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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Karl hatte sich mühsam aufgerichtet, und seine Augen leuchteten auf.
Ist es wahr, ganz gewiß wahr? Sein Gesicht sah etwas verändert aus;
ich achtete aber nur flüchtig darauf.

Leg dich nur wieder hin, Karl; heute noch kommt es, ganz, ganz gewiß!
Und du sollst es zuerst Probiren und wirst dann gleich gesund! Morgen
spielst du wieder mit uns!

Morgen spiele ich wieder! wiederholte der Kleine träumerisch und doch
mit glücklichem Lächeln. Morgen spiele ich wieder! sagte er noch einmal.
Sein Gesicht sah aus, als wenn die Sonne drauf schiene. Erzähl mich
was! sagte er dann etwas ungeduldig zu mir. Es war gerade, als wenn
er das Warten nicht länger ertragen könnte, und ich willfahrte ihm. Denke
dir, weil wir doch so viel von Krambambuli sprachen, so hat Jürgen auch
probirt, welches zu machen. Er that Milch, Wasser, Zucker, Kaffeebohnen
und sonst noch allerhand in eine Flasche und schüttelte sie tüchtig. Aber das
Schütteln half nichts; es schmeckte doch schlecht, und dann ging er ins Schlaf¬
zimmer und holte Min (einen der jüngern Brüder) aus dem Bett und zeigte
ihm die Flasche. Min hatte gerade einschlafen wollen und war ganz müde;
aber er tanzte doch eine halbe Stunde lang Galopp im Nachthemd und sang
dazu: "Mit dem Pfeil, dem Bogen," denn Jürgen versprach ihm, daß er die
ganze Flasche nachher austrinken dürfte, wenn er uns etwas vortanzte und
sänge. Als er aber dann einen Schluck probirte, weinte er und wollte nichts
weiter haben; aber Jürgen sagte, er müßte alles austrinken, weil er doch
dafür gearbeitet hätte. Dann aber kam Mama dazu und schüttelte Jürgen,
weil er seinem kleinen Bruder nichts einbilden durfte, und weil Min schlafen
sollte!

Karl hatte mir gespannt zugehört. Jetzt lachte er: er ließ sich so gern
etwas erzählen.

Das war das falsche Krambambuli -- ich aber -- ich bekomme das
echte!

Er sprach mühsam, sah aber so glückstrahlend aus, daß ich ihm befriedigt
zunickte. Gewiß, du bekommst das echte, heute nachmittag bringen wir dirs!

Es dauerte heute lange, bis es nachmittag wurde; aber endlich schlug
es vier Uhr. Das war die Zeit, wo wir das Krambambuli von der Apotheke
holen sollten, und wir standen schon lange vor dem großen, gelben Hause,
bis wir die Turmuhr hörten. Jürgen lief in die Apotheke und kehrte nach
wenigen Augenblicken mit einer großen Medizinflasche zurück, die er mir
triumphirend zeigte. Sie enthielt eine weiße Flüssigkeit, und auf der Etikette
stand mit großer Schrift: Krambambuli! Später erfuhren wir, daß der In¬
halt Cognac und Milch gewesen war.

Wir hatten aber die Empfindung, daß höchste Eile nötig sei. Ohne viel
mit einander zu sprechen, liefen wir, bis wir atemlos vor Karls Häuschen an-


Aus dänischer Zeit

Karl hatte sich mühsam aufgerichtet, und seine Augen leuchteten auf.
Ist es wahr, ganz gewiß wahr? Sein Gesicht sah etwas verändert aus;
ich achtete aber nur flüchtig darauf.

Leg dich nur wieder hin, Karl; heute noch kommt es, ganz, ganz gewiß!
Und du sollst es zuerst Probiren und wirst dann gleich gesund! Morgen
spielst du wieder mit uns!

Morgen spiele ich wieder! wiederholte der Kleine träumerisch und doch
mit glücklichem Lächeln. Morgen spiele ich wieder! sagte er noch einmal.
Sein Gesicht sah aus, als wenn die Sonne drauf schiene. Erzähl mich
was! sagte er dann etwas ungeduldig zu mir. Es war gerade, als wenn
er das Warten nicht länger ertragen könnte, und ich willfahrte ihm. Denke
dir, weil wir doch so viel von Krambambuli sprachen, so hat Jürgen auch
probirt, welches zu machen. Er that Milch, Wasser, Zucker, Kaffeebohnen
und sonst noch allerhand in eine Flasche und schüttelte sie tüchtig. Aber das
Schütteln half nichts; es schmeckte doch schlecht, und dann ging er ins Schlaf¬
zimmer und holte Min (einen der jüngern Brüder) aus dem Bett und zeigte
ihm die Flasche. Min hatte gerade einschlafen wollen und war ganz müde;
aber er tanzte doch eine halbe Stunde lang Galopp im Nachthemd und sang
dazu: „Mit dem Pfeil, dem Bogen," denn Jürgen versprach ihm, daß er die
ganze Flasche nachher austrinken dürfte, wenn er uns etwas vortanzte und
sänge. Als er aber dann einen Schluck probirte, weinte er und wollte nichts
weiter haben; aber Jürgen sagte, er müßte alles austrinken, weil er doch
dafür gearbeitet hätte. Dann aber kam Mama dazu und schüttelte Jürgen,
weil er seinem kleinen Bruder nichts einbilden durfte, und weil Min schlafen
sollte!

Karl hatte mir gespannt zugehört. Jetzt lachte er: er ließ sich so gern
etwas erzählen.

Das war das falsche Krambambuli — ich aber — ich bekomme das
echte!

Er sprach mühsam, sah aber so glückstrahlend aus, daß ich ihm befriedigt
zunickte. Gewiß, du bekommst das echte, heute nachmittag bringen wir dirs!

Es dauerte heute lange, bis es nachmittag wurde; aber endlich schlug
es vier Uhr. Das war die Zeit, wo wir das Krambambuli von der Apotheke
holen sollten, und wir standen schon lange vor dem großen, gelben Hause,
bis wir die Turmuhr hörten. Jürgen lief in die Apotheke und kehrte nach
wenigen Augenblicken mit einer großen Medizinflasche zurück, die er mir
triumphirend zeigte. Sie enthielt eine weiße Flüssigkeit, und auf der Etikette
stand mit großer Schrift: Krambambuli! Später erfuhren wir, daß der In¬
halt Cognac und Milch gewesen war.

Wir hatten aber die Empfindung, daß höchste Eile nötig sei. Ohne viel
mit einander zu sprechen, liefen wir, bis wir atemlos vor Karls Häuschen an-


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[0194] Aus dänischer Zeit Karl hatte sich mühsam aufgerichtet, und seine Augen leuchteten auf. Ist es wahr, ganz gewiß wahr? Sein Gesicht sah etwas verändert aus; ich achtete aber nur flüchtig darauf. Leg dich nur wieder hin, Karl; heute noch kommt es, ganz, ganz gewiß! Und du sollst es zuerst Probiren und wirst dann gleich gesund! Morgen spielst du wieder mit uns! Morgen spiele ich wieder! wiederholte der Kleine träumerisch und doch mit glücklichem Lächeln. Morgen spiele ich wieder! sagte er noch einmal. Sein Gesicht sah aus, als wenn die Sonne drauf schiene. Erzähl mich was! sagte er dann etwas ungeduldig zu mir. Es war gerade, als wenn er das Warten nicht länger ertragen könnte, und ich willfahrte ihm. Denke dir, weil wir doch so viel von Krambambuli sprachen, so hat Jürgen auch probirt, welches zu machen. Er that Milch, Wasser, Zucker, Kaffeebohnen und sonst noch allerhand in eine Flasche und schüttelte sie tüchtig. Aber das Schütteln half nichts; es schmeckte doch schlecht, und dann ging er ins Schlaf¬ zimmer und holte Min (einen der jüngern Brüder) aus dem Bett und zeigte ihm die Flasche. Min hatte gerade einschlafen wollen und war ganz müde; aber er tanzte doch eine halbe Stunde lang Galopp im Nachthemd und sang dazu: „Mit dem Pfeil, dem Bogen," denn Jürgen versprach ihm, daß er die ganze Flasche nachher austrinken dürfte, wenn er uns etwas vortanzte und sänge. Als er aber dann einen Schluck probirte, weinte er und wollte nichts weiter haben; aber Jürgen sagte, er müßte alles austrinken, weil er doch dafür gearbeitet hätte. Dann aber kam Mama dazu und schüttelte Jürgen, weil er seinem kleinen Bruder nichts einbilden durfte, und weil Min schlafen sollte! Karl hatte mir gespannt zugehört. Jetzt lachte er: er ließ sich so gern etwas erzählen. Das war das falsche Krambambuli — ich aber — ich bekomme das echte! Er sprach mühsam, sah aber so glückstrahlend aus, daß ich ihm befriedigt zunickte. Gewiß, du bekommst das echte, heute nachmittag bringen wir dirs! Es dauerte heute lange, bis es nachmittag wurde; aber endlich schlug es vier Uhr. Das war die Zeit, wo wir das Krambambuli von der Apotheke holen sollten, und wir standen schon lange vor dem großen, gelben Hause, bis wir die Turmuhr hörten. Jürgen lief in die Apotheke und kehrte nach wenigen Augenblicken mit einer großen Medizinflasche zurück, die er mir triumphirend zeigte. Sie enthielt eine weiße Flüssigkeit, und auf der Etikette stand mit großer Schrift: Krambambuli! Später erfuhren wir, daß der In¬ halt Cognac und Milch gewesen war. Wir hatten aber die Empfindung, daß höchste Eile nötig sei. Ohne viel mit einander zu sprechen, liefen wir, bis wir atemlos vor Karls Häuschen an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/194>, abgerufen am 23.07.2024.