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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aufmerksam und halb in Gedanken betrachtete er die verblaßten Rosen,
während ich sie vor ihm ausbreitete. Tante Auguste hat es uns geschenkt!
Sie hatte einen Koffer, und der war in Apenrade gewesen vor vielen Jahren.
Und diese Stickerei ist auch in Apenrade gemacht, und hier -- ich griff nach
einem zusammengelegten Blatt Papier, das ganz unten um Ende befestigt
schien -- ach, hier ist ein Brief, und ich glaube, es ist etwas darin!
Plötzlich nahm der General mir das Billet aus der Hand. War er rot ge¬
worden, oder kam es mir nur so vor?

Nicht wahr, du schenkst mir dieses Papier? fragte er, und ich nickte
gleichgiltig, wenn auch ein wenig erstaunt. Dann trat der Großvater ins
Zimmer; der dänische Herr begrüßte ihn höflich, und ich wurde fortgeschickt. --

Viele Jahre waren vergangen, lange schon wehte der Danebrog nicht
mehr über dein Schleswig-holsteinischen Lande, da besuchte ich einmal die
Koffertanteu. So nannte ich sie nun allerdings lange nicht mehr; sie aber
erinnerten mich an diesen Beinamen, und wir sprachen über alte, längst ver¬
gangne Zeiten. Sie waren mit den Jahren nicht schlechter geworden; wenn
es wirklich wahr ist, daß die Menschen halb Engel, halb Teufel sein sollen,
dann hatte der Teufel bei diesen alten Damen ein schlechtes Geschüft gemacht.
Sie waren in ihrem ganzen Kreise bekannt durch ihre erstaunliche Güte, und
während ich jetzt bei ihnen auf dem besten Platze saß und ihnen durchaus das
Beste, was sie an Lebensmitteln hatten, wegessen sollte, kam über mich das
drückende Gefühl der Beschämung, das den gewöhnlichen Menschen befällt,
wenn er nicht mehr mit seinesgleichen, sondern mit Bessern umgeht.

Tante Auguste war sehr taub geworden. Wer ihr aber in die noch immer
strahlenden Augen sah, der konnte ahnen, wie schön sie wohl früher gewesen
war. Jetzt, nach dem Essen, zog sie mich in eine Ecke.

Ich muß dir noch danken, begann sie mit ihrer leisen Stimme, du
hast mir viel Gutes gethan!

Ich mochte wohl sehr erstaunt aussehen; denn sie lächelte, wenn auch
voller Wehmut. Dann legte sie ein kleines, beschriebenes Blatt in meine
Hand und zeigte auf einen schmalen Reif an ihrer Uhrkette.

Du erkennst beides nicht, und doch hast du beides besessen. Soll ich dir
die Geschichte erzählen? Sie ist kurz, aber wenn sie dich langweilt, dann steh
auf und geh fort, ich nehme dirs nicht übel. Es ist nun schon lange her
und ich kann gut darüber sprechen. Als ich die Jugendjahre bei meiner Tante
in Apenrade verlebte, lag das Leben sonnig vor mir. Die Leute waren alle
freundlich gegen mich, und die Tante meinte, ich müßte reich heiraten, das
wäre gut für meine Schwestern. Ich Hütte es gewiß gern gethan; aber da
war ein junger dänischer Leutnant, der gar nichts hatte, als seinen guten
Namen. Er kam oft zu uns, und ich vergaß, ganz, daß die Tante andere
Absichten mit nur hatte. Damals arbeitete ich die Straminstreifen, die du


Aufmerksam und halb in Gedanken betrachtete er die verblaßten Rosen,
während ich sie vor ihm ausbreitete. Tante Auguste hat es uns geschenkt!
Sie hatte einen Koffer, und der war in Apenrade gewesen vor vielen Jahren.
Und diese Stickerei ist auch in Apenrade gemacht, und hier — ich griff nach
einem zusammengelegten Blatt Papier, das ganz unten um Ende befestigt
schien — ach, hier ist ein Brief, und ich glaube, es ist etwas darin!
Plötzlich nahm der General mir das Billet aus der Hand. War er rot ge¬
worden, oder kam es mir nur so vor?

Nicht wahr, du schenkst mir dieses Papier? fragte er, und ich nickte
gleichgiltig, wenn auch ein wenig erstaunt. Dann trat der Großvater ins
Zimmer; der dänische Herr begrüßte ihn höflich, und ich wurde fortgeschickt. —

Viele Jahre waren vergangen, lange schon wehte der Danebrog nicht
mehr über dein Schleswig-holsteinischen Lande, da besuchte ich einmal die
Koffertanteu. So nannte ich sie nun allerdings lange nicht mehr; sie aber
erinnerten mich an diesen Beinamen, und wir sprachen über alte, längst ver¬
gangne Zeiten. Sie waren mit den Jahren nicht schlechter geworden; wenn
es wirklich wahr ist, daß die Menschen halb Engel, halb Teufel sein sollen,
dann hatte der Teufel bei diesen alten Damen ein schlechtes Geschüft gemacht.
Sie waren in ihrem ganzen Kreise bekannt durch ihre erstaunliche Güte, und
während ich jetzt bei ihnen auf dem besten Platze saß und ihnen durchaus das
Beste, was sie an Lebensmitteln hatten, wegessen sollte, kam über mich das
drückende Gefühl der Beschämung, das den gewöhnlichen Menschen befällt,
wenn er nicht mehr mit seinesgleichen, sondern mit Bessern umgeht.

Tante Auguste war sehr taub geworden. Wer ihr aber in die noch immer
strahlenden Augen sah, der konnte ahnen, wie schön sie wohl früher gewesen
war. Jetzt, nach dem Essen, zog sie mich in eine Ecke.

Ich muß dir noch danken, begann sie mit ihrer leisen Stimme, du
hast mir viel Gutes gethan!

Ich mochte wohl sehr erstaunt aussehen; denn sie lächelte, wenn auch
voller Wehmut. Dann legte sie ein kleines, beschriebenes Blatt in meine
Hand und zeigte auf einen schmalen Reif an ihrer Uhrkette.

Du erkennst beides nicht, und doch hast du beides besessen. Soll ich dir
die Geschichte erzählen? Sie ist kurz, aber wenn sie dich langweilt, dann steh
auf und geh fort, ich nehme dirs nicht übel. Es ist nun schon lange her
und ich kann gut darüber sprechen. Als ich die Jugendjahre bei meiner Tante
in Apenrade verlebte, lag das Leben sonnig vor mir. Die Leute waren alle
freundlich gegen mich, und die Tante meinte, ich müßte reich heiraten, das
wäre gut für meine Schwestern. Ich Hütte es gewiß gern gethan; aber da
war ein junger dänischer Leutnant, der gar nichts hatte, als seinen guten
Namen. Er kam oft zu uns, und ich vergaß, ganz, daß die Tante andere
Absichten mit nur hatte. Damals arbeitete ich die Straminstreifen, die du


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[0411] Aufmerksam und halb in Gedanken betrachtete er die verblaßten Rosen, während ich sie vor ihm ausbreitete. Tante Auguste hat es uns geschenkt! Sie hatte einen Koffer, und der war in Apenrade gewesen vor vielen Jahren. Und diese Stickerei ist auch in Apenrade gemacht, und hier — ich griff nach einem zusammengelegten Blatt Papier, das ganz unten um Ende befestigt schien — ach, hier ist ein Brief, und ich glaube, es ist etwas darin! Plötzlich nahm der General mir das Billet aus der Hand. War er rot ge¬ worden, oder kam es mir nur so vor? Nicht wahr, du schenkst mir dieses Papier? fragte er, und ich nickte gleichgiltig, wenn auch ein wenig erstaunt. Dann trat der Großvater ins Zimmer; der dänische Herr begrüßte ihn höflich, und ich wurde fortgeschickt. — Viele Jahre waren vergangen, lange schon wehte der Danebrog nicht mehr über dein Schleswig-holsteinischen Lande, da besuchte ich einmal die Koffertanteu. So nannte ich sie nun allerdings lange nicht mehr; sie aber erinnerten mich an diesen Beinamen, und wir sprachen über alte, längst ver¬ gangne Zeiten. Sie waren mit den Jahren nicht schlechter geworden; wenn es wirklich wahr ist, daß die Menschen halb Engel, halb Teufel sein sollen, dann hatte der Teufel bei diesen alten Damen ein schlechtes Geschüft gemacht. Sie waren in ihrem ganzen Kreise bekannt durch ihre erstaunliche Güte, und während ich jetzt bei ihnen auf dem besten Platze saß und ihnen durchaus das Beste, was sie an Lebensmitteln hatten, wegessen sollte, kam über mich das drückende Gefühl der Beschämung, das den gewöhnlichen Menschen befällt, wenn er nicht mehr mit seinesgleichen, sondern mit Bessern umgeht. Tante Auguste war sehr taub geworden. Wer ihr aber in die noch immer strahlenden Augen sah, der konnte ahnen, wie schön sie wohl früher gewesen war. Jetzt, nach dem Essen, zog sie mich in eine Ecke. Ich muß dir noch danken, begann sie mit ihrer leisen Stimme, du hast mir viel Gutes gethan! Ich mochte wohl sehr erstaunt aussehen; denn sie lächelte, wenn auch voller Wehmut. Dann legte sie ein kleines, beschriebenes Blatt in meine Hand und zeigte auf einen schmalen Reif an ihrer Uhrkette. Du erkennst beides nicht, und doch hast du beides besessen. Soll ich dir die Geschichte erzählen? Sie ist kurz, aber wenn sie dich langweilt, dann steh auf und geh fort, ich nehme dirs nicht übel. Es ist nun schon lange her und ich kann gut darüber sprechen. Als ich die Jugendjahre bei meiner Tante in Apenrade verlebte, lag das Leben sonnig vor mir. Die Leute waren alle freundlich gegen mich, und die Tante meinte, ich müßte reich heiraten, das wäre gut für meine Schwestern. Ich Hütte es gewiß gern gethan; aber da war ein junger dänischer Leutnant, der gar nichts hatte, als seinen guten Namen. Er kam oft zu uns, und ich vergaß, ganz, daß die Tante andere Absichten mit nur hatte. Damals arbeitete ich die Straminstreifen, die du

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/411>, abgerufen am 23.07.2024.