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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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die untere Schicht der Bevölkerung getroffen, die höhere Gesellschaft fo gut
wie unberührt gelassen. Gesetzt, dies verhielte sich so, so würde daraus uoch
nichts gegell die Tauglichkeit des Gesetzes bewiesen sein. Die soziale Ungleich¬
heit der Menschen läßt sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen. Mit ihr
aber geht die Verschiedenheit der Gesellschaftsklassen in ihrer Widerstandsfähig-
keit gegen die Versuchung zum Unrecht natürlich Hand in Hand. Es ist daher
nicht zu vermeiden, daß Strafgesetze mehr oder weniger den Charakter von
"Klassengesetzen" in dem gerügten Sinne annehmen. So find z. B. die Straf-
bestimmungen gegen die Bettelei Klassengesetz, was ohne weiteres einleuchtet,
ebenso die gegen die Prostitution, denn diese rekmtirt sich, von vereinzelten
Ausnahmen abgesehen, aus dem niedern Stande und ist eine Folge seiner Not¬
lage, endlich, um das am häufigsten begangene Verbrechen zu neunen, die
gegen den Diebstahl, denn es gehört zu den Seltenheiten, daß jemand stiehlt,
der nicht der Klasse der "Armen und Elenden" angehört. Wer das Strafgesetz¬
buch kennt, weiß, daß sich diese Beispiele noch um manche vermehren ließen,
ja man könnte fast behaupten, das Strafgesetzbuch im großen und ganzen sei
ein Klasseugesetzbuch, weil der Gesamtanteil der untern Volksklassen an der
Kriminalität bei weitem überwiegt, was durch die Thatsache genügend dargethan
wird, daß Mitglieder der sogenannten bessern Stände auf der Anklagebank zu
den außergewöhnlichen Erscheinungen gehören. Näher betrachtet aber ist das
Trunksuchtsgesetz in Wirklichkeit kein Klassengesetz in dein hier erörterten Sinne.
Der in dieser Bezeichnung zum Ausdruck gebrachte Vorwurf kaun doch nur die
Bedeutung haben, daß ein im Interesse der Gesamtheit erlassenes Strafgesetz
nicht sowohl die Gesamtheit als eine Klassenminderheit, die einen Bestandteil
davon bildet, der Straffälligkeit unterwirst, und es wird das "Klassengesetz" eine
umso gehässigere Färbung annehmen, je weniger jene Minderheit an dem dnrch
die Strafandrohung zu schützenden Interesse teilnimmt. So erscheint das
Gesetz gegen die Bettelei als ein Klassengesetz, denn an dem Zweck, den es
verfolgt, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, soweit sie unter der
Belästigung des Publikums durch den Bettel leidet, ist dem Armen nichts ge¬
legen, und dennoch ist er es, der die Kosten des Gesetzes zu tragen hat. Da¬
gegen soll das Trunksnchtsgesetz der Wohlfahrt eben derer dienen, die aus eigner
Kraft zu schwach sind, sich vor Schaden zu bewahre". Somit hat der Ein¬
wand des "Klassengesetzes" zwar etwas bestechendes, ist aber nicht stichhaltig.

Ebensowenig kann das Bedenken ernstlich ins Gewicht fallen, dnrch die
Strafbestimmungen des Entwurfs werde die persönliche Freiheit einer unzu¬
lässigen Beschränkung unterworfen. Man vergißt dabei, daß es sich um einen
Kampf gegen das größte aller nicht notwendigen Übel handelt, an denen die
heutigen Knlturnationen kranken, um einen Kampf, der eine sozialpolitische
Aufgabe von größerer Bedeutung bildet, als alle andern Bestrebungen zur
Hebung des Volkswohls und zur Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Not-


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die untere Schicht der Bevölkerung getroffen, die höhere Gesellschaft fo gut
wie unberührt gelassen. Gesetzt, dies verhielte sich so, so würde daraus uoch
nichts gegell die Tauglichkeit des Gesetzes bewiesen sein. Die soziale Ungleich¬
heit der Menschen läßt sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen. Mit ihr
aber geht die Verschiedenheit der Gesellschaftsklassen in ihrer Widerstandsfähig-
keit gegen die Versuchung zum Unrecht natürlich Hand in Hand. Es ist daher
nicht zu vermeiden, daß Strafgesetze mehr oder weniger den Charakter von
„Klassengesetzen" in dem gerügten Sinne annehmen. So find z. B. die Straf-
bestimmungen gegen die Bettelei Klassengesetz, was ohne weiteres einleuchtet,
ebenso die gegen die Prostitution, denn diese rekmtirt sich, von vereinzelten
Ausnahmen abgesehen, aus dem niedern Stande und ist eine Folge seiner Not¬
lage, endlich, um das am häufigsten begangene Verbrechen zu neunen, die
gegen den Diebstahl, denn es gehört zu den Seltenheiten, daß jemand stiehlt,
der nicht der Klasse der „Armen und Elenden" angehört. Wer das Strafgesetz¬
buch kennt, weiß, daß sich diese Beispiele noch um manche vermehren ließen,
ja man könnte fast behaupten, das Strafgesetzbuch im großen und ganzen sei
ein Klasseugesetzbuch, weil der Gesamtanteil der untern Volksklassen an der
Kriminalität bei weitem überwiegt, was durch die Thatsache genügend dargethan
wird, daß Mitglieder der sogenannten bessern Stände auf der Anklagebank zu
den außergewöhnlichen Erscheinungen gehören. Näher betrachtet aber ist das
Trunksuchtsgesetz in Wirklichkeit kein Klassengesetz in dein hier erörterten Sinne.
Der in dieser Bezeichnung zum Ausdruck gebrachte Vorwurf kaun doch nur die
Bedeutung haben, daß ein im Interesse der Gesamtheit erlassenes Strafgesetz
nicht sowohl die Gesamtheit als eine Klassenminderheit, die einen Bestandteil
davon bildet, der Straffälligkeit unterwirst, und es wird das „Klassengesetz" eine
umso gehässigere Färbung annehmen, je weniger jene Minderheit an dem dnrch
die Strafandrohung zu schützenden Interesse teilnimmt. So erscheint das
Gesetz gegen die Bettelei als ein Klassengesetz, denn an dem Zweck, den es
verfolgt, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, soweit sie unter der
Belästigung des Publikums durch den Bettel leidet, ist dem Armen nichts ge¬
legen, und dennoch ist er es, der die Kosten des Gesetzes zu tragen hat. Da¬
gegen soll das Trunksnchtsgesetz der Wohlfahrt eben derer dienen, die aus eigner
Kraft zu schwach sind, sich vor Schaden zu bewahre». Somit hat der Ein¬
wand des „Klassengesetzes" zwar etwas bestechendes, ist aber nicht stichhaltig.

Ebensowenig kann das Bedenken ernstlich ins Gewicht fallen, dnrch die
Strafbestimmungen des Entwurfs werde die persönliche Freiheit einer unzu¬
lässigen Beschränkung unterworfen. Man vergißt dabei, daß es sich um einen
Kampf gegen das größte aller nicht notwendigen Übel handelt, an denen die
heutigen Knlturnationen kranken, um einen Kampf, der eine sozialpolitische
Aufgabe von größerer Bedeutung bildet, als alle andern Bestrebungen zur
Hebung des Volkswohls und zur Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Not-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/18>, abgerufen am 23.07.2024.