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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode

zeichnen sind. Hierbei wollen sie durchaus nicht leichtgläubig erscheinen; sie
ziehen alle möglichen Fehlerquellen in Rechnung, wie die absichtliche und un-
absichtliche Simulation, das Verhältnis der gelungner zu den mißlungnen
Versuchen, Koincidenz aus allerhand Ursachen, besonders Assoziationskvnkor-
danz, Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie die gesteigerte Kombinationssähig-
keit mancher Versuchspersonen; sie stellen ihre Versuche mit allen möglichen
Vorsichtsmaßregeln an, sie unterwerfen sie einer strengen Kritik, sie verheimlichen
ihre Mißerfolge nicht, sie stellen umständliche Wahrscheinlichkeitsberechnungen
an und kommen doch zu Ergebnissen, bei denen die Naturgeschichte aushört.
Auch hat man keinen Grund, an der too^ lläes des Experimentirenden zu
zweifeln. Riedel selbst nimmt es damit so ernst, daß er fast an seiner eignen
Glaubwürdigkeit zweiselt. Es giebt, sagt er, eine völlig unantastbare absolute
Glaubwürdigkeit, die mau fast niemals antrifft und die man auch nicht von
sich selbst erwarten kann. Denn dnrch gewisse Bemühungen, die man macht,
läßt man sich immer mehr oder weniger zu einem sogenannten Daumenstoß
verleiten. Ist aber der wissenschaftlich geschulte Experimentator seiner selbst
nicht sicher, wie viel weniger andre Leute, die die Gefahr der Selbsttäuschung
nicht kennen! Sehen wir uns diese mit aller Vorsicht angestellten Experi¬
mente näher an.

Die erste Gruppe bezieht sich auf den Versuch, eine Person ans der Ferne
durch Konzentration der Gedanken und gewisse Handbewegungen zum Schlase
zu zwingen. Der Versnchsgegenstand ist Leonie, eine Frau, die von Kindheit
an Krisen des natürlichen Somnambulismus hatte, die zehn Jahre lang hypno-
tistrt wurde, mit der Janet und Gibert experimentirt haben. Das macht uns
von vornherein mißtrauisch. Mau kaun von einer solchen Person alle mög¬
lichen Mucken und Zufälle erwarten, die, wenn sie zufälligerweise mit einer
Suggestion zusammentreffen, nichts außergewöhnliches bedeuten.

Riedel hat nun nenn Versuche angestellt, von denen drei völlig mißrieten,
vier unsicher sind und zwei gelungen sein sollen. Die drei sprechen also gegen
die Sache, die vier uicht dafür; sehen wir uns die zwei gelungner Ver¬
suche an.

Riedel bestimmt in seiner Wohnung durchs Los die Zeit und wirkt (auf
die Entfernung eines Kilometers) von 9 Uhr 11 Minuten bis 9 Uhr 26 Minuten
auf Leonie ein. An demselben Tage um 1 Uhr 3V Minuten besucht ihn ein
Freund, dem er unter den üblichen Handbewegungen erklärt, wie man in die
Ferne wirkt. Um 5 Uhr geht er zu seinem Freunde Ferrari, in dessen Hanse
sich Leonie befindet, und erfährt, daß Leonie früh morgens Kopfschmerzen ge¬
habt habe. Zehn Minuten darnach sei sie hinuntergegangen, das sei 9 Uhr
1") Minuten gewesen, dann seien die Kopfschmerzen ärger geworden, und sie
habe sich sehr unwohl befunden. (Hiernach hätten also die Kopfschmerzen vor
9 Uhr 11 Minuten begonnen.) Andre geben als Zeit 9 Uhr l> Minuten,


Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode

zeichnen sind. Hierbei wollen sie durchaus nicht leichtgläubig erscheinen; sie
ziehen alle möglichen Fehlerquellen in Rechnung, wie die absichtliche und un-
absichtliche Simulation, das Verhältnis der gelungner zu den mißlungnen
Versuchen, Koincidenz aus allerhand Ursachen, besonders Assoziationskvnkor-
danz, Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie die gesteigerte Kombinationssähig-
keit mancher Versuchspersonen; sie stellen ihre Versuche mit allen möglichen
Vorsichtsmaßregeln an, sie unterwerfen sie einer strengen Kritik, sie verheimlichen
ihre Mißerfolge nicht, sie stellen umständliche Wahrscheinlichkeitsberechnungen
an und kommen doch zu Ergebnissen, bei denen die Naturgeschichte aushört.
Auch hat man keinen Grund, an der too^ lläes des Experimentirenden zu
zweifeln. Riedel selbst nimmt es damit so ernst, daß er fast an seiner eignen
Glaubwürdigkeit zweiselt. Es giebt, sagt er, eine völlig unantastbare absolute
Glaubwürdigkeit, die mau fast niemals antrifft und die man auch nicht von
sich selbst erwarten kann. Denn dnrch gewisse Bemühungen, die man macht,
läßt man sich immer mehr oder weniger zu einem sogenannten Daumenstoß
verleiten. Ist aber der wissenschaftlich geschulte Experimentator seiner selbst
nicht sicher, wie viel weniger andre Leute, die die Gefahr der Selbsttäuschung
nicht kennen! Sehen wir uns diese mit aller Vorsicht angestellten Experi¬
mente näher an.

Die erste Gruppe bezieht sich auf den Versuch, eine Person ans der Ferne
durch Konzentration der Gedanken und gewisse Handbewegungen zum Schlase
zu zwingen. Der Versnchsgegenstand ist Leonie, eine Frau, die von Kindheit
an Krisen des natürlichen Somnambulismus hatte, die zehn Jahre lang hypno-
tistrt wurde, mit der Janet und Gibert experimentirt haben. Das macht uns
von vornherein mißtrauisch. Mau kaun von einer solchen Person alle mög¬
lichen Mucken und Zufälle erwarten, die, wenn sie zufälligerweise mit einer
Suggestion zusammentreffen, nichts außergewöhnliches bedeuten.

Riedel hat nun nenn Versuche angestellt, von denen drei völlig mißrieten,
vier unsicher sind und zwei gelungen sein sollen. Die drei sprechen also gegen
die Sache, die vier uicht dafür; sehen wir uns die zwei gelungner Ver¬
suche an.

Riedel bestimmt in seiner Wohnung durchs Los die Zeit und wirkt (auf
die Entfernung eines Kilometers) von 9 Uhr 11 Minuten bis 9 Uhr 26 Minuten
auf Leonie ein. An demselben Tage um 1 Uhr 3V Minuten besucht ihn ein
Freund, dem er unter den üblichen Handbewegungen erklärt, wie man in die
Ferne wirkt. Um 5 Uhr geht er zu seinem Freunde Ferrari, in dessen Hanse
sich Leonie befindet, und erfährt, daß Leonie früh morgens Kopfschmerzen ge¬
habt habe. Zehn Minuten darnach sei sie hinuntergegangen, das sei 9 Uhr
1«) Minuten gewesen, dann seien die Kopfschmerzen ärger geworden, und sie
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[0034] Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode zeichnen sind. Hierbei wollen sie durchaus nicht leichtgläubig erscheinen; sie ziehen alle möglichen Fehlerquellen in Rechnung, wie die absichtliche und un- absichtliche Simulation, das Verhältnis der gelungner zu den mißlungnen Versuchen, Koincidenz aus allerhand Ursachen, besonders Assoziationskvnkor- danz, Hyperästhesie der Sinnesorgane sowie die gesteigerte Kombinationssähig- keit mancher Versuchspersonen; sie stellen ihre Versuche mit allen möglichen Vorsichtsmaßregeln an, sie unterwerfen sie einer strengen Kritik, sie verheimlichen ihre Mißerfolge nicht, sie stellen umständliche Wahrscheinlichkeitsberechnungen an und kommen doch zu Ergebnissen, bei denen die Naturgeschichte aushört. Auch hat man keinen Grund, an der too^ lläes des Experimentirenden zu zweifeln. Riedel selbst nimmt es damit so ernst, daß er fast an seiner eignen Glaubwürdigkeit zweiselt. Es giebt, sagt er, eine völlig unantastbare absolute Glaubwürdigkeit, die mau fast niemals antrifft und die man auch nicht von sich selbst erwarten kann. Denn dnrch gewisse Bemühungen, die man macht, läßt man sich immer mehr oder weniger zu einem sogenannten Daumenstoß verleiten. Ist aber der wissenschaftlich geschulte Experimentator seiner selbst nicht sicher, wie viel weniger andre Leute, die die Gefahr der Selbsttäuschung nicht kennen! Sehen wir uns diese mit aller Vorsicht angestellten Experi¬ mente näher an. Die erste Gruppe bezieht sich auf den Versuch, eine Person ans der Ferne durch Konzentration der Gedanken und gewisse Handbewegungen zum Schlase zu zwingen. Der Versnchsgegenstand ist Leonie, eine Frau, die von Kindheit an Krisen des natürlichen Somnambulismus hatte, die zehn Jahre lang hypno- tistrt wurde, mit der Janet und Gibert experimentirt haben. Das macht uns von vornherein mißtrauisch. Mau kaun von einer solchen Person alle mög¬ lichen Mucken und Zufälle erwarten, die, wenn sie zufälligerweise mit einer Suggestion zusammentreffen, nichts außergewöhnliches bedeuten. Riedel hat nun nenn Versuche angestellt, von denen drei völlig mißrieten, vier unsicher sind und zwei gelungen sein sollen. Die drei sprechen also gegen die Sache, die vier uicht dafür; sehen wir uns die zwei gelungner Ver¬ suche an. Riedel bestimmt in seiner Wohnung durchs Los die Zeit und wirkt (auf die Entfernung eines Kilometers) von 9 Uhr 11 Minuten bis 9 Uhr 26 Minuten auf Leonie ein. An demselben Tage um 1 Uhr 3V Minuten besucht ihn ein Freund, dem er unter den üblichen Handbewegungen erklärt, wie man in die Ferne wirkt. Um 5 Uhr geht er zu seinem Freunde Ferrari, in dessen Hanse sich Leonie befindet, und erfährt, daß Leonie früh morgens Kopfschmerzen ge¬ habt habe. Zehn Minuten darnach sei sie hinuntergegangen, das sei 9 Uhr 1«) Minuten gewesen, dann seien die Kopfschmerzen ärger geworden, und sie habe sich sehr unwohl befunden. (Hiernach hätten also die Kopfschmerzen vor 9 Uhr 11 Minuten begonnen.) Andre geben als Zeit 9 Uhr l> Minuten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/34>, abgerufen am 23.07.2024.