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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gesellschaften mit beschränkter Haftung

Bisher hat es als leitender Grundsatz gegolten,^daß jeder, der Schulden
macht, für diese Schulden persönlich haftet. "Persönlich" bedeutet zwar nicht
mehr, wie früher, daß der Schuldner, wenn er nicht zahlt, in Schuldhaft ge¬
nommen werden kann, also gewissermaßen mit seiner Person die Schuld ab¬
zubüßen hat; denn die Schuldhaft ist durch Reichsgesetz vom 29. Mai 1868
in Deutschland aufgehoben. Vielmehr bedeutet die persönliche Haftung heute
nur noch, daß der Schuldner, der nicht zahlt, sich gefallen lassen muß, daß
ihm sein gesamtes jeweiliges Vermögen (die wenigen unpfäudbareu Gegenstände
ausgenommen) weggenommen und zur Befriedigung seines Gläubigers ver¬
wendet wird.

Diese Haftung des Schuldners mit seinem ganzen Vermögen würde aber
dem Gläubiger wenig nütze", wenn diesem mahl für die Zwangsvollstreckung
eine gewichtige Vermutung zur Seite stünde. Als Vermögen des Schuldners
gilt nämlich alles, was sich in seiner Wohnung (oder andern von ihm be¬
sessenen geschlossenen Räumen) vorfindet, so lange, als nicht ein dritter "ach¬
weist, daß es ihm gehört. Der verurteilte Schuldner muß sich also gefallen
lassen, daß der Gerichtsvollzieher in seine Wohnung tritt und alles, was er
dort vorfindet, wegnimmt; auch daß sich dieser Vorgang jederzeit wiederholt,
so oft der Schuldner neue Gegenstände erworben und in seinem Besitz hat.
In diesem an die Wohnung des Schuldners sich knüpfenden Rechte der
Pfändung liegt ein nicht geringer, anch gegen die Person des Schuldners
wirkender Zwang zur Bezahlung der Schulden. Denn wer sich dieser stets
drohenden Pfändung entziehen wollte, müßte entweder gar keine Wohnung
haben, oder er müßte sich nur mit unpfändbaren Sachen umgeben, also in
einem durchaus ärmlichen Zustande leben, was bekanntlich nicht jedermanns
Sache ist.

Ans diesen Verhältnissen beruht wesentlich die Sicherheit des persönlichen
Kredits , und wir können nicht daran rütteln, ohne diese Sicherheit empfindlich
zu stören. Dem Gläubiger kann außerdem auch eine dingliche Sicherheit gegeben
werden in der Form der Hypothekbestelluug oder, wenn der Gläubiger auf
die persönliche Haftung des Schuldners verzichten will, in der Form der
Grundschuld. Hierbei kreditirt der Gläubiger gewissermaßen dem Grundstück,
indem dieses nicht bloß, so lange es Eigentum des Schuldners ist, sondern, wo
es auch hingeht, für die Schuld haftet.

Gehen wir nun zu den Verhältnissen über, in denen, nach unserm be¬
stehenden Rechte nicht das Vermögen einer physischen Person, sondern nnr.das
Vermögen eines mit einer idealen Persönlichkeit ausgestatteten Personenverbandes
für Schulden haftet, so müssen wir, um diese Verhältnisse richtig zu würdigen,
folgende Betrachtung vorausschicken.

Man sieht es heute gewissermaßen als selbstverständlich an, daß, wenn
einem Personenverbände juristische Persönlichkeit zukommt, die dem Verbände


Gesellschaften mit beschränkter Haftung

Bisher hat es als leitender Grundsatz gegolten,^daß jeder, der Schulden
macht, für diese Schulden persönlich haftet. „Persönlich" bedeutet zwar nicht
mehr, wie früher, daß der Schuldner, wenn er nicht zahlt, in Schuldhaft ge¬
nommen werden kann, also gewissermaßen mit seiner Person die Schuld ab¬
zubüßen hat; denn die Schuldhaft ist durch Reichsgesetz vom 29. Mai 1868
in Deutschland aufgehoben. Vielmehr bedeutet die persönliche Haftung heute
nur noch, daß der Schuldner, der nicht zahlt, sich gefallen lassen muß, daß
ihm sein gesamtes jeweiliges Vermögen (die wenigen unpfäudbareu Gegenstände
ausgenommen) weggenommen und zur Befriedigung seines Gläubigers ver¬
wendet wird.

Diese Haftung des Schuldners mit seinem ganzen Vermögen würde aber
dem Gläubiger wenig nütze», wenn diesem mahl für die Zwangsvollstreckung
eine gewichtige Vermutung zur Seite stünde. Als Vermögen des Schuldners
gilt nämlich alles, was sich in seiner Wohnung (oder andern von ihm be¬
sessenen geschlossenen Räumen) vorfindet, so lange, als nicht ein dritter »ach¬
weist, daß es ihm gehört. Der verurteilte Schuldner muß sich also gefallen
lassen, daß der Gerichtsvollzieher in seine Wohnung tritt und alles, was er
dort vorfindet, wegnimmt; auch daß sich dieser Vorgang jederzeit wiederholt,
so oft der Schuldner neue Gegenstände erworben und in seinem Besitz hat.
In diesem an die Wohnung des Schuldners sich knüpfenden Rechte der
Pfändung liegt ein nicht geringer, anch gegen die Person des Schuldners
wirkender Zwang zur Bezahlung der Schulden. Denn wer sich dieser stets
drohenden Pfändung entziehen wollte, müßte entweder gar keine Wohnung
haben, oder er müßte sich nur mit unpfändbaren Sachen umgeben, also in
einem durchaus ärmlichen Zustande leben, was bekanntlich nicht jedermanns
Sache ist.

Ans diesen Verhältnissen beruht wesentlich die Sicherheit des persönlichen
Kredits , und wir können nicht daran rütteln, ohne diese Sicherheit empfindlich
zu stören. Dem Gläubiger kann außerdem auch eine dingliche Sicherheit gegeben
werden in der Form der Hypothekbestelluug oder, wenn der Gläubiger auf
die persönliche Haftung des Schuldners verzichten will, in der Form der
Grundschuld. Hierbei kreditirt der Gläubiger gewissermaßen dem Grundstück,
indem dieses nicht bloß, so lange es Eigentum des Schuldners ist, sondern, wo
es auch hingeht, für die Schuld haftet.

Gehen wir nun zu den Verhältnissen über, in denen, nach unserm be¬
stehenden Rechte nicht das Vermögen einer physischen Person, sondern nnr.das
Vermögen eines mit einer idealen Persönlichkeit ausgestatteten Personenverbandes
für Schulden haftet, so müssen wir, um diese Verhältnisse richtig zu würdigen,
folgende Betrachtung vorausschicken.

Man sieht es heute gewissermaßen als selbstverständlich an, daß, wenn
einem Personenverbände juristische Persönlichkeit zukommt, die dem Verbände


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[0228] Gesellschaften mit beschränkter Haftung Bisher hat es als leitender Grundsatz gegolten,^daß jeder, der Schulden macht, für diese Schulden persönlich haftet. „Persönlich" bedeutet zwar nicht mehr, wie früher, daß der Schuldner, wenn er nicht zahlt, in Schuldhaft ge¬ nommen werden kann, also gewissermaßen mit seiner Person die Schuld ab¬ zubüßen hat; denn die Schuldhaft ist durch Reichsgesetz vom 29. Mai 1868 in Deutschland aufgehoben. Vielmehr bedeutet die persönliche Haftung heute nur noch, daß der Schuldner, der nicht zahlt, sich gefallen lassen muß, daß ihm sein gesamtes jeweiliges Vermögen (die wenigen unpfäudbareu Gegenstände ausgenommen) weggenommen und zur Befriedigung seines Gläubigers ver¬ wendet wird. Diese Haftung des Schuldners mit seinem ganzen Vermögen würde aber dem Gläubiger wenig nütze», wenn diesem mahl für die Zwangsvollstreckung eine gewichtige Vermutung zur Seite stünde. Als Vermögen des Schuldners gilt nämlich alles, was sich in seiner Wohnung (oder andern von ihm be¬ sessenen geschlossenen Räumen) vorfindet, so lange, als nicht ein dritter »ach¬ weist, daß es ihm gehört. Der verurteilte Schuldner muß sich also gefallen lassen, daß der Gerichtsvollzieher in seine Wohnung tritt und alles, was er dort vorfindet, wegnimmt; auch daß sich dieser Vorgang jederzeit wiederholt, so oft der Schuldner neue Gegenstände erworben und in seinem Besitz hat. In diesem an die Wohnung des Schuldners sich knüpfenden Rechte der Pfändung liegt ein nicht geringer, anch gegen die Person des Schuldners wirkender Zwang zur Bezahlung der Schulden. Denn wer sich dieser stets drohenden Pfändung entziehen wollte, müßte entweder gar keine Wohnung haben, oder er müßte sich nur mit unpfändbaren Sachen umgeben, also in einem durchaus ärmlichen Zustande leben, was bekanntlich nicht jedermanns Sache ist. Ans diesen Verhältnissen beruht wesentlich die Sicherheit des persönlichen Kredits , und wir können nicht daran rütteln, ohne diese Sicherheit empfindlich zu stören. Dem Gläubiger kann außerdem auch eine dingliche Sicherheit gegeben werden in der Form der Hypothekbestelluug oder, wenn der Gläubiger auf die persönliche Haftung des Schuldners verzichten will, in der Form der Grundschuld. Hierbei kreditirt der Gläubiger gewissermaßen dem Grundstück, indem dieses nicht bloß, so lange es Eigentum des Schuldners ist, sondern, wo es auch hingeht, für die Schuld haftet. Gehen wir nun zu den Verhältnissen über, in denen, nach unserm be¬ stehenden Rechte nicht das Vermögen einer physischen Person, sondern nnr.das Vermögen eines mit einer idealen Persönlichkeit ausgestatteten Personenverbandes für Schulden haftet, so müssen wir, um diese Verhältnisse richtig zu würdigen, folgende Betrachtung vorausschicken. Man sieht es heute gewissermaßen als selbstverständlich an, daß, wenn einem Personenverbände juristische Persönlichkeit zukommt, die dem Verbände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/228>, abgerufen am 23.07.2024.