Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Joseph Joachim der Banerndichter

Erkenntnis des Rechten zu gelangen. Aber er hatte auch in seiner eignen Brust
einen Quell von rechter Weisheit und brauchte nicht viel von den andern zu
lernen. Man merkt es seinen Dichtungen an, daß ihm die Poesie eingeboren
ist, und daß er in ihr sein wahres Lebensglück, seinen rechten Trost und seine
Zuflucht gefunden hat, die ihn über die Schranken seines Daseins hinaushob.

In seinem Hauptwerke "Die Brüder" schildert uns Joachim (übrigens
etwas romantisch) einen einsamen Mann, der weit und breit bei der im kin¬
dischen Aberglauben verharrenden Bauernschaft als ein Hexenmeister verschrieen
und gefürchtet ist. Shlvan, der Unchrist, hat kaum zwei Menschen, mit denen
er verkehrt, und auch diese sind nicht geeignet, sein Herz auszufüllen, ihn zu
traulicher Mitteilung dessen, was in ihm vorgeht, zu veranlasse". Aber
Shlvan hat auch kein Bedürfnis darnach, er erträgt vierzig Jahre die Ein¬
samkeit auf seinem gemiednen Hofe. Sein Gemüt wird durch den Genuß der
schönen Natur, durch die gedankenvolle Betrachtung des erhabnen Sternen-
himmels befriedigt, und den Überschuß an gegenstandsloser Liebe, die sein Herz
erfüllt, überträgt er auf die Tiere. Er liebt sie und behandelt sie wie
minder vernünftige Menschen. Er vertieft sich in ihr geheimnisvolles Seelen¬
leben, er versteht ihre Sprache, wie er den Gesang der Vogel und das Rauschen
des Waldes versteht, und sie gehorchen ihm aufs Wort. Ohne es zu wissen
und zu wollen, ist der Manu ein Dichter. Einen solchen Mann zu erfinden
und zu zeichnen vermochte aber auch nur ein rechter Dichter, der in ihm zu¬
gleich einen Teil seines eignen Wesens darstellte. Die Einsamkeit, in der
Joachim im Grunde seiner Seele lebte, machte ihm die Natur verständlich,
in ihr fand er sich, fand er Trost und Stärkung, fand er die Religion wieder,
die ihm in den Formen eines zelotischer Katholizismus verleidet war. In
einer andern Gestalt seiner Volksgeschichte, in der des Schulmeisters Barthel,
verrät Joachim das andre Mittel, das ihm zur Freiheit über die Enge des
Bauerngeistes verholfen hat. Der kleine, schon geschwächte alte Mann ist der
Humorist des Dorfes Mattweil. Er ist der verkörperte Widerspruchsgeist,
dem nichts recht ist, der an allem etwas zu tadeln hat, den Tadel aber immer so
nützig ausspricht, daß ihm die Bauern trotz ihres Ärgers doch nicht gram sein
können. Dieser alte Schulmeister ist einer von den ernsthaften Spaßmachern.
Er ist ein Todfeind der Pfaffen, und die Bauern, die ihn nicht verstehen,
halten ihn darum für einen Ketzer. Als sich aber einmal ein frivoles Stadt¬
herrlein in seiner Gegenwart über die Religion als "einen überwundneu
Standpunkt" lustig macht, da gerät Barthel in einen solchen Eifer der Ver¬
teidigung, daß die Bauern ganz verdutzt dreinschauen. Bnrthels Humor ist
eben echt, er ist nur der Ausdruck eines freien, unbefangnen Geistes, keines
frivolen Spaßmachers, und darum eben ist er bezeichnend für Joachim, der
sich in gleicher Weise zu deu Bauern stellt. Nur ihre Dummheit, ihr Fana-
tismus, ihr Aberglaube, ihr Eigensinn, ihre blinde Wut und blinde Liebe,


Joseph Joachim der Banerndichter

Erkenntnis des Rechten zu gelangen. Aber er hatte auch in seiner eignen Brust
einen Quell von rechter Weisheit und brauchte nicht viel von den andern zu
lernen. Man merkt es seinen Dichtungen an, daß ihm die Poesie eingeboren
ist, und daß er in ihr sein wahres Lebensglück, seinen rechten Trost und seine
Zuflucht gefunden hat, die ihn über die Schranken seines Daseins hinaushob.

In seinem Hauptwerke „Die Brüder" schildert uns Joachim (übrigens
etwas romantisch) einen einsamen Mann, der weit und breit bei der im kin¬
dischen Aberglauben verharrenden Bauernschaft als ein Hexenmeister verschrieen
und gefürchtet ist. Shlvan, der Unchrist, hat kaum zwei Menschen, mit denen
er verkehrt, und auch diese sind nicht geeignet, sein Herz auszufüllen, ihn zu
traulicher Mitteilung dessen, was in ihm vorgeht, zu veranlasse». Aber
Shlvan hat auch kein Bedürfnis darnach, er erträgt vierzig Jahre die Ein¬
samkeit auf seinem gemiednen Hofe. Sein Gemüt wird durch den Genuß der
schönen Natur, durch die gedankenvolle Betrachtung des erhabnen Sternen-
himmels befriedigt, und den Überschuß an gegenstandsloser Liebe, die sein Herz
erfüllt, überträgt er auf die Tiere. Er liebt sie und behandelt sie wie
minder vernünftige Menschen. Er vertieft sich in ihr geheimnisvolles Seelen¬
leben, er versteht ihre Sprache, wie er den Gesang der Vogel und das Rauschen
des Waldes versteht, und sie gehorchen ihm aufs Wort. Ohne es zu wissen
und zu wollen, ist der Manu ein Dichter. Einen solchen Mann zu erfinden
und zu zeichnen vermochte aber auch nur ein rechter Dichter, der in ihm zu¬
gleich einen Teil seines eignen Wesens darstellte. Die Einsamkeit, in der
Joachim im Grunde seiner Seele lebte, machte ihm die Natur verständlich,
in ihr fand er sich, fand er Trost und Stärkung, fand er die Religion wieder,
die ihm in den Formen eines zelotischer Katholizismus verleidet war. In
einer andern Gestalt seiner Volksgeschichte, in der des Schulmeisters Barthel,
verrät Joachim das andre Mittel, das ihm zur Freiheit über die Enge des
Bauerngeistes verholfen hat. Der kleine, schon geschwächte alte Mann ist der
Humorist des Dorfes Mattweil. Er ist der verkörperte Widerspruchsgeist,
dem nichts recht ist, der an allem etwas zu tadeln hat, den Tadel aber immer so
nützig ausspricht, daß ihm die Bauern trotz ihres Ärgers doch nicht gram sein
können. Dieser alte Schulmeister ist einer von den ernsthaften Spaßmachern.
Er ist ein Todfeind der Pfaffen, und die Bauern, die ihn nicht verstehen,
halten ihn darum für einen Ketzer. Als sich aber einmal ein frivoles Stadt¬
herrlein in seiner Gegenwart über die Religion als „einen überwundneu
Standpunkt" lustig macht, da gerät Barthel in einen solchen Eifer der Ver¬
teidigung, daß die Bauern ganz verdutzt dreinschauen. Bnrthels Humor ist
eben echt, er ist nur der Ausdruck eines freien, unbefangnen Geistes, keines
frivolen Spaßmachers, und darum eben ist er bezeichnend für Joachim, der
sich in gleicher Weise zu deu Bauern stellt. Nur ihre Dummheit, ihr Fana-
tismus, ihr Aberglaube, ihr Eigensinn, ihre blinde Wut und blinde Liebe,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211520"/>
          <fw type="header" place="top"> Joseph Joachim der Banerndichter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063"> Erkenntnis des Rechten zu gelangen. Aber er hatte auch in seiner eignen Brust<lb/>
einen Quell von rechter Weisheit und brauchte nicht viel von den andern zu<lb/>
lernen. Man merkt es seinen Dichtungen an, daß ihm die Poesie eingeboren<lb/>
ist, und daß er in ihr sein wahres Lebensglück, seinen rechten Trost und seine<lb/>
Zuflucht gefunden hat, die ihn über die Schranken seines Daseins hinaushob.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"> In seinem Hauptwerke &#x201E;Die Brüder" schildert uns Joachim (übrigens<lb/>
etwas romantisch) einen einsamen Mann, der weit und breit bei der im kin¬<lb/>
dischen Aberglauben verharrenden Bauernschaft als ein Hexenmeister verschrieen<lb/>
und gefürchtet ist. Shlvan, der Unchrist, hat kaum zwei Menschen, mit denen<lb/>
er verkehrt, und auch diese sind nicht geeignet, sein Herz auszufüllen, ihn zu<lb/>
traulicher Mitteilung dessen, was in ihm vorgeht, zu veranlasse». Aber<lb/>
Shlvan hat auch kein Bedürfnis darnach, er erträgt vierzig Jahre die Ein¬<lb/>
samkeit auf seinem gemiednen Hofe. Sein Gemüt wird durch den Genuß der<lb/>
schönen Natur, durch die gedankenvolle Betrachtung des erhabnen Sternen-<lb/>
himmels befriedigt, und den Überschuß an gegenstandsloser Liebe, die sein Herz<lb/>
erfüllt, überträgt er auf die Tiere. Er liebt sie und behandelt sie wie<lb/>
minder vernünftige Menschen. Er vertieft sich in ihr geheimnisvolles Seelen¬<lb/>
leben, er versteht ihre Sprache, wie er den Gesang der Vogel und das Rauschen<lb/>
des Waldes versteht, und sie gehorchen ihm aufs Wort. Ohne es zu wissen<lb/>
und zu wollen, ist der Manu ein Dichter. Einen solchen Mann zu erfinden<lb/>
und zu zeichnen vermochte aber auch nur ein rechter Dichter, der in ihm zu¬<lb/>
gleich einen Teil seines eignen Wesens darstellte. Die Einsamkeit, in der<lb/>
Joachim im Grunde seiner Seele lebte, machte ihm die Natur verständlich,<lb/>
in ihr fand er sich, fand er Trost und Stärkung, fand er die Religion wieder,<lb/>
die ihm in den Formen eines zelotischer Katholizismus verleidet war. In<lb/>
einer andern Gestalt seiner Volksgeschichte, in der des Schulmeisters Barthel,<lb/>
verrät Joachim das andre Mittel, das ihm zur Freiheit über die Enge des<lb/>
Bauerngeistes verholfen hat. Der kleine, schon geschwächte alte Mann ist der<lb/>
Humorist des Dorfes Mattweil. Er ist der verkörperte Widerspruchsgeist,<lb/>
dem nichts recht ist, der an allem etwas zu tadeln hat, den Tadel aber immer so<lb/>
nützig ausspricht, daß ihm die Bauern trotz ihres Ärgers doch nicht gram sein<lb/>
können. Dieser alte Schulmeister ist einer von den ernsthaften Spaßmachern.<lb/>
Er ist ein Todfeind der Pfaffen, und die Bauern, die ihn nicht verstehen,<lb/>
halten ihn darum für einen Ketzer. Als sich aber einmal ein frivoles Stadt¬<lb/>
herrlein in seiner Gegenwart über die Religion als &#x201E;einen überwundneu<lb/>
Standpunkt" lustig macht, da gerät Barthel in einen solchen Eifer der Ver¬<lb/>
teidigung, daß die Bauern ganz verdutzt dreinschauen. Bnrthels Humor ist<lb/>
eben echt, er ist nur der Ausdruck eines freien, unbefangnen Geistes, keines<lb/>
frivolen Spaßmachers, und darum eben ist er bezeichnend für Joachim, der<lb/>
sich in gleicher Weise zu deu Bauern stellt. Nur ihre Dummheit, ihr Fana-<lb/>
tismus, ihr Aberglaube, ihr Eigensinn, ihre blinde Wut und blinde Liebe,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] Joseph Joachim der Banerndichter Erkenntnis des Rechten zu gelangen. Aber er hatte auch in seiner eignen Brust einen Quell von rechter Weisheit und brauchte nicht viel von den andern zu lernen. Man merkt es seinen Dichtungen an, daß ihm die Poesie eingeboren ist, und daß er in ihr sein wahres Lebensglück, seinen rechten Trost und seine Zuflucht gefunden hat, die ihn über die Schranken seines Daseins hinaushob. In seinem Hauptwerke „Die Brüder" schildert uns Joachim (übrigens etwas romantisch) einen einsamen Mann, der weit und breit bei der im kin¬ dischen Aberglauben verharrenden Bauernschaft als ein Hexenmeister verschrieen und gefürchtet ist. Shlvan, der Unchrist, hat kaum zwei Menschen, mit denen er verkehrt, und auch diese sind nicht geeignet, sein Herz auszufüllen, ihn zu traulicher Mitteilung dessen, was in ihm vorgeht, zu veranlasse». Aber Shlvan hat auch kein Bedürfnis darnach, er erträgt vierzig Jahre die Ein¬ samkeit auf seinem gemiednen Hofe. Sein Gemüt wird durch den Genuß der schönen Natur, durch die gedankenvolle Betrachtung des erhabnen Sternen- himmels befriedigt, und den Überschuß an gegenstandsloser Liebe, die sein Herz erfüllt, überträgt er auf die Tiere. Er liebt sie und behandelt sie wie minder vernünftige Menschen. Er vertieft sich in ihr geheimnisvolles Seelen¬ leben, er versteht ihre Sprache, wie er den Gesang der Vogel und das Rauschen des Waldes versteht, und sie gehorchen ihm aufs Wort. Ohne es zu wissen und zu wollen, ist der Manu ein Dichter. Einen solchen Mann zu erfinden und zu zeichnen vermochte aber auch nur ein rechter Dichter, der in ihm zu¬ gleich einen Teil seines eignen Wesens darstellte. Die Einsamkeit, in der Joachim im Grunde seiner Seele lebte, machte ihm die Natur verständlich, in ihr fand er sich, fand er Trost und Stärkung, fand er die Religion wieder, die ihm in den Formen eines zelotischer Katholizismus verleidet war. In einer andern Gestalt seiner Volksgeschichte, in der des Schulmeisters Barthel, verrät Joachim das andre Mittel, das ihm zur Freiheit über die Enge des Bauerngeistes verholfen hat. Der kleine, schon geschwächte alte Mann ist der Humorist des Dorfes Mattweil. Er ist der verkörperte Widerspruchsgeist, dem nichts recht ist, der an allem etwas zu tadeln hat, den Tadel aber immer so nützig ausspricht, daß ihm die Bauern trotz ihres Ärgers doch nicht gram sein können. Dieser alte Schulmeister ist einer von den ernsthaften Spaßmachern. Er ist ein Todfeind der Pfaffen, und die Bauern, die ihn nicht verstehen, halten ihn darum für einen Ketzer. Als sich aber einmal ein frivoles Stadt¬ herrlein in seiner Gegenwart über die Religion als „einen überwundneu Standpunkt" lustig macht, da gerät Barthel in einen solchen Eifer der Ver¬ teidigung, daß die Bauern ganz verdutzt dreinschauen. Bnrthels Humor ist eben echt, er ist nur der Ausdruck eines freien, unbefangnen Geistes, keines frivolen Spaßmachers, und darum eben ist er bezeichnend für Joachim, der sich in gleicher Weise zu deu Bauern stellt. Nur ihre Dummheit, ihr Fana- tismus, ihr Aberglaube, ihr Eigensinn, ihre blinde Wut und blinde Liebe,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/352>, abgerufen am 23.07.2024.