Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Albrecht Viirer derselben Notiz) die Malerei, die einerseits der Geometrie, der Arithmetik und Schon der Jagdhund, der neben ihr liegt, weist von der Melancholie *) Professur Heyne in Göttingen, den ich um seine Meinung befragte, erklärte ebenfalls,
daß ihm bisher nichts ähnliches vorgekommen sei. Sollte vielleicht eine Art Roll-Bcmdmaß mit Lot verbunden (zu Höhenmessungen) dargestellt sein? Heller denkt an ein Ranchfaß, Retberg um ein Tintenfaß. Albrecht Viirer derselben Notiz) die Malerei, die einerseits der Geometrie, der Arithmetik und Schon der Jagdhund, der neben ihr liegt, weist von der Melancholie *) Professur Heyne in Göttingen, den ich um seine Meinung befragte, erklärte ebenfalls,
daß ihm bisher nichts ähnliches vorgekommen sei. Sollte vielleicht eine Art Roll-Bcmdmaß mit Lot verbunden (zu Höhenmessungen) dargestellt sein? Heller denkt an ein Ranchfaß, Retberg um ein Tintenfaß. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211562"/> <fw type="header" place="top"> Albrecht Viirer</fw><lb/> <p xml:id="ID_1180" prev="#ID_1179"> derselben Notiz) die Malerei, die einerseits der Geometrie, der Arithmetik und<lb/> der Perspektive bedarf, andrerseits wieder die Grundlage der Geodäsie, der<lb/> Chorographie u. s. w. ist. Sehen wir, ob dem die Attribute der Dürerschen<lb/> Melancholie entsprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1181" next="#ID_1182"> Schon der Jagdhund, der neben ihr liegt, weist von der Melancholie<lb/> im eigentlichen Sinne hinweg. Das symbolische Tier der Melancholie ist —<lb/> das Schwein. Der Jagdhund ist der Vertreter des Spürsinus, des Forscher¬<lb/> triebes. Das Buch auf dem Schoße der Frau erinnert uns, daß die Bücher<lb/> der Alten, Euklid und Vitruv, die Grundlage dieser Forschungen bildeten.<lb/> Der Zirkel in ihrer Hand ist das natürlichste Symbol der „Messung," Die<lb/> mystische Rechentafel an der Wand, die Kugel und der abgestumpfte Rhom-<lb/> boeder am Boden bezeichnen Arithmetik und Geometrie. , Die Wage ist das<lb/> Maßinstrument des Gewichtes, Sanduhr und Glocke dienen als Werkzeuge der<lb/> Zeitmessung: dem Maß und dem Gewicht sind alle Dinge unterworfen. Dann<lb/> folgen die Wissenschaften, die von der Mathematik abhängen. Zunächst die<lb/> Kosmographie. Das weite Meer und die Küste im Hintergrund erinnern<lb/> uns daran, daß kurz zuvor das Zeitalter der geographischen Entdeckungen<lb/> begonnen hatte, daß mit Hilfe der Mathematik und messenden Erdbeschreibung<lb/> ferne Länder entdeckt und wichtige Seewege gefunden worden waren. Dann<lb/> die Astronomie. Der Komet am Himmel ruft uus die Erinnerung daran wach,<lb/> daß vor kaum vierzig Jahren der große Regiomontanus in Nürnberg das erste<lb/> astronomische Observatorium gebaut und mit selbstersundnen Instrumenten die<lb/> Bahn eines Kometen beobachtet hatte. Dann die technischen Fächer. Auf die<lb/> praktische Mechanik, den Maschinen- und Justrnmentenbau weist der Mühlstein<lb/> und die Feuerspritze (rechts unten), beide bisher nicht genügend gedeutet. Die<lb/> Baukunst hatte schon im Mittelalter ihre Stellung im Gefolge der Messung<lb/> gehabt, die Kenntnis des Vitruv konnte sie darin nur befestigen. Die Leiter,<lb/> die im Mittelgrunde an ein Gebäude angelehnt ist, und für die man so selt¬<lb/> same Deutungen vorgeschlagen hat, kann nur auf sie bezogen werden. Auch<lb/> das Handwerk bedarf der Messung. Lehre, Hobel und Lineal, Hammer, Zange,<lb/> Säge und Nägel sind die Gerade des Zimmermanns, des Tischlers. Der<lb/> kleine geflügelte Genius, der auf dem Mühlstein sitzt und auf einer, wie es<lb/> scheint, metallnen Tafel eifrig etwas einschreibt oder einkratzt, ist ein Vertreter<lb/> der Kupferstechkunst, vielleicht auch im allgemeinen des Zeichnens oder Rechnens.<lb/> In dem Schmelztiegel links und in der Kohlenzange mag mau einen Hinweis auf<lb/> das Goldschmiedehandwerk (oder die Alchimie?) erkennen. Nur den eigentüm¬<lb/> lichen Gegenstand, der links hinter der Kugel sichtbar wird, weiß ich nicht zu<lb/> deuten.*) So fallen also fast sämtliche Attribute mit denjenigen Fächern zu-</p><lb/> <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Professur Heyne in Göttingen, den ich um seine Meinung befragte, erklärte ebenfalls,<lb/> daß ihm bisher nichts ähnliches vorgekommen sei. Sollte vielleicht eine Art Roll-Bcmdmaß<lb/> mit Lot verbunden (zu Höhenmessungen) dargestellt sein? Heller denkt an ein Ranchfaß, Retberg<lb/> um ein Tintenfaß.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
Albrecht Viirer
derselben Notiz) die Malerei, die einerseits der Geometrie, der Arithmetik und
der Perspektive bedarf, andrerseits wieder die Grundlage der Geodäsie, der
Chorographie u. s. w. ist. Sehen wir, ob dem die Attribute der Dürerschen
Melancholie entsprechen.
Schon der Jagdhund, der neben ihr liegt, weist von der Melancholie
im eigentlichen Sinne hinweg. Das symbolische Tier der Melancholie ist —
das Schwein. Der Jagdhund ist der Vertreter des Spürsinus, des Forscher¬
triebes. Das Buch auf dem Schoße der Frau erinnert uns, daß die Bücher
der Alten, Euklid und Vitruv, die Grundlage dieser Forschungen bildeten.
Der Zirkel in ihrer Hand ist das natürlichste Symbol der „Messung," Die
mystische Rechentafel an der Wand, die Kugel und der abgestumpfte Rhom-
boeder am Boden bezeichnen Arithmetik und Geometrie. , Die Wage ist das
Maßinstrument des Gewichtes, Sanduhr und Glocke dienen als Werkzeuge der
Zeitmessung: dem Maß und dem Gewicht sind alle Dinge unterworfen. Dann
folgen die Wissenschaften, die von der Mathematik abhängen. Zunächst die
Kosmographie. Das weite Meer und die Küste im Hintergrund erinnern
uns daran, daß kurz zuvor das Zeitalter der geographischen Entdeckungen
begonnen hatte, daß mit Hilfe der Mathematik und messenden Erdbeschreibung
ferne Länder entdeckt und wichtige Seewege gefunden worden waren. Dann
die Astronomie. Der Komet am Himmel ruft uus die Erinnerung daran wach,
daß vor kaum vierzig Jahren der große Regiomontanus in Nürnberg das erste
astronomische Observatorium gebaut und mit selbstersundnen Instrumenten die
Bahn eines Kometen beobachtet hatte. Dann die technischen Fächer. Auf die
praktische Mechanik, den Maschinen- und Justrnmentenbau weist der Mühlstein
und die Feuerspritze (rechts unten), beide bisher nicht genügend gedeutet. Die
Baukunst hatte schon im Mittelalter ihre Stellung im Gefolge der Messung
gehabt, die Kenntnis des Vitruv konnte sie darin nur befestigen. Die Leiter,
die im Mittelgrunde an ein Gebäude angelehnt ist, und für die man so selt¬
same Deutungen vorgeschlagen hat, kann nur auf sie bezogen werden. Auch
das Handwerk bedarf der Messung. Lehre, Hobel und Lineal, Hammer, Zange,
Säge und Nägel sind die Gerade des Zimmermanns, des Tischlers. Der
kleine geflügelte Genius, der auf dem Mühlstein sitzt und auf einer, wie es
scheint, metallnen Tafel eifrig etwas einschreibt oder einkratzt, ist ein Vertreter
der Kupferstechkunst, vielleicht auch im allgemeinen des Zeichnens oder Rechnens.
In dem Schmelztiegel links und in der Kohlenzange mag mau einen Hinweis auf
das Goldschmiedehandwerk (oder die Alchimie?) erkennen. Nur den eigentüm¬
lichen Gegenstand, der links hinter der Kugel sichtbar wird, weiß ich nicht zu
deuten.*) So fallen also fast sämtliche Attribute mit denjenigen Fächern zu-
*) Professur Heyne in Göttingen, den ich um seine Meinung befragte, erklärte ebenfalls,
daß ihm bisher nichts ähnliches vorgekommen sei. Sollte vielleicht eine Art Roll-Bcmdmaß
mit Lot verbunden (zu Höhenmessungen) dargestellt sein? Heller denkt an ein Ranchfaß, Retberg
um ein Tintenfaß.
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