche Lehnwörter »ach, Wörter der semitische» Sprachen, des Persischen, Indischen und Ägyptischen, und noch ausführlicher werden im zweiten Teile des Buchs viele der wich¬ tigsten Lehnwörter behandelt, wie ^mMtism, uecktiir, I^Aas, Nunyollia, vvrrkg,- otium, NerMes, ZlslesKro«, ?örsvxkone, vamMus, stilns — »ri^ox, virwm — «ivvL, balusum — //«^«vewv, voolss — /Ax/i.cD</^ s»ora und andre. Man steht schon aus dieser Zusainlnenstellung, daß Keller auch einige alte Streit¬ fragen wieder aufgerührt hat. Er widerspricht entschieden der Ableitung des Wortes Satire, Saturn, aus dem Lateinischen, und ebenso entschieden behauptet er, MIu8 sei ein griechisches Lehnwort ans </r5^c,-. Man wird auch hier nicht überall Kellers Ansichten und Ausführungen billige» können, doch würde es zu weit führen, noch »lehr Einzelheiten zu besprechen; um einen etymo¬ logische» Irrtum zu widerlegen, bedarf es gewöhnlich desselben Raums wie zu seiner Behauptung. Und Keller selbst gesteht in der Vorrede offen zu- „Mathematisch beweisen läßt sich in der Etymologie überhaupt nichts, am allerwenigsten aber bei der Volksetymologie; denn gerade das Überspringen der Regeln, deren Beobachtung sonst als überzeugungstrüftig angesehn wird, ist eine Haupteigentümlichkeit der Volksetymologie. Es wird uns daher auch genügen, wenn der Leser unter den tausenden von Bemerkungen wenigstens einem bedeutenden Bruchteil seinen Beifall zollt und sie als sehr wahrscheinlich anerkennt." Grenzboten I 189287

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/457>, abgerufen am 23.07.2024.