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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das volksschnlgesetz

zu erteilen. Die kirchliche Oberbehörde ist befugt, im Einverständnisse mit
dem Regierungspräsidenten einen Ortsgeistlichen ganz oder teilweise mit der
Erteilung des Religionsunterrichts zu beauftragen. Eine Zurückweisung des
mit der Leitung des Religionsunterrichts beauftragten vom Besuche der
Volksschule ist zulässig, wenn derselbe (er!) die Ordnung der Schule gestört hat.
Die Zurückweisung erfolgt durch Beschluß des Regierungspräsidenten nach
Benehmen (?) mit den kirchlichen Oberbehörden.

Der erste dieser drei Punkte ist selbstverständlich, der zweite unwesentlich,
der dritte aber der kritische Punkt des Gesetzes.

Daß Lehrbücher und Lehrpläne mit Zustimmung der kirchliche" Behörde"
eingeführt werden, ist, wenn die Schule nicht beanspruchen will, neben dem
kirchlichen Glauben ihren eignen zu lehren, selbstverständlich und seiner Zeit
auch von Falk anerkannt und angeordnet worden. Daß ein Beauftragter
der Kirche beim Examen der Seminaristen gegenwartig ist und sein Urteil ab¬
giebt, hat mehr eine grundsätzliche Bedeutung als praktische Folgen. Man
kommt der katholischen Kirche entgegen, die den Grundsatz hat, daß alles,
was in religiösen Dingen gethan wird, in ihrem Auftrage geschieht. Man
verschafft ihr also Gelegenheit, ihr Plaeet zu geben. Es ist nicht zu fürchten,
daß Lehrer ersten und zweiten Grades entstehen. Wer das nicht leistet, was
im Examen verlangt wird, füllt durch, mag ein Vertreter der Kirche zugegen
sein oder uicht. Ein Urteil darüber, ob ein Lehrer geeignet sei, den Religions¬
unterricht zu geben oder nicht, kann durch das Examen überhaupt nicht ge¬
wonnen werden. Das zeigt sich frühestens beim zweiten Examen, meist
erst in spätern Jahren. Daß ferner der Pfarrer das Recht habe, dem Reli¬
gionsunterrichte beizuwohnen und dem Lehrer seine Meinung mitzuteilen, ist
bestehendes Recht. Es ist an dieser Stelle früher einmal nachgewiesen worden,
daß die Kirche mit diesem Recht sehr wenig wirklichen Einfluß ausüben tan".
Neu ist die Wendung: die Religionsgenosseuschafteu haben das Recht der
Leitung des Religionsunterrichtes, und sie dürfen die Lehrer mit Weisungen
versehen. Es ist damit der Kirche -- wir denken hierbei immer an die katho¬
lische Kirche -- ein weiterer Spielraum gegeben, zu gleicher Zeit aber auch
die Handhabe zu Übergriffen und die Möglichkeit von ewigen Konflikten.
Aber es ist im Gesetz mit keinem Worte gesagt, wie diese Konflikte zu lösen
seien.

Was geschieht, wenn die Weisungen, die der Pfarrer erteilt, mit den
Weisungen der Schulaufsichtsbehvrde in Gegensatz kommen? Was geschieht,
wenn der Pfarrer z.B. vom Standpunkte des Religionsunterrichts ans katho¬
lische Geschichte, die Schulbehörde aber objektive Geschichte fordert? Der
Regierungspräsident und der Bischof müssen sich vereinigen. Es wird aber
schwer geschehen. Was geschieht, wenn der Pfarrer "die Schulordnung gestört
hat"? Er wirds nicht zugeben, und die kirchliche Oberbehörde anch nicht.


Das volksschnlgesetz

zu erteilen. Die kirchliche Oberbehörde ist befugt, im Einverständnisse mit
dem Regierungspräsidenten einen Ortsgeistlichen ganz oder teilweise mit der
Erteilung des Religionsunterrichts zu beauftragen. Eine Zurückweisung des
mit der Leitung des Religionsunterrichts beauftragten vom Besuche der
Volksschule ist zulässig, wenn derselbe (er!) die Ordnung der Schule gestört hat.
Die Zurückweisung erfolgt durch Beschluß des Regierungspräsidenten nach
Benehmen (?) mit den kirchlichen Oberbehörden.

Der erste dieser drei Punkte ist selbstverständlich, der zweite unwesentlich,
der dritte aber der kritische Punkt des Gesetzes.

Daß Lehrbücher und Lehrpläne mit Zustimmung der kirchliche» Behörde»
eingeführt werden, ist, wenn die Schule nicht beanspruchen will, neben dem
kirchlichen Glauben ihren eignen zu lehren, selbstverständlich und seiner Zeit
auch von Falk anerkannt und angeordnet worden. Daß ein Beauftragter
der Kirche beim Examen der Seminaristen gegenwartig ist und sein Urteil ab¬
giebt, hat mehr eine grundsätzliche Bedeutung als praktische Folgen. Man
kommt der katholischen Kirche entgegen, die den Grundsatz hat, daß alles,
was in religiösen Dingen gethan wird, in ihrem Auftrage geschieht. Man
verschafft ihr also Gelegenheit, ihr Plaeet zu geben. Es ist nicht zu fürchten,
daß Lehrer ersten und zweiten Grades entstehen. Wer das nicht leistet, was
im Examen verlangt wird, füllt durch, mag ein Vertreter der Kirche zugegen
sein oder uicht. Ein Urteil darüber, ob ein Lehrer geeignet sei, den Religions¬
unterricht zu geben oder nicht, kann durch das Examen überhaupt nicht ge¬
wonnen werden. Das zeigt sich frühestens beim zweiten Examen, meist
erst in spätern Jahren. Daß ferner der Pfarrer das Recht habe, dem Reli¬
gionsunterrichte beizuwohnen und dem Lehrer seine Meinung mitzuteilen, ist
bestehendes Recht. Es ist an dieser Stelle früher einmal nachgewiesen worden,
daß die Kirche mit diesem Recht sehr wenig wirklichen Einfluß ausüben tan».
Neu ist die Wendung: die Religionsgenosseuschafteu haben das Recht der
Leitung des Religionsunterrichtes, und sie dürfen die Lehrer mit Weisungen
versehen. Es ist damit der Kirche — wir denken hierbei immer an die katho¬
lische Kirche — ein weiterer Spielraum gegeben, zu gleicher Zeit aber auch
die Handhabe zu Übergriffen und die Möglichkeit von ewigen Konflikten.
Aber es ist im Gesetz mit keinem Worte gesagt, wie diese Konflikte zu lösen
seien.

Was geschieht, wenn die Weisungen, die der Pfarrer erteilt, mit den
Weisungen der Schulaufsichtsbehvrde in Gegensatz kommen? Was geschieht,
wenn der Pfarrer z.B. vom Standpunkte des Religionsunterrichts ans katho¬
lische Geschichte, die Schulbehörde aber objektive Geschichte fordert? Der
Regierungspräsident und der Bischof müssen sich vereinigen. Es wird aber
schwer geschehen. Was geschieht, wenn der Pfarrer „die Schulordnung gestört
hat"? Er wirds nicht zugeben, und die kirchliche Oberbehörde anch nicht.


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[0255] Das volksschnlgesetz zu erteilen. Die kirchliche Oberbehörde ist befugt, im Einverständnisse mit dem Regierungspräsidenten einen Ortsgeistlichen ganz oder teilweise mit der Erteilung des Religionsunterrichts zu beauftragen. Eine Zurückweisung des mit der Leitung des Religionsunterrichts beauftragten vom Besuche der Volksschule ist zulässig, wenn derselbe (er!) die Ordnung der Schule gestört hat. Die Zurückweisung erfolgt durch Beschluß des Regierungspräsidenten nach Benehmen (?) mit den kirchlichen Oberbehörden. Der erste dieser drei Punkte ist selbstverständlich, der zweite unwesentlich, der dritte aber der kritische Punkt des Gesetzes. Daß Lehrbücher und Lehrpläne mit Zustimmung der kirchliche» Behörde» eingeführt werden, ist, wenn die Schule nicht beanspruchen will, neben dem kirchlichen Glauben ihren eignen zu lehren, selbstverständlich und seiner Zeit auch von Falk anerkannt und angeordnet worden. Daß ein Beauftragter der Kirche beim Examen der Seminaristen gegenwartig ist und sein Urteil ab¬ giebt, hat mehr eine grundsätzliche Bedeutung als praktische Folgen. Man kommt der katholischen Kirche entgegen, die den Grundsatz hat, daß alles, was in religiösen Dingen gethan wird, in ihrem Auftrage geschieht. Man verschafft ihr also Gelegenheit, ihr Plaeet zu geben. Es ist nicht zu fürchten, daß Lehrer ersten und zweiten Grades entstehen. Wer das nicht leistet, was im Examen verlangt wird, füllt durch, mag ein Vertreter der Kirche zugegen sein oder uicht. Ein Urteil darüber, ob ein Lehrer geeignet sei, den Religions¬ unterricht zu geben oder nicht, kann durch das Examen überhaupt nicht ge¬ wonnen werden. Das zeigt sich frühestens beim zweiten Examen, meist erst in spätern Jahren. Daß ferner der Pfarrer das Recht habe, dem Reli¬ gionsunterrichte beizuwohnen und dem Lehrer seine Meinung mitzuteilen, ist bestehendes Recht. Es ist an dieser Stelle früher einmal nachgewiesen worden, daß die Kirche mit diesem Recht sehr wenig wirklichen Einfluß ausüben tan». Neu ist die Wendung: die Religionsgenosseuschafteu haben das Recht der Leitung des Religionsunterrichtes, und sie dürfen die Lehrer mit Weisungen versehen. Es ist damit der Kirche — wir denken hierbei immer an die katho¬ lische Kirche — ein weiterer Spielraum gegeben, zu gleicher Zeit aber auch die Handhabe zu Übergriffen und die Möglichkeit von ewigen Konflikten. Aber es ist im Gesetz mit keinem Worte gesagt, wie diese Konflikte zu lösen seien. Was geschieht, wenn die Weisungen, die der Pfarrer erteilt, mit den Weisungen der Schulaufsichtsbehvrde in Gegensatz kommen? Was geschieht, wenn der Pfarrer z.B. vom Standpunkte des Religionsunterrichts ans katho¬ lische Geschichte, die Schulbehörde aber objektive Geschichte fordert? Der Regierungspräsident und der Bischof müssen sich vereinigen. Es wird aber schwer geschehen. Was geschieht, wenn der Pfarrer „die Schulordnung gestört hat"? Er wirds nicht zugeben, und die kirchliche Oberbehörde anch nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/255>, abgerufen am 23.07.2024.