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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

mehr fähig sind; desgleichen strebsame Direktoren, die es verstanden hatten,
sich bei dem vorgesetzten Präsidenten durch brüskes Auftreten den Beisitzern
und Referendaren gegenüber in den Ruf der Schneidigkeit zu bringen; auch
Oberlandesgerichtsräte, die sich den geschilderten Ansichten ihrer Chefs
nach Möglichkeit anzubequemen gewußt hatte". Charaktervolle Beamte haben
heute weniger denn je Aussicht, befördert zu werden, und in welchem Umfange
bisweilen selbst der Urteilsfindung eine gewisse Richtung zu gebe" versucht wird,
dafür laufen in den Richterkreisen höchst seltsame Mitteilungen ein. Natür¬
lich setze sich dies bei den Vorschlägen zu Aintsrichterernennungen und
Versetzungen an sozial bessere Orte verstärkt fort. Noch weit weniger als
oben wird dort die einzelne Persönlichkeit und der Ort ihrer Anstellung ge¬
würdigt: Schablone oder persönliche Beziehungen sind das einzige, was hier
waltet -- praktische Tüchtigkeit, gediegene Leistungen auch auf dein Gebiete
der Rechts- und Staatswissenschaften gelten entweder für nichts oder sogar
für schädlichen Ballast. "Bei Anstellungen und Beförderungen bilden heute
ganz andre Punkte als Leistungen und Kenntnisse die ausschlaggebenden Fak¬
toren" -- so äußerte sich jüngst einer der höchsten richterlichen Beamten
der alten Schule öffentlich in einer juristisch zusammengesetzten Gesellschaft,
ohne Widerspruch zu finden.

Bei solcher Lage der Dinge ist es nicht verwunderlich, daß das Niveau
des Richterstandes von Jahr zu Jahr sinkt. Diese tief bedauerliche Thatsache
wird besonders noch dadurch herbeigeführt, daß gerade bei den Vorschlägen
für die kleinern Städte und die Versetzungen ans diesen die persönlichen An¬
lagen der Bewerber fast gar nicht berücksichtigt werden. Der Königs¬
berger Chefprüsident mag nicht Unrecht haben, wenn er die jungen Richter
bei jeder sich darbietenden Gelegenheit vor dem Trunke warnte. Wenn
aber unter deu geschilderten Verhältnissen charakterschwache Naturen dieser
Leidenschaft zum Opfer fallen, so ist das doch begreiflich. Die Neigungen und
Anlagen der Menschen sind verschieden, und so sondern sie sich schon durch
die Berufswahl zu großen Gruppen. Aber auch innerhalb der Berufsstäude
selbst ist wieder die persönliche Anlage von größter Bedeutung. Während sich
aber im freien Erwerbs- und Verkehrsleben des geschäftstreibenden Teiles
der Bevölkerung die weitere Gliederung durch das Interesse am eigne" Fort¬
kommen fortgesetzt vollzieht, ist bei den Beamten der Wille der Vorgesetzten
und ihr Urteil das einzig ausschlaggebende. Mit Recht sollte es daher als
die allererste, ja als eine heilige Pflicht der Borgesetzte" betrachtet werde",
ihre Untergebeiien möglichst gerecht z" würdige" und sie möglichst i" solche
Stellungen zu bringen, für die sie nach ihrer ganzen Anlage berufe" sind.
Und doch wird gerade hier außerordentlich oft und schwer gefehlt. Männer
im Vollbesitz der ersten Schaffenskraft werden in Flecken angestellt, die allen¬
falls einem altersmttden Emeriten genügende Beschäftiginig gewähre" könne",


Die preußische Justizverwaltung

mehr fähig sind; desgleichen strebsame Direktoren, die es verstanden hatten,
sich bei dem vorgesetzten Präsidenten durch brüskes Auftreten den Beisitzern
und Referendaren gegenüber in den Ruf der Schneidigkeit zu bringen; auch
Oberlandesgerichtsräte, die sich den geschilderten Ansichten ihrer Chefs
nach Möglichkeit anzubequemen gewußt hatte». Charaktervolle Beamte haben
heute weniger denn je Aussicht, befördert zu werden, und in welchem Umfange
bisweilen selbst der Urteilsfindung eine gewisse Richtung zu gebe» versucht wird,
dafür laufen in den Richterkreisen höchst seltsame Mitteilungen ein. Natür¬
lich setze sich dies bei den Vorschlägen zu Aintsrichterernennungen und
Versetzungen an sozial bessere Orte verstärkt fort. Noch weit weniger als
oben wird dort die einzelne Persönlichkeit und der Ort ihrer Anstellung ge¬
würdigt: Schablone oder persönliche Beziehungen sind das einzige, was hier
waltet — praktische Tüchtigkeit, gediegene Leistungen auch auf dein Gebiete
der Rechts- und Staatswissenschaften gelten entweder für nichts oder sogar
für schädlichen Ballast. „Bei Anstellungen und Beförderungen bilden heute
ganz andre Punkte als Leistungen und Kenntnisse die ausschlaggebenden Fak¬
toren" — so äußerte sich jüngst einer der höchsten richterlichen Beamten
der alten Schule öffentlich in einer juristisch zusammengesetzten Gesellschaft,
ohne Widerspruch zu finden.

Bei solcher Lage der Dinge ist es nicht verwunderlich, daß das Niveau
des Richterstandes von Jahr zu Jahr sinkt. Diese tief bedauerliche Thatsache
wird besonders noch dadurch herbeigeführt, daß gerade bei den Vorschlägen
für die kleinern Städte und die Versetzungen ans diesen die persönlichen An¬
lagen der Bewerber fast gar nicht berücksichtigt werden. Der Königs¬
berger Chefprüsident mag nicht Unrecht haben, wenn er die jungen Richter
bei jeder sich darbietenden Gelegenheit vor dem Trunke warnte. Wenn
aber unter deu geschilderten Verhältnissen charakterschwache Naturen dieser
Leidenschaft zum Opfer fallen, so ist das doch begreiflich. Die Neigungen und
Anlagen der Menschen sind verschieden, und so sondern sie sich schon durch
die Berufswahl zu großen Gruppen. Aber auch innerhalb der Berufsstäude
selbst ist wieder die persönliche Anlage von größter Bedeutung. Während sich
aber im freien Erwerbs- und Verkehrsleben des geschäftstreibenden Teiles
der Bevölkerung die weitere Gliederung durch das Interesse am eigne» Fort¬
kommen fortgesetzt vollzieht, ist bei den Beamten der Wille der Vorgesetzten
und ihr Urteil das einzig ausschlaggebende. Mit Recht sollte es daher als
die allererste, ja als eine heilige Pflicht der Borgesetzte» betrachtet werde»,
ihre Untergebeiien möglichst gerecht z» würdige» und sie möglichst i» solche
Stellungen zu bringen, für die sie nach ihrer ganzen Anlage berufe» sind.
Und doch wird gerade hier außerordentlich oft und schwer gefehlt. Männer
im Vollbesitz der ersten Schaffenskraft werden in Flecken angestellt, die allen¬
falls einem altersmttden Emeriten genügende Beschäftiginig gewähre» könne»,


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[0282] Die preußische Justizverwaltung mehr fähig sind; desgleichen strebsame Direktoren, die es verstanden hatten, sich bei dem vorgesetzten Präsidenten durch brüskes Auftreten den Beisitzern und Referendaren gegenüber in den Ruf der Schneidigkeit zu bringen; auch Oberlandesgerichtsräte, die sich den geschilderten Ansichten ihrer Chefs nach Möglichkeit anzubequemen gewußt hatte». Charaktervolle Beamte haben heute weniger denn je Aussicht, befördert zu werden, und in welchem Umfange bisweilen selbst der Urteilsfindung eine gewisse Richtung zu gebe» versucht wird, dafür laufen in den Richterkreisen höchst seltsame Mitteilungen ein. Natür¬ lich setze sich dies bei den Vorschlägen zu Aintsrichterernennungen und Versetzungen an sozial bessere Orte verstärkt fort. Noch weit weniger als oben wird dort die einzelne Persönlichkeit und der Ort ihrer Anstellung ge¬ würdigt: Schablone oder persönliche Beziehungen sind das einzige, was hier waltet — praktische Tüchtigkeit, gediegene Leistungen auch auf dein Gebiete der Rechts- und Staatswissenschaften gelten entweder für nichts oder sogar für schädlichen Ballast. „Bei Anstellungen und Beförderungen bilden heute ganz andre Punkte als Leistungen und Kenntnisse die ausschlaggebenden Fak¬ toren" — so äußerte sich jüngst einer der höchsten richterlichen Beamten der alten Schule öffentlich in einer juristisch zusammengesetzten Gesellschaft, ohne Widerspruch zu finden. Bei solcher Lage der Dinge ist es nicht verwunderlich, daß das Niveau des Richterstandes von Jahr zu Jahr sinkt. Diese tief bedauerliche Thatsache wird besonders noch dadurch herbeigeführt, daß gerade bei den Vorschlägen für die kleinern Städte und die Versetzungen ans diesen die persönlichen An¬ lagen der Bewerber fast gar nicht berücksichtigt werden. Der Königs¬ berger Chefprüsident mag nicht Unrecht haben, wenn er die jungen Richter bei jeder sich darbietenden Gelegenheit vor dem Trunke warnte. Wenn aber unter deu geschilderten Verhältnissen charakterschwache Naturen dieser Leidenschaft zum Opfer fallen, so ist das doch begreiflich. Die Neigungen und Anlagen der Menschen sind verschieden, und so sondern sie sich schon durch die Berufswahl zu großen Gruppen. Aber auch innerhalb der Berufsstäude selbst ist wieder die persönliche Anlage von größter Bedeutung. Während sich aber im freien Erwerbs- und Verkehrsleben des geschäftstreibenden Teiles der Bevölkerung die weitere Gliederung durch das Interesse am eigne» Fort¬ kommen fortgesetzt vollzieht, ist bei den Beamten der Wille der Vorgesetzten und ihr Urteil das einzig ausschlaggebende. Mit Recht sollte es daher als die allererste, ja als eine heilige Pflicht der Borgesetzte» betrachtet werde», ihre Untergebeiien möglichst gerecht z» würdige» und sie möglichst i» solche Stellungen zu bringen, für die sie nach ihrer ganzen Anlage berufe» sind. Und doch wird gerade hier außerordentlich oft und schwer gefehlt. Männer im Vollbesitz der ersten Schaffenskraft werden in Flecken angestellt, die allen¬ falls einem altersmttden Emeriten genügende Beschäftiginig gewähre» könne»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/282>, abgerufen am 23.07.2024.