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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gesellschaften mit beschränkter Haftung

Denken wir zunächst an den Staat. Kann es einem Zweifel unterliegen,
daß zur Zahlung der Staatsschulden die Staatsangehörigen die Mittel aufzu¬
bringen haben? Was würde man wohl gesagt haben, wenn die französische
Republik, nachdem sie in dem Frankfurter Frieden fünf Milliarden zu zahlen
versprochen hatte, erklärt hätte, daß sie diese fünf Milliarden in den Staats¬
kassen nicht besitze, die französischen Staatsangehörigen aber nicht verpflichtet
seien, die Schuld des Staates zu zahlen? Es verstand sich von selbst, das;
das französische Volk die Schuld seines Staates decken mußte. Ebenso tan"
es keinem begründeten Zweifel unterliegen, daß, wenn eine Stadt schulde"
gemacht hat, die sie mit ihrem verfügbaren Vermögen nicht bezahlen kann,
ihre Angehörigen durch Umlagen die Mittel dazu aufbringen müssen.")
Ein gleiches wird man bei jedem andern für öffentliche Zwecke gebildeten
Personenverbände annehmen müssen.

Knüpfe mau an diese Verhältnisse eine unbefangene Betrachtung, so wird
der Satz, daß die juristische Person von den in ihr bezeichneten physischen
Personen gänzlich verschieden sei, und daß deshalb die Schulden der einen
die andern nichts angingen, nicht als etwas Natürliches, sondern als eine
künstliche Abstraktion erscheinen, die von der wahren Natur des Verhältnisses
absieht. Wenn man trotzdem auch heute noch mit der Verleihung der juristischen
Persönlichkeit ohne weiteres das Recht für verbunden erachtet, daß die Mitglieder
für die im Namen der juristischen Person gemachten Schulden nicht zu haften
haben, und wenn man ferner dieses Recht anch ans die Aktiengesellschaften
ausgedehnt hat, so ist das eine Art Privileg, das diesen Nechtsschöpfnngen ver¬
liehen wird."") Ein solches Privileg kann ja durch besondre Gründe gerecht¬
fertigt sein, und wir haben oben angeführt, daß bei der Aktiengesellschaft die
Freigebung der Aktionäre von der Haftpflicht eine Notwendigkeit war, weil
sonst die großen Zwecke, die man als Ziel der Aktiengesellschaften vor Auge"
hatte, nicht erreicht worden wären. Aber man darf doch sicherlich fragen,
worin denn nun bei diesen Rechtsschvpfungen der Ersatz liege für den Mangel
der Sicherheit, die nach unsrer Ausführung der einer physischen Person ge¬
währte persönliche Kredit in sich trägt, und der doch nur schwer entbehrt
werden kann.

Was die Personenverbände betrifft, denen durch die Staatsgewalt juristische




*) Eine sehr belehrende, ausführliche Darlegung hierüber findet sich in der Schrift
von Meili "Rechtsgutachten und Gesetzesvorschlag betreffend die Schuldexekutivn und den
Konkurs gegen Gemeinden. 1886." Die Schrift war dadurch veranlagt worden, daß die
Stadt Winterthur in Überschuldung geraten war.
In den Motiven eines Handelsgesetzbuchs sür Württemberg findet sich folgende Be¬
merkung: "Das; die Aktionäre nicht einmal subsidiär haften, dadurch unterscheidet sich die
Aktiengesellschaft von Korporationen oder Gemeinden, deren Verbindlichkeiten dnrch Umlagen
ans die Mitglieder gedeckt werden müssen."
Gesellschaften mit beschränkter Haftung

Denken wir zunächst an den Staat. Kann es einem Zweifel unterliegen,
daß zur Zahlung der Staatsschulden die Staatsangehörigen die Mittel aufzu¬
bringen haben? Was würde man wohl gesagt haben, wenn die französische
Republik, nachdem sie in dem Frankfurter Frieden fünf Milliarden zu zahlen
versprochen hatte, erklärt hätte, daß sie diese fünf Milliarden in den Staats¬
kassen nicht besitze, die französischen Staatsangehörigen aber nicht verpflichtet
seien, die Schuld des Staates zu zahlen? Es verstand sich von selbst, das;
das französische Volk die Schuld seines Staates decken mußte. Ebenso tan»
es keinem begründeten Zweifel unterliegen, daß, wenn eine Stadt schulde»
gemacht hat, die sie mit ihrem verfügbaren Vermögen nicht bezahlen kann,
ihre Angehörigen durch Umlagen die Mittel dazu aufbringen müssen.")
Ein gleiches wird man bei jedem andern für öffentliche Zwecke gebildeten
Personenverbände annehmen müssen.

Knüpfe mau an diese Verhältnisse eine unbefangene Betrachtung, so wird
der Satz, daß die juristische Person von den in ihr bezeichneten physischen
Personen gänzlich verschieden sei, und daß deshalb die Schulden der einen
die andern nichts angingen, nicht als etwas Natürliches, sondern als eine
künstliche Abstraktion erscheinen, die von der wahren Natur des Verhältnisses
absieht. Wenn man trotzdem auch heute noch mit der Verleihung der juristischen
Persönlichkeit ohne weiteres das Recht für verbunden erachtet, daß die Mitglieder
für die im Namen der juristischen Person gemachten Schulden nicht zu haften
haben, und wenn man ferner dieses Recht anch ans die Aktiengesellschaften
ausgedehnt hat, so ist das eine Art Privileg, das diesen Nechtsschöpfnngen ver¬
liehen wird."") Ein solches Privileg kann ja durch besondre Gründe gerecht¬
fertigt sein, und wir haben oben angeführt, daß bei der Aktiengesellschaft die
Freigebung der Aktionäre von der Haftpflicht eine Notwendigkeit war, weil
sonst die großen Zwecke, die man als Ziel der Aktiengesellschaften vor Auge»
hatte, nicht erreicht worden wären. Aber man darf doch sicherlich fragen,
worin denn nun bei diesen Rechtsschvpfungen der Ersatz liege für den Mangel
der Sicherheit, die nach unsrer Ausführung der einer physischen Person ge¬
währte persönliche Kredit in sich trägt, und der doch nur schwer entbehrt
werden kann.

Was die Personenverbände betrifft, denen durch die Staatsgewalt juristische




*) Eine sehr belehrende, ausführliche Darlegung hierüber findet sich in der Schrift
von Meili „Rechtsgutachten und Gesetzesvorschlag betreffend die Schuldexekutivn und den
Konkurs gegen Gemeinden. 1886." Die Schrift war dadurch veranlagt worden, daß die
Stadt Winterthur in Überschuldung geraten war.
In den Motiven eines Handelsgesetzbuchs sür Württemberg findet sich folgende Be¬
merkung: „Das; die Aktionäre nicht einmal subsidiär haften, dadurch unterscheidet sich die
Aktiengesellschaft von Korporationen oder Gemeinden, deren Verbindlichkeiten dnrch Umlagen
ans die Mitglieder gedeckt werden müssen."
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[0230] Gesellschaften mit beschränkter Haftung Denken wir zunächst an den Staat. Kann es einem Zweifel unterliegen, daß zur Zahlung der Staatsschulden die Staatsangehörigen die Mittel aufzu¬ bringen haben? Was würde man wohl gesagt haben, wenn die französische Republik, nachdem sie in dem Frankfurter Frieden fünf Milliarden zu zahlen versprochen hatte, erklärt hätte, daß sie diese fünf Milliarden in den Staats¬ kassen nicht besitze, die französischen Staatsangehörigen aber nicht verpflichtet seien, die Schuld des Staates zu zahlen? Es verstand sich von selbst, das; das französische Volk die Schuld seines Staates decken mußte. Ebenso tan» es keinem begründeten Zweifel unterliegen, daß, wenn eine Stadt schulde» gemacht hat, die sie mit ihrem verfügbaren Vermögen nicht bezahlen kann, ihre Angehörigen durch Umlagen die Mittel dazu aufbringen müssen.") Ein gleiches wird man bei jedem andern für öffentliche Zwecke gebildeten Personenverbände annehmen müssen. Knüpfe mau an diese Verhältnisse eine unbefangene Betrachtung, so wird der Satz, daß die juristische Person von den in ihr bezeichneten physischen Personen gänzlich verschieden sei, und daß deshalb die Schulden der einen die andern nichts angingen, nicht als etwas Natürliches, sondern als eine künstliche Abstraktion erscheinen, die von der wahren Natur des Verhältnisses absieht. Wenn man trotzdem auch heute noch mit der Verleihung der juristischen Persönlichkeit ohne weiteres das Recht für verbunden erachtet, daß die Mitglieder für die im Namen der juristischen Person gemachten Schulden nicht zu haften haben, und wenn man ferner dieses Recht anch ans die Aktiengesellschaften ausgedehnt hat, so ist das eine Art Privileg, das diesen Nechtsschöpfnngen ver¬ liehen wird."") Ein solches Privileg kann ja durch besondre Gründe gerecht¬ fertigt sein, und wir haben oben angeführt, daß bei der Aktiengesellschaft die Freigebung der Aktionäre von der Haftpflicht eine Notwendigkeit war, weil sonst die großen Zwecke, die man als Ziel der Aktiengesellschaften vor Auge» hatte, nicht erreicht worden wären. Aber man darf doch sicherlich fragen, worin denn nun bei diesen Rechtsschvpfungen der Ersatz liege für den Mangel der Sicherheit, die nach unsrer Ausführung der einer physischen Person ge¬ währte persönliche Kredit in sich trägt, und der doch nur schwer entbehrt werden kann. Was die Personenverbände betrifft, denen durch die Staatsgewalt juristische *) Eine sehr belehrende, ausführliche Darlegung hierüber findet sich in der Schrift von Meili „Rechtsgutachten und Gesetzesvorschlag betreffend die Schuldexekutivn und den Konkurs gegen Gemeinden. 1886." Die Schrift war dadurch veranlagt worden, daß die Stadt Winterthur in Überschuldung geraten war. In den Motiven eines Handelsgesetzbuchs sür Württemberg findet sich folgende Be¬ merkung: „Das; die Aktionäre nicht einmal subsidiär haften, dadurch unterscheidet sich die Aktiengesellschaft von Korporationen oder Gemeinden, deren Verbindlichkeiten dnrch Umlagen ans die Mitglieder gedeckt werden müssen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/230>, abgerufen am 23.07.2024.