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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Diirer

ein Triton oder Meermensch i" einer Höhle auf, in deren Besitz er zufällig
gelangt war. Und wenn er einmal eine sah, die allein zur Quelle kam oder
am Ufer spazieren ging, so schlich er sich aus dem Wasser und aus seiner
Höhle leise von hinten herbei, umfaßte sie und zerrte sie zum Meere hin, wo
er sie dann unter das Wasser zu ziehen Pflegte. Da dies den Einwohnern
des Ortes bekannt geworden war, beobachteten sie das Meerwunder sorgfältiger,
legten ihm längere Zeit Schlingen und fingen es bald darauf durch List. Nun
enthielt es sich der Speise, und da es außerhalb des Wassers nicht leben
konnte, zehrte es sich durch Kummer immer mehr auf, bis es starb. Man
sagt, diese Geschöpfe seien sehr verliebt und heftige Weiberfrcundc. Deshalb
hatten auch die Einwohner der Stadt einen Befehl ergehen lassen, daß sich
künftig keine Fran mehr ohne Begleitung von Männern zu der Quelle wagen
dürfe. Dies und ähnliches ist mir sehr häufig von solchen erzählt worden,
die in verschiedenen Meeren gereist waren und gesehen hatte", wie derartige
Ungeheuer bei ruhigem Wasser spielten oder den Schiffern mit ans den Wellen
emporgerichtetem Kopfe entgegenkamen und Töne von sich gaben."

Es scheint darnach, daß besonders das östliche Gestade des Adriatischen
Meeres als Schauplatz solcher Geschichten, die an unsre Seeschlange erinnern,
beliebt war. Allerdings stimmt die Szene auf dem Dürerschen Kupferstich
mit keiner der beiden erzählten Geschichten genau überein, aber das türkische
Kostüm des Mannes am Ufer und die äußere Erscheinung des Ungeheuers
erinnert doch so lebhaft daran, daß wir keinen Augenblick in Zweifel sein
können, Dürer habe den Stoff zu dieser Komposition ans einer ähnlichen
vielleicht in Venedig ihm zugetragenen Geschichte geschöpft. Vorübergehend
habe ich anch daran gedacht, daß Dürer durch eine um 1470 in Unterfranken
niedergeschriebene Heldensage von dem Meerwunder und der Königin Theodv-
linde, die später auch Haus Sachs bearbeitet hat, zu seinem Stiche angeregt
worden sein könnte. Doch ist die Übereinstimmung mit dieser Sage geringer
als die mit den oben erzählten Geschichten. Wir werden also Dürers Meer-
wunder künftig nicht mehr als "Raub der Amymvne" deuten und als Beweis
für Dürers Bekanntschaft mit der griechischen Mythologie herbeiziehen dürfen,
sondern den Stich vielmehr als einen Ausfluß das damals herrschenden Aber¬
glaubens auffassen und mit dein achtbeinigen Schwein von 1496, den zu-
sammengewachsenen Zwillingen von 15>12, dem Franenranb uns dem Einhorn
u. s. w. zusammenstellen müssen.

Die Periode Dürers, aus der diese Blätter stammen, wird von Springer
als die humanistische bezeichnet, womit wenigstens eine Richtung in seinen
damaligen Bestrebungen treffend charakterisirt ist. Die folgende will er die
erasmische nennen, weil mehrere bedeutende Kupferstiche, die damals entstanden
sind, auf Anregungen erasmischer Schriften zurückzuführen feien. Sicher ist
das ja der Fall bei dem Kupferstich "Ritter, Tod und Teufel," den schon


Albrecht Diirer

ein Triton oder Meermensch i» einer Höhle auf, in deren Besitz er zufällig
gelangt war. Und wenn er einmal eine sah, die allein zur Quelle kam oder
am Ufer spazieren ging, so schlich er sich aus dem Wasser und aus seiner
Höhle leise von hinten herbei, umfaßte sie und zerrte sie zum Meere hin, wo
er sie dann unter das Wasser zu ziehen Pflegte. Da dies den Einwohnern
des Ortes bekannt geworden war, beobachteten sie das Meerwunder sorgfältiger,
legten ihm längere Zeit Schlingen und fingen es bald darauf durch List. Nun
enthielt es sich der Speise, und da es außerhalb des Wassers nicht leben
konnte, zehrte es sich durch Kummer immer mehr auf, bis es starb. Man
sagt, diese Geschöpfe seien sehr verliebt und heftige Weiberfrcundc. Deshalb
hatten auch die Einwohner der Stadt einen Befehl ergehen lassen, daß sich
künftig keine Fran mehr ohne Begleitung von Männern zu der Quelle wagen
dürfe. Dies und ähnliches ist mir sehr häufig von solchen erzählt worden,
die in verschiedenen Meeren gereist waren und gesehen hatte», wie derartige
Ungeheuer bei ruhigem Wasser spielten oder den Schiffern mit ans den Wellen
emporgerichtetem Kopfe entgegenkamen und Töne von sich gaben."

Es scheint darnach, daß besonders das östliche Gestade des Adriatischen
Meeres als Schauplatz solcher Geschichten, die an unsre Seeschlange erinnern,
beliebt war. Allerdings stimmt die Szene auf dem Dürerschen Kupferstich
mit keiner der beiden erzählten Geschichten genau überein, aber das türkische
Kostüm des Mannes am Ufer und die äußere Erscheinung des Ungeheuers
erinnert doch so lebhaft daran, daß wir keinen Augenblick in Zweifel sein
können, Dürer habe den Stoff zu dieser Komposition ans einer ähnlichen
vielleicht in Venedig ihm zugetragenen Geschichte geschöpft. Vorübergehend
habe ich anch daran gedacht, daß Dürer durch eine um 1470 in Unterfranken
niedergeschriebene Heldensage von dem Meerwunder und der Königin Theodv-
linde, die später auch Haus Sachs bearbeitet hat, zu seinem Stiche angeregt
worden sein könnte. Doch ist die Übereinstimmung mit dieser Sage geringer
als die mit den oben erzählten Geschichten. Wir werden also Dürers Meer-
wunder künftig nicht mehr als „Raub der Amymvne" deuten und als Beweis
für Dürers Bekanntschaft mit der griechischen Mythologie herbeiziehen dürfen,
sondern den Stich vielmehr als einen Ausfluß das damals herrschenden Aber¬
glaubens auffassen und mit dein achtbeinigen Schwein von 1496, den zu-
sammengewachsenen Zwillingen von 15>12, dem Franenranb uns dem Einhorn
u. s. w. zusammenstellen müssen.

Die Periode Dürers, aus der diese Blätter stammen, wird von Springer
als die humanistische bezeichnet, womit wenigstens eine Richtung in seinen
damaligen Bestrebungen treffend charakterisirt ist. Die folgende will er die
erasmische nennen, weil mehrere bedeutende Kupferstiche, die damals entstanden
sind, auf Anregungen erasmischer Schriften zurückzuführen feien. Sicher ist
das ja der Fall bei dem Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel," den schon


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[0348] Albrecht Diirer ein Triton oder Meermensch i» einer Höhle auf, in deren Besitz er zufällig gelangt war. Und wenn er einmal eine sah, die allein zur Quelle kam oder am Ufer spazieren ging, so schlich er sich aus dem Wasser und aus seiner Höhle leise von hinten herbei, umfaßte sie und zerrte sie zum Meere hin, wo er sie dann unter das Wasser zu ziehen Pflegte. Da dies den Einwohnern des Ortes bekannt geworden war, beobachteten sie das Meerwunder sorgfältiger, legten ihm längere Zeit Schlingen und fingen es bald darauf durch List. Nun enthielt es sich der Speise, und da es außerhalb des Wassers nicht leben konnte, zehrte es sich durch Kummer immer mehr auf, bis es starb. Man sagt, diese Geschöpfe seien sehr verliebt und heftige Weiberfrcundc. Deshalb hatten auch die Einwohner der Stadt einen Befehl ergehen lassen, daß sich künftig keine Fran mehr ohne Begleitung von Männern zu der Quelle wagen dürfe. Dies und ähnliches ist mir sehr häufig von solchen erzählt worden, die in verschiedenen Meeren gereist waren und gesehen hatte», wie derartige Ungeheuer bei ruhigem Wasser spielten oder den Schiffern mit ans den Wellen emporgerichtetem Kopfe entgegenkamen und Töne von sich gaben." Es scheint darnach, daß besonders das östliche Gestade des Adriatischen Meeres als Schauplatz solcher Geschichten, die an unsre Seeschlange erinnern, beliebt war. Allerdings stimmt die Szene auf dem Dürerschen Kupferstich mit keiner der beiden erzählten Geschichten genau überein, aber das türkische Kostüm des Mannes am Ufer und die äußere Erscheinung des Ungeheuers erinnert doch so lebhaft daran, daß wir keinen Augenblick in Zweifel sein können, Dürer habe den Stoff zu dieser Komposition ans einer ähnlichen vielleicht in Venedig ihm zugetragenen Geschichte geschöpft. Vorübergehend habe ich anch daran gedacht, daß Dürer durch eine um 1470 in Unterfranken niedergeschriebene Heldensage von dem Meerwunder und der Königin Theodv- linde, die später auch Haus Sachs bearbeitet hat, zu seinem Stiche angeregt worden sein könnte. Doch ist die Übereinstimmung mit dieser Sage geringer als die mit den oben erzählten Geschichten. Wir werden also Dürers Meer- wunder künftig nicht mehr als „Raub der Amymvne" deuten und als Beweis für Dürers Bekanntschaft mit der griechischen Mythologie herbeiziehen dürfen, sondern den Stich vielmehr als einen Ausfluß das damals herrschenden Aber¬ glaubens auffassen und mit dein achtbeinigen Schwein von 1496, den zu- sammengewachsenen Zwillingen von 15>12, dem Franenranb uns dem Einhorn u. s. w. zusammenstellen müssen. Die Periode Dürers, aus der diese Blätter stammen, wird von Springer als die humanistische bezeichnet, womit wenigstens eine Richtung in seinen damaligen Bestrebungen treffend charakterisirt ist. Die folgende will er die erasmische nennen, weil mehrere bedeutende Kupferstiche, die damals entstanden sind, auf Anregungen erasmischer Schriften zurückzuführen feien. Sicher ist das ja der Fall bei dem Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel," den schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/348>, abgerufen am 23.07.2024.