Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Altes und neues von Theodor Fontane vordringen müssen: man erwartete ja Tag für Tag einen raschen Abschluß Grenzboten I 1892 Lg
Altes und neues von Theodor Fontane vordringen müssen: man erwartete ja Tag für Tag einen raschen Abschluß Grenzboten I 1892 Lg
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211353"/> <fw type="header" place="top"> Altes und neues von Theodor Fontane</fw><lb/> <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541" next="#ID_543"> vordringen müssen: man erwartete ja Tag für Tag einen raschen Abschluß<lb/> der Feindseligkeiten, da die Kriege der letzten Zeit immer nur wenige Wochen<lb/> gedauert hatten. Fontane, der alte Romantiker, fuhr also nach Domremy<lb/> hinaus und wurde richtig von den aufgeregten Bewohnern des Ortes festge¬<lb/> nommen, als er mit den, Notizbuch forschend vor der Bildsäule der Jungfrau<lb/> stand und sich mit aller Unbefangenheit erkundigte, ob sie aus Bronze oder<lb/> einem andern Material Ware. Man vermutete in ihm einen preußischen<lb/> Spion, sein Protest half ihm nichts, er wurde verhaftet. Und nun begann sein<lb/> Leidensweg, ein wahres Martyrium. Aus den Händen der lothringischen Bauern<lb/> gelangte er in die der Militärbehörden. Im Kriege macht man kurzen Prozeß,<lb/> ein Kriegsgericht läßt sich nicht auf weitläufige Untersuchungen ein. Fontane<lb/> mußte sich auf ein Todesurteil vorbereiten und verbrachte auch in der That eine<lb/> lange, bange Nacht in dieser Erwartung. Man muß lesen, wie er felbst von ihr<lb/> berichtet: „Er ster Gefangenwärter^ nahm eine gewisse feierliche Haltung an<lb/> und erklärte dann, um vieles deutlicher und neeentuirter als gewöhnlich: Dsmain<lb/> iiuckiv. Ur. is (Zönsrg.1, «zu prössnos clgg imrorites (ziviles et wMg,irö8, clooi-<lb/> cteiÄ voll-6 Lvi-t. Dies ciöeiäöi-g. votrs sort hatte einen ziemlich finstern<lb/> Klang, und ein nahe liegendes Reimwort antwortete in mir darauf; aber das<lb/> Physische war doch in diesem Augenblicke mächtiger als alles andre; ich trank<lb/> meinen Thee, und fünf Minuten später schlief ich fest. — Ich weiß nicht, wie<lb/> lange. Aber mitten in der Nacht fuhr ich auf. Der Körper hatte sich ein<lb/> Genüge gethan, und die unruhige Seele, die bis dahin vergeblich den wie<lb/> tot schlafenden gerüttelt und geschüttelt hatte, hatte ihn jetzt plötzlich ins<lb/> Leben zurückgeweckt. ES war Sowain waten. Ich hörte nur eines: ä6oi-<lb/> äsrg, votrv soi-t. Welches? Eine furchtbare Angst ergriff mich, und mit<lb/> übergeschüftiger Phantasie fing ich an zusammenzuaddiren, was alles gegen<lb/> mich sprach. Es gab eine hübsche Summe. Luneville, Nancy, Toul waren<lb/> die drei Punkte, (von) woher man die Preußen erwartete. Der ganze Weg,<lb/> den ich gemacht Inhalte), war ein Defilö. Man hatte Waffen bei mir gefunden.<lb/> Das rote Kreuz, das an meinem Arm prahlte, war ich nicht befugt zu tragen,<lb/> wenigstens nicht nach Anschauung unsrer Feinde. Meine Legitimationspapiere,<lb/> die alle mehr oder weniger auf Anrufung der preußischen Militärautoritäteu<lb/> zu meinem Schutz und zu meiner Unterstützung hinausliefen, sprachen mehr<lb/> gegen als für mich. Wie federleicht wogen dagegen die paar Aufzeichnungen<lb/> meines Notizbuches, die alles waren, was ich direkt und unverzüglich zu<lb/> meiner Verteidigung beibringen konnte! Ich sah nur schwarze Kugeln in die<lb/> Urne fallen — wou sort tut äövicliz. Eine halbe Stunde lag ich so, oder<lb/> vielleicht länger, ich weiß es nicht. Dann hatte ich mich mit der Gewißheit<lb/> meines Schicksals auch wiedergefunden. Eine Fassung kam über mich, deren<lb/> ich mich nicht für fähig gehalten hätte. Ich war fertig mit allem und bat<lb/> Gott, mich bei Kraft zu erhalten und mich nicht klein und verächtlich sterben</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1892 Lg</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0185]
Altes und neues von Theodor Fontane
vordringen müssen: man erwartete ja Tag für Tag einen raschen Abschluß
der Feindseligkeiten, da die Kriege der letzten Zeit immer nur wenige Wochen
gedauert hatten. Fontane, der alte Romantiker, fuhr also nach Domremy
hinaus und wurde richtig von den aufgeregten Bewohnern des Ortes festge¬
nommen, als er mit den, Notizbuch forschend vor der Bildsäule der Jungfrau
stand und sich mit aller Unbefangenheit erkundigte, ob sie aus Bronze oder
einem andern Material Ware. Man vermutete in ihm einen preußischen
Spion, sein Protest half ihm nichts, er wurde verhaftet. Und nun begann sein
Leidensweg, ein wahres Martyrium. Aus den Händen der lothringischen Bauern
gelangte er in die der Militärbehörden. Im Kriege macht man kurzen Prozeß,
ein Kriegsgericht läßt sich nicht auf weitläufige Untersuchungen ein. Fontane
mußte sich auf ein Todesurteil vorbereiten und verbrachte auch in der That eine
lange, bange Nacht in dieser Erwartung. Man muß lesen, wie er felbst von ihr
berichtet: „Er ster Gefangenwärter^ nahm eine gewisse feierliche Haltung an
und erklärte dann, um vieles deutlicher und neeentuirter als gewöhnlich: Dsmain
iiuckiv. Ur. is (Zönsrg.1, «zu prössnos clgg imrorites (ziviles et wMg,irö8, clooi-
cteiÄ voll-6 Lvi-t. Dies ciöeiäöi-g. votrs sort hatte einen ziemlich finstern
Klang, und ein nahe liegendes Reimwort antwortete in mir darauf; aber das
Physische war doch in diesem Augenblicke mächtiger als alles andre; ich trank
meinen Thee, und fünf Minuten später schlief ich fest. — Ich weiß nicht, wie
lange. Aber mitten in der Nacht fuhr ich auf. Der Körper hatte sich ein
Genüge gethan, und die unruhige Seele, die bis dahin vergeblich den wie
tot schlafenden gerüttelt und geschüttelt hatte, hatte ihn jetzt plötzlich ins
Leben zurückgeweckt. ES war Sowain waten. Ich hörte nur eines: ä6oi-
äsrg, votrv soi-t. Welches? Eine furchtbare Angst ergriff mich, und mit
übergeschüftiger Phantasie fing ich an zusammenzuaddiren, was alles gegen
mich sprach. Es gab eine hübsche Summe. Luneville, Nancy, Toul waren
die drei Punkte, (von) woher man die Preußen erwartete. Der ganze Weg,
den ich gemacht Inhalte), war ein Defilö. Man hatte Waffen bei mir gefunden.
Das rote Kreuz, das an meinem Arm prahlte, war ich nicht befugt zu tragen,
wenigstens nicht nach Anschauung unsrer Feinde. Meine Legitimationspapiere,
die alle mehr oder weniger auf Anrufung der preußischen Militärautoritäteu
zu meinem Schutz und zu meiner Unterstützung hinausliefen, sprachen mehr
gegen als für mich. Wie federleicht wogen dagegen die paar Aufzeichnungen
meines Notizbuches, die alles waren, was ich direkt und unverzüglich zu
meiner Verteidigung beibringen konnte! Ich sah nur schwarze Kugeln in die
Urne fallen — wou sort tut äövicliz. Eine halbe Stunde lag ich so, oder
vielleicht länger, ich weiß es nicht. Dann hatte ich mich mit der Gewißheit
meines Schicksals auch wiedergefunden. Eine Fassung kam über mich, deren
ich mich nicht für fähig gehalten hätte. Ich war fertig mit allem und bat
Gott, mich bei Kraft zu erhalten und mich nicht klein und verächtlich sterben
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