Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Heyse darf gewiß sein, daß seine besten Schöpfungen noch künftigen Geschlechtern Unter den poetischen Erzählungen des neuen Musenalmanachs finden wir als Wir müssen also darauf zurückkommen, daß ein "Musenalmanach," der sich Maßgebliches und Unmaßgebliches Heyse darf gewiß sein, daß seine besten Schöpfungen noch künftigen Geschlechtern Unter den poetischen Erzählungen des neuen Musenalmanachs finden wir als Wir müssen also darauf zurückkommen, daß ein „Musenalmanach," der sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211540"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1115" prev="#ID_1114"> Heyse darf gewiß sein, daß seine besten Schöpfungen noch künftigen Geschlechtern<lb/> poetischen Genuß geben werden. So lange aber von der äußersten Rechten und<lb/> Linken Wehgeschrei und Wutgeheul über die „programmlose Dichtung" erhoben<lb/> wird, muß eine Novelle wie „Vroni" Anstoß nach rechts und links erregen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1116"> Unter den poetischen Erzählungen des neuen Musenalmanachs finden wir als<lb/> die ausgedehnteste „Die Hexeumühle" von Otto Noguette, ein Halbidyll, das ein¬<lb/> zelne prächtige Situationen, lebendige Bilder »ud anmutige Verse aufweist, im<lb/> ganzen aber seinen Stimmungsgehalt mehr andeutet; ferner einen kraftvollen und<lb/> energischen Balladeneyklns „Simson" von Hermann Hango, einem der wenigen<lb/> neuen Namen, die der Musenalmanach einführt. Kleinere Beisteuern erzählender<lb/> Gattung finden wir von C. F. Meyer, Karl Wvermanu, Adolf Pichler und vielen andern.<lb/> Da läuft nnn freilich auch eine bloße neugereimte Variante des alten Lafon-<lb/> tnineschen Milchweibes wie „Der Honigtopf" von Alexander Kaufmann, eine etwas<lb/> ansgesnngeue nordische Ballade wie „Die Wünsche" von Felix Dahn, ein so<lb/> Schauriges Toteutanzstücklein wie „Wettrennen" von Karl Weitbrecht mit drein.<lb/> Reicher und mannichfaltiger als die halbepischen Gilden des Musenalmanachs sind<lb/> die lyrischen, die der Herausgeber in drei Gruppen „Gedichte verschleimen Inhalts,"<lb/> „Lyrische Dichtungen" und „Spruchdichtung" eingeteilt hat. In den meisten Ge¬<lb/> dichten der drei Gruppen ist zu spüren, wie sehr eine pessimistische, wenigstens<lb/> elegische, vielfach müde Stimmung unsre ganze Lyrik durchsetzt. Nicht nur Lyriker<lb/> wie Wilhelm Imsen (in dem übrigens anmutigen und originellen Gedicht „Bella"),<lb/> Isolde Kurz („Das Maienfest"). Max Kalbeck („Letzte Heimkehr"), Albert Möser<lb/> („Einem Hcimatgenosscn" und „Verirrt"), Ludwig Schneegans (in deu schonen<lb/> „Wiener Sonetten"), die ja in allein, was wir von ihnen kennen, von dieser<lb/> Lebensstimmung beherrscht erscheinen, nein, auch solche, in und bei denen ein andrer<lb/> Klang vorwaltet, wandeln diesmal seufzend und schwermütig durch den Musen¬<lb/> almanach. So Ludwig Eichrvdt („Im Leid"), so Adolf Stern (in den düstern<lb/> Terzinen „Ines de Castro"), so Heinrich Kruse („Wachtelschlag"). Die mutigern<lb/> lebensfrohern Laute erklingen diesmal aus der Brust einiger Jüngern. Richard<lb/> Weitbrecht mit der prächtigen und lustig spöttischen Epistel „Rembrandt als Er¬<lb/> zieher," Johannes Prölß in dem frischen „Bin halt vergnügt," Graf Rudolf Hoyos<lb/> in ein paar weichen Serenaden, Heinrich Bulthaupt in dem Gedicht „Zwei Bäume"<lb/> und von der älteren Aera noch Haus Hopfen mit dem glückseligen „Brief" und<lb/> dem schonen Sonett „Einem Ruhmsüchtigen" sorgen dafür, das; die Goethische Auf¬<lb/> fassung der Poesie, die den Menschen mit Mut ausrüstet, die Kämpfe des Lebens<lb/> zu bestehen, nicht ganz verloren gehe. Leider fehlt es dem Musenalmanach auch<lb/> diesmal nicht an Gedichten, nnter denen wohl Namen stehen, die aber verdient<lb/> hätten, in den Papierkorb des Herausgebers geworfen zu werden, wie sie ans<lb/> dem Papierkorb ihrer Verfasser hervorgegangen zu sein scheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1117" next="#ID_1118"> Wir müssen also darauf zurückkommen, daß ein „Musenalmanach," der sich<lb/> aus Einsendungen für den Zweck zusammensetzt, seine schweren Bedenken hat.<lb/> Beinahe sollte man meinen, daß es ein Fortschritt wäre, und daß ein Herausgeber<lb/> vou Geist und Geschmack (wie es Otto Braun unzweifelhaft ist) gar nicht so übel<lb/> thäte, wenn er ans die ursprünglichste Idee der französischen Musenalmanache<lb/> zurückgriffe und alle wirklich vorzüglichen, im Laufe eines Jahres oder einiger Jahre<lb/> aus der Flut auftauchenden Gedichte vereinigte. Doch auch so wollen wir der<lb/> Sorgfalt des Herausgebers und dem, was er erreicht hat, alle Gerechtigkeit wider¬<lb/> fahren lassen. Den Lyrikern aber, die sich beschweren, daß ihnen Publikum und<lb/> Kritik nicht gerecht würden, und daß für sie der Lorbeer heute spärlich und dünn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Heyse darf gewiß sein, daß seine besten Schöpfungen noch künftigen Geschlechtern
poetischen Genuß geben werden. So lange aber von der äußersten Rechten und
Linken Wehgeschrei und Wutgeheul über die „programmlose Dichtung" erhoben
wird, muß eine Novelle wie „Vroni" Anstoß nach rechts und links erregen.
Unter den poetischen Erzählungen des neuen Musenalmanachs finden wir als
die ausgedehnteste „Die Hexeumühle" von Otto Noguette, ein Halbidyll, das ein¬
zelne prächtige Situationen, lebendige Bilder »ud anmutige Verse aufweist, im
ganzen aber seinen Stimmungsgehalt mehr andeutet; ferner einen kraftvollen und
energischen Balladeneyklns „Simson" von Hermann Hango, einem der wenigen
neuen Namen, die der Musenalmanach einführt. Kleinere Beisteuern erzählender
Gattung finden wir von C. F. Meyer, Karl Wvermanu, Adolf Pichler und vielen andern.
Da läuft nnn freilich auch eine bloße neugereimte Variante des alten Lafon-
tnineschen Milchweibes wie „Der Honigtopf" von Alexander Kaufmann, eine etwas
ansgesnngeue nordische Ballade wie „Die Wünsche" von Felix Dahn, ein so
Schauriges Toteutanzstücklein wie „Wettrennen" von Karl Weitbrecht mit drein.
Reicher und mannichfaltiger als die halbepischen Gilden des Musenalmanachs sind
die lyrischen, die der Herausgeber in drei Gruppen „Gedichte verschleimen Inhalts,"
„Lyrische Dichtungen" und „Spruchdichtung" eingeteilt hat. In den meisten Ge¬
dichten der drei Gruppen ist zu spüren, wie sehr eine pessimistische, wenigstens
elegische, vielfach müde Stimmung unsre ganze Lyrik durchsetzt. Nicht nur Lyriker
wie Wilhelm Imsen (in dem übrigens anmutigen und originellen Gedicht „Bella"),
Isolde Kurz („Das Maienfest"). Max Kalbeck („Letzte Heimkehr"), Albert Möser
(„Einem Hcimatgenosscn" und „Verirrt"), Ludwig Schneegans (in deu schonen
„Wiener Sonetten"), die ja in allein, was wir von ihnen kennen, von dieser
Lebensstimmung beherrscht erscheinen, nein, auch solche, in und bei denen ein andrer
Klang vorwaltet, wandeln diesmal seufzend und schwermütig durch den Musen¬
almanach. So Ludwig Eichrvdt („Im Leid"), so Adolf Stern (in den düstern
Terzinen „Ines de Castro"), so Heinrich Kruse („Wachtelschlag"). Die mutigern
lebensfrohern Laute erklingen diesmal aus der Brust einiger Jüngern. Richard
Weitbrecht mit der prächtigen und lustig spöttischen Epistel „Rembrandt als Er¬
zieher," Johannes Prölß in dem frischen „Bin halt vergnügt," Graf Rudolf Hoyos
in ein paar weichen Serenaden, Heinrich Bulthaupt in dem Gedicht „Zwei Bäume"
und von der älteren Aera noch Haus Hopfen mit dem glückseligen „Brief" und
dem schonen Sonett „Einem Ruhmsüchtigen" sorgen dafür, das; die Goethische Auf¬
fassung der Poesie, die den Menschen mit Mut ausrüstet, die Kämpfe des Lebens
zu bestehen, nicht ganz verloren gehe. Leider fehlt es dem Musenalmanach auch
diesmal nicht an Gedichten, nnter denen wohl Namen stehen, die aber verdient
hätten, in den Papierkorb des Herausgebers geworfen zu werden, wie sie ans
dem Papierkorb ihrer Verfasser hervorgegangen zu sein scheinen.
Wir müssen also darauf zurückkommen, daß ein „Musenalmanach," der sich
aus Einsendungen für den Zweck zusammensetzt, seine schweren Bedenken hat.
Beinahe sollte man meinen, daß es ein Fortschritt wäre, und daß ein Herausgeber
vou Geist und Geschmack (wie es Otto Braun unzweifelhaft ist) gar nicht so übel
thäte, wenn er ans die ursprünglichste Idee der französischen Musenalmanache
zurückgriffe und alle wirklich vorzüglichen, im Laufe eines Jahres oder einiger Jahre
aus der Flut auftauchenden Gedichte vereinigte. Doch auch so wollen wir der
Sorgfalt des Herausgebers und dem, was er erreicht hat, alle Gerechtigkeit wider¬
fahren lassen. Den Lyrikern aber, die sich beschweren, daß ihnen Publikum und
Kritik nicht gerecht würden, und daß für sie der Lorbeer heute spärlich und dünn
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