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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Joachim der Lmierndichter

Kampf des Mtramontanismus gegen die freiern Geister entfesselt sich vor uns
in seiner ganzen Heftigkeit und Leidenschaft. Dorf und Stadt, alte Über¬
lieferung und modernstes Strebertum, Einfalt und Naffiuirtheit stehe" sich
gegenüber -- das alles bietet der reiche Inhalt dieser Volksgeschichte, die uns
bis auf die letzte Zeile nicht losläßt und mit ungewöhnlichem künstlerischem
Sinn komponirt ist. Denn sie zerfällt in zwei an Umfang und Tonart grund¬
verschiedene Teile. Der erste, der die Geschichte des leidenschaftlicheren und that¬
kräftigen Bruders giebt, ist ebenso reich bewegt, gleichsam übersprudelnd, wie
der zweite, der die Geschichte des beschaulichen und philosophischen Bruders
enthält, still und idyllisch dahinfließt, die Vergangenheit von: Standpunkte
eines beruhigte" und geklärten Weisen überschaut. Nachzuerzählen ist die Ge¬
schichte nicht, wir wollen uur kurz berichten, um was es sich darin handelt.

Die beiden Brüder Peter und Shlvan Krüger sind ungleich an Be¬
gabung und Temperament. Shlvan hat Lust am Studiren und soll nach
rechter bäurischer Sitte "geistlich" werde". Die fromme Mutter freut sich
schon auf deu zukünftigen Pfarrherrn, der aus ihrem Blut entsprossen ist.
Aber er gewinnt auf der Universität eine besondre Neigung für die Natur¬
wissenschaft und will lieber Arzt werden. Der gute ehrwürdige Pfarrer von
Mattweiler ist selbst ein eifriger Botaniker, hat seine eignen Gedanken über
den Stand des katholischen Geistlichen und unterstützt das Gesuch Shlvans
bei dessen Eltern; denn diese haben als rechte Bauern nicht das geringste
Interesse und Verständnis für ein Studium, das einem andern Berufe als
dem des Gottesmannes gewidmet sein soll. Sie geben also nach, aber im
Grunde hat Shlvan durch sein Abschwenken zur Medizin die Bande, die ihn an
die Eltern knüpfen, zerrissen. Sie unterstützen ihn nicht mehr mit Geld, und
als er gar wegen eines unglücklichen Duells zu ihnen flüchtet, jagen sie ihn
ganz fort. In diesem Streit zwischen Eltern und Sohn nimmt Peter, der
Bruder, eine kühle Haltung ein. Er ist ein echter Bauernsohn, er versteht
seinen Bruder gar uicht, und als ihm nach Banernsitte das ganze nicht geringe
Erbe seiner Eltern zufällt, da nimmt er es anch an; mehr Gedankenlosigkeit
als wirklich übler Wille bringt ihn so zu seinem Bruder in ein schiefes Ver¬
hältnis. Peter bleibt also im Dorfe, übernimmt die Wirtschaft, und allmählig
treten auch seine guten und tüchtigen Geistesgaben und Willenskräfte zu Tage.
Er hat das Glück, eine kluge und arbeitsfrohe Frau zu finden, die freilich
nach bäurischen Begriffen unter dem Stande ihres Mannes ist, da sie kein
Vermögen hat, und mit dieser Frau haust Peter, der Leuenwirt, wie er nach
dem Schilde seines Wirtshauses genannt wird, viele Jahre in Eintracht,
Zufriedenheit und steigendem Wohlstand. Ohne sein Bemühen fallen ihm die
höchsten Würden der Dorfgemeinschaft zu, und zu der Zeit, wo wir ihn kennen
lernen, ist er Bürgermeister oder "Ammann", nach der ortsüblichen Bezeichnung
und die Seele der Gemeinde. Er ist ihr Ratgeber und sehr oft, im Stillen


Joseph Joachim der Lmierndichter

Kampf des Mtramontanismus gegen die freiern Geister entfesselt sich vor uns
in seiner ganzen Heftigkeit und Leidenschaft. Dorf und Stadt, alte Über¬
lieferung und modernstes Strebertum, Einfalt und Naffiuirtheit stehe» sich
gegenüber — das alles bietet der reiche Inhalt dieser Volksgeschichte, die uns
bis auf die letzte Zeile nicht losläßt und mit ungewöhnlichem künstlerischem
Sinn komponirt ist. Denn sie zerfällt in zwei an Umfang und Tonart grund¬
verschiedene Teile. Der erste, der die Geschichte des leidenschaftlicheren und that¬
kräftigen Bruders giebt, ist ebenso reich bewegt, gleichsam übersprudelnd, wie
der zweite, der die Geschichte des beschaulichen und philosophischen Bruders
enthält, still und idyllisch dahinfließt, die Vergangenheit von: Standpunkte
eines beruhigte» und geklärten Weisen überschaut. Nachzuerzählen ist die Ge¬
schichte nicht, wir wollen uur kurz berichten, um was es sich darin handelt.

Die beiden Brüder Peter und Shlvan Krüger sind ungleich an Be¬
gabung und Temperament. Shlvan hat Lust am Studiren und soll nach
rechter bäurischer Sitte „geistlich" werde». Die fromme Mutter freut sich
schon auf deu zukünftigen Pfarrherrn, der aus ihrem Blut entsprossen ist.
Aber er gewinnt auf der Universität eine besondre Neigung für die Natur¬
wissenschaft und will lieber Arzt werden. Der gute ehrwürdige Pfarrer von
Mattweiler ist selbst ein eifriger Botaniker, hat seine eignen Gedanken über
den Stand des katholischen Geistlichen und unterstützt das Gesuch Shlvans
bei dessen Eltern; denn diese haben als rechte Bauern nicht das geringste
Interesse und Verständnis für ein Studium, das einem andern Berufe als
dem des Gottesmannes gewidmet sein soll. Sie geben also nach, aber im
Grunde hat Shlvan durch sein Abschwenken zur Medizin die Bande, die ihn an
die Eltern knüpfen, zerrissen. Sie unterstützen ihn nicht mehr mit Geld, und
als er gar wegen eines unglücklichen Duells zu ihnen flüchtet, jagen sie ihn
ganz fort. In diesem Streit zwischen Eltern und Sohn nimmt Peter, der
Bruder, eine kühle Haltung ein. Er ist ein echter Bauernsohn, er versteht
seinen Bruder gar uicht, und als ihm nach Banernsitte das ganze nicht geringe
Erbe seiner Eltern zufällt, da nimmt er es anch an; mehr Gedankenlosigkeit
als wirklich übler Wille bringt ihn so zu seinem Bruder in ein schiefes Ver¬
hältnis. Peter bleibt also im Dorfe, übernimmt die Wirtschaft, und allmählig
treten auch seine guten und tüchtigen Geistesgaben und Willenskräfte zu Tage.
Er hat das Glück, eine kluge und arbeitsfrohe Frau zu finden, die freilich
nach bäurischen Begriffen unter dem Stande ihres Mannes ist, da sie kein
Vermögen hat, und mit dieser Frau haust Peter, der Leuenwirt, wie er nach
dem Schilde seines Wirtshauses genannt wird, viele Jahre in Eintracht,
Zufriedenheit und steigendem Wohlstand. Ohne sein Bemühen fallen ihm die
höchsten Würden der Dorfgemeinschaft zu, und zu der Zeit, wo wir ihn kennen
lernen, ist er Bürgermeister oder „Ammann", nach der ortsüblichen Bezeichnung
und die Seele der Gemeinde. Er ist ihr Ratgeber und sehr oft, im Stillen


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[0354] Joseph Joachim der Lmierndichter Kampf des Mtramontanismus gegen die freiern Geister entfesselt sich vor uns in seiner ganzen Heftigkeit und Leidenschaft. Dorf und Stadt, alte Über¬ lieferung und modernstes Strebertum, Einfalt und Naffiuirtheit stehe» sich gegenüber — das alles bietet der reiche Inhalt dieser Volksgeschichte, die uns bis auf die letzte Zeile nicht losläßt und mit ungewöhnlichem künstlerischem Sinn komponirt ist. Denn sie zerfällt in zwei an Umfang und Tonart grund¬ verschiedene Teile. Der erste, der die Geschichte des leidenschaftlicheren und that¬ kräftigen Bruders giebt, ist ebenso reich bewegt, gleichsam übersprudelnd, wie der zweite, der die Geschichte des beschaulichen und philosophischen Bruders enthält, still und idyllisch dahinfließt, die Vergangenheit von: Standpunkte eines beruhigte» und geklärten Weisen überschaut. Nachzuerzählen ist die Ge¬ schichte nicht, wir wollen uur kurz berichten, um was es sich darin handelt. Die beiden Brüder Peter und Shlvan Krüger sind ungleich an Be¬ gabung und Temperament. Shlvan hat Lust am Studiren und soll nach rechter bäurischer Sitte „geistlich" werde». Die fromme Mutter freut sich schon auf deu zukünftigen Pfarrherrn, der aus ihrem Blut entsprossen ist. Aber er gewinnt auf der Universität eine besondre Neigung für die Natur¬ wissenschaft und will lieber Arzt werden. Der gute ehrwürdige Pfarrer von Mattweiler ist selbst ein eifriger Botaniker, hat seine eignen Gedanken über den Stand des katholischen Geistlichen und unterstützt das Gesuch Shlvans bei dessen Eltern; denn diese haben als rechte Bauern nicht das geringste Interesse und Verständnis für ein Studium, das einem andern Berufe als dem des Gottesmannes gewidmet sein soll. Sie geben also nach, aber im Grunde hat Shlvan durch sein Abschwenken zur Medizin die Bande, die ihn an die Eltern knüpfen, zerrissen. Sie unterstützen ihn nicht mehr mit Geld, und als er gar wegen eines unglücklichen Duells zu ihnen flüchtet, jagen sie ihn ganz fort. In diesem Streit zwischen Eltern und Sohn nimmt Peter, der Bruder, eine kühle Haltung ein. Er ist ein echter Bauernsohn, er versteht seinen Bruder gar uicht, und als ihm nach Banernsitte das ganze nicht geringe Erbe seiner Eltern zufällt, da nimmt er es anch an; mehr Gedankenlosigkeit als wirklich übler Wille bringt ihn so zu seinem Bruder in ein schiefes Ver¬ hältnis. Peter bleibt also im Dorfe, übernimmt die Wirtschaft, und allmählig treten auch seine guten und tüchtigen Geistesgaben und Willenskräfte zu Tage. Er hat das Glück, eine kluge und arbeitsfrohe Frau zu finden, die freilich nach bäurischen Begriffen unter dem Stande ihres Mannes ist, da sie kein Vermögen hat, und mit dieser Frau haust Peter, der Leuenwirt, wie er nach dem Schilde seines Wirtshauses genannt wird, viele Jahre in Eintracht, Zufriedenheit und steigendem Wohlstand. Ohne sein Bemühen fallen ihm die höchsten Würden der Dorfgemeinschaft zu, und zu der Zeit, wo wir ihn kennen lernen, ist er Bürgermeister oder „Ammann", nach der ortsüblichen Bezeichnung und die Seele der Gemeinde. Er ist ihr Ratgeber und sehr oft, im Stillen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/354>, abgerufen am 23.07.2024.